Immer mehr Museen bereiten in dieser Zeit der Pandemie ihre Inhalte und ihre Ausstellungen online auf und so kann man sich immer besser von zuhause aus in der Welt der Museen und Ausstellungen umsehen.
Munch, Abend/Melancholie (Quelle) |
In der Einführung (auf norwegisch und englisch) ist zu lesen, dass der Maler 1902 mit dem Fotografieren begann, Monate bevor er und seine Geliebte Tulla Larsen eine mehrjährige Beziehung mit einem Pistolenschuss beendeten. Dabei wurde einer seiner Finger verstümmelt! Dieses Ereignis und eine sich beschleunigende Karriere lösten eine Phase zunehmender emotionaler Turbulenzen aus, die in einer Ruhekur in der privaten Kopenhagener Klinik von Dr. Daniel Jacobson in den Jahren 1908–09 kulminierte. Erst nach einer Pause von fast zwei Jahrzehnten nahm Munch 1927 die Kamera wieder auf. Diese zweite Periode dauerte bis Mitte der 1930er Jahre und verlief parallel zu triumphalen retrospektiven Ausstellungen in Berlin und Oslo, aber auch zu einer Blutung im rechten Auge, die seine Sehkraft vorübergehend beeinträchtigte.
Im Gegensatz zu seinen Drucken und Gemälden hat Munch seine winzigen, kopierten Fotos nicht ausgestellt. Dennoch schrieb er 1930: „Ich habe eine alte Kamera, mit der ich unzählige Bilder von mir selbst gemacht habe, oft mit erstaunlichen Ergebnissen… Eines Tages, wenn ich alt bin und nichts Besseres zu tun habe, als meine Autobiografie zu schreiben, werden meine ganzen Selbst-Porträts wieder das Licht der Welt erblicken."
Die Ausstellung ist in mehrere Kapitel gegliedert. Einleitend wird gefragt, ob Munch ein "Selfie-Pionier" war, dann geht es um ihn als Amateurfotograf, um seine Kameras, den Bericht von der Heilung, trügerische Körper, Munch's Selfies und seine Filme.
Wir haben uns als erstes mit dem Thema der trügerischen Körper auseinandergesetzt, in dem es um grafische und fotografische Experimente geht. Angesehen haben wir uns sein frühes grafisches
- Selbstporträt, 1895, Lithografie
Laut Text geht es dabei um eine subtile Oszillation zwischen Figur und Hintergrund; ein Thema, das Munch später in seinen Fotografien untersuchte. Wir sahen den hellen Kopf auf dunklem Grund, der sozusagen körperlos aus der Tiefe auftaucht und diese Körperlosigkeit noch durch den skelettierten Unterarm unterstreicht, der den unteren Abschluss bildet.
Die Lithografie
- Das kranke Kind, 1896
gibt es in verschiedenen Variationen. Das Motiv basiert auf Munch's Erinnerung an seine Schwester Sophie, die 15jährig an Tuberkulose starb. (Schon seine Mutter war an dieser Krankheit gestorben, als er erst fünf Jahre alt war.) Dass dieses Mädchen von Krankheit gezeichnet ist, fiel uns bei genauerem Hinsehen z.B. an den Haaren auf, die zwar im Gegensatz zu ihrer Haltung und ihrem stillen Blick wirr herumfliegen, zugleich aber teilweise schon auszugehen scheinen. Wie ein Phantasma scheint sich zudem das Gesicht immer mehr in den hellen Hintergrund aufzulösen.
Der Farbholzschnitt
- Abend/ Melancholie, 1896
ist ebenfalls in verschiedenen Variationen gedruckt worden. Uta erklärte uns die norwegische Fjordlandschaft, die den Hintergrund bildet. Zugleich zeigte ein Vergleich, dass Munch in der Figur des Mannes im Vordergrund in einer Reihe mit dem historischen Vorbild von
- Dürer, Melancholia I, 1514
stehen könnte. Ein Bild, das natürlich sofort zu Entdeckungen anregte, wie z.B. der Fledermaus, die die Beschriftung trägt.
Danach haben wir uns dem Amateurfotografen Munch zugewandt, von dem es im Ausstellungstext heißt, dass seine Fotografien oft unscharf sind und er selbst in einigen Bildern eher als Schatten denn als als physische Präsenz erscheint. Ihn scheint das Ausdruckspotential in fotografischen „Fehlern“ wie „fehlerhaftem“ Fokus, verzerrten Perspektiven und exzentrischen Kamerawinkeln interessiert zu haben. Dazu bewegte er sich in vielen seiner Selbstporträts während der Belichtungszeit und verwandelte sich dadurch in eine geisterhafte Figur, steht dort außerdem zu lesen.
Das sieht man auch in seinem Foto von der
- Ausstellung bei Blomqvist, Kristiania,1902 (Collodion)
auf dem neben seinen Bildern geisterhafte Figuren zu sehen sind. Auch in dem Foto von
- Rosa Meissner im Hotel Rohn, Warnemünde 1907 (Silbergelatine),
das schon zu dem Gliederungspunkt "Bericht von der Heilung" gehört, entdeckten wir seine geisterhafte Gestalt im Hintergrund neben der nackten Frau. Im Text heißt es dazu, dass die damals aktuellen Geisterfotografien den Künstler in den 1890er Jahren stark interessiert haben. Das waren Bilder, die angeblich Verstorbene zeigten und in ihrer Zeit für Aufregung sorgten, wie z.B. die Fotos von
- Frederick Hudson, aus seinem Geisteralbum, 1872
Gleichzeitig hat der Künstler aber dieses Foto auch als Vorlage für ein Gemälde genutzt:
- Weinende Frau, 1907
wobei er der Gestalt seines Modells durch die stärkere Beugung des Oberkörpers einen ganz anderen psychischen Ausdruck als auf dem Foto gegeben hat. Eindrucksvoll fanden wir auch, wie er den Raum in seinem Gemälde einerseits mit der gemusterten Tapete fast naturgetreu gemalt, andererseits ihm aber zugleich eine sehr viel präsentere Gestalt gegeben hat.
Andere Fotos, wie das
- Edvard Munch und Rosa Meissner am Strand, Warnemünde, 1907 (Collodion)
zeigen noch einmal, wie Munch mit Doppelbelichtungen gespielt hat. Während das folgende Foto
- Edvard Munch mit Model am Strand, Warnemünde, 1907 (Collodion)
einen Einblick in die "Freiluft"-Malweise des Künstlers (in seiner Zeit) gibt, wobei man natürlich auch einen Blick auf die etwas bizarre Badekleidung werfen und sich fragen kann, wie eine Leinwand dieser Größe denn eigentlich an den Strand transportiert werden konnte, so dass er vor Ort malen konnte. Wir kamen auf die Idee, dass der Rahmen möglicherweise zusammenzuklappen war. Das Gemäle
- Badende Männer, 1911 (Öl auf Leinwand, 200 × 226 cm)
befindet sich übrigens auch im Osloer Museum.
Den Abschluss unserer Bildbetrachtung bildeten zwei Selbstporträts:
- Selbstporträt in der Klinik, Kopenhagen,1908–09 (Silbergelatine)
in dem zuerst die Bilder mit Porträts im Hintergrund auffielen, bevor unser Blick den Künstler und seine Sitzposition zusammen mit der etwas unnatürlichen Haltung seiner linken Hand und seines ausgestreckten Mittelfingers traf. Anscheinend thematisiert er damit auch seine Handverletzung aus dem anfangs erwähnten Streit mit seiner Freundin. "Seitenverkehrt", stärker vorgebeugt und damit intensiver auf den Betracher ausgerichtet erscheint er in seinem gemalten
- Selbstporträt in der Klinik, 1909,
in dem sein Anzug und der Hintergrund in Farbflecken verschwimmen, so dass sein Körper - ähnlich wie in der zuerst betrachteten Lithografie - in der Farbe zu verschwinden scheint.