Plakat der Ausstellung in Bern (Quelle) |
"Brasil! Brasil! Aufbruch in die Moderne" heißt die Ausstellung, die bis zum 5.Januar 2025 im Zentrum Paul Klee in Bern zu sehen ist. Und weil ich hierzulande noch nie mit Bildern von brasilianischen Künstlern konfrontiert worden bin, hat das natürlich meine Neugier geweckt. Zum Glück hat das Zentrum Paul Klee zwei sehr informative Guides im Internet veröffentlicht, die zusammengenommen einen guten Überblick über die zehn Künstlerinnen und Künstler und ihre Werke ermöglichen, die ausgestellt werden.
Der Digital Guide enthält eine Chronologie über die Entwicklung Brasiliens zwischen 1822, als ein Militärputsch zur Proklamation der Republik führte, und 2022, dem Jahr, in dem das hundertjährige Jubiläum der ersten modernen Kunstausstellung in Brasilien, der "Semana de arte moderna", begangen wurde. Am Ende dieser Informationen steht ein Saalplan mit den Namen der Ausgestellten und ihren Biografien. Der Audioguide stellt dann die ausgestellten Werke einzeln vor.
Brasilien erhielt 1889 seine erste Verfassung. Ein Jahr zuvor war die Sklaverei abgeschafft worden, doch Frauen und Analphabeten erhielten damals noch kein Wahlrecht. Weder die gerade befreiten Sklavinnen und Sklaven noch die Angehörigen der indigenen Völker hatten die Möglichkeit eine Schule zu besuchen. Doch zugleich herrschte Aufbruchstimmung und viele der Befreiten zogen in die Region von São Paulo, um ein neues Leben zu führen.
Im Stadttheater dieser Stadt fand auch die erwähnte "Semana de Arte Moderna" - die Woche der modernen Kunst statt. Im Text des Digital Guide heißt es dazu: "Damit wurden erstmals in Brasilien die verschiedenen Künste als eine Avantgardebewegung auf der Suche nach einer spezifisch brasilianischen Moderne zusammen präsentiert. Die Veranstaltung beinhaltete neben einer Kunstausstellung auch Konzerte, Vorträge, Tanzvorstellungen, eine Architekturausstellung sowie literarische Lesungen. Sie verstand sich als Reaktion auf den vorherrschenden Akademismus, der den Konventionen des 19. Jahrhunderts verhaftet blieb."
Wir haben uns einzelne Werke genauer angeschaut:
- Tarsila do Amaral, Abaporu, 1928
Abaporu bedeutet in der Sprache der Tupí Anthropophage, also Menschenfresser. Das Bild war ein Geburtstagsgeschenk für Oswald de Andrade, den damaligen Ehemann der Künstlerin. Das Thema – ein Mensch, die Sonne und ein Kaktus – inspirierte diesen, das Manifest Antropfago zu schreiben und damit die Anthropophagus-Bewegung zu schaffen, die die fremde Kultur "schlucken" und sie zu etwas kulturell Brasilianischem machen sollte.
Wir haben uns gefragt, wen wir da vor uns sehen! Wenn man perspektivisch denkt - also alles in der Ferne wird immer kleiner -, dann muss es ein Riese sein, zu dem wir hinaufsehen. Aber ist es ein Mann oder eine Frau? Und wo lebt dieser oder diese "Einfüßlerin"? Sie sitzt am Boden, aber hinter ihr kippt der Boden weg, während vor ihr ein riesiger Kaktus wächst und die Sonne vom blauen Himmel strahlt. Wir bewunderten übrigens die Plastizität sowohl der Gestalt, wie der Pflanze, die sogar einen leichten Schatten wirft. Es heißt, dass die Künstlerin in Paris Vorbilder in Gemälden vom Joan Miró und Pablo Picasso fand. Deswegen haben wir von
- Joan Miró, Peinture (Les amants – Adam et Eve), 1925 (Achtung man muss zum Bild etwas herunterscrollen!)
mit ihrem Bild verglichen und gewisse Ähnlichkeiten gefunden, z.B. in der Idee der "Kopffüßler", die bei Miró allerdings eindeutig als männlich und weiblich gekennzeichnet sind. Verwandt fanden wir dann auch, auf Hinweis von Ute, das Bild
- Henri Matisse, Blaue Nackte, (1952)
die zwar sehr viel später geschaffen wurde, aber Vorläufer hatte.
Tarsila do Amaral fand ihre Sujets auch in ihrer Umgebung und wollte bewußt "Malerin ihrer Heimat" sein. Sie wuchs auf den Kaffeeplantagen des Vaters auf, wo sie zwei Jahre vor der Abschaffung der Sklaverei geboren worden war. In der Folge entstanden in den größeren Städten Favelas, also Elendsviertel, in denen die ehemaligen Sklaven in Bretterbuden hausten. Der Begriff kommt übrigens von einem Hügel im Hafengebiet von Rio de Janeiro, der nach der Pflanze (Cnidoscolus quercifolius), die dort wuchs, Hügel der Favela genannt wurde.
- Tarsila do Amaral, Favela Hügel (1924)
Wir fanden, dass Amarals Hügel sehr idyllisch aussieht. Das Bild ist zweigeteilt. Das untere Drittel ist mit verschiedenen Pflanzen gefüllt - wir erkannten einen Kaktus und, ich habe nachgesehen, die Favela Pflanze ist nicht eindeutig zu erkennen. Sie wachsen vor einer Tunnelöffnung und einer Abbruchkante des Hügels. Darüber erscheinen verschiedene schwarze Menschen (Mann und Frau und Kinder), sowie Tiere und in der Zone darüber stehen dann die bunten Häuser, die dem Bild seine fröhliche Note geben.
Ganz anders dagegen wirkte das Bild von
- Lasar Segall, Bananenplantage (1927)
auf uns. Die Endlosigkeit der dichten Bananenstauden und der Kopf des Mannes, dessen erschöpfter und trauriger Gesichtsausdruck uns Hoffnungslosigkeit vermittelte, beeindruckten uns stark. Dieser Mann schaut einfach durch uns hindurch. Für uns sah es so aus, als ob er aus dem Dschungel der Bananenblätter keinen Ausweg mehr findet. Diskutiert haben wir auch über das Menschenbild, das Segall mit diesem kantigen Kopf entworfen hat. Für uns war es kein eindeutig schwarzer Afrikaner, sondern eher jemand mit Eltern aus verschiedenen Gegenden der Welt.
Der folgende Maler hat dagegen eindeutig einen schwarz-afrikanischen Plantagenarbeiter gemalt:
- Candido Portinari, Der Kaffeeplantagenarbeiter, 1934.
Dieser Mann ist noch jung und wirkt sehr kraftvoll. Arme, Hände und die nackten Füße sind überdimensioniert. Wir hatten den Eindruck: "Der Mann kann zupacken.". Aber er steht in einer menschenleeren Plantagenwüste. Das ganze Land und selbst die Hügel hinter ihm sind mit Kaffebüschen in regelmäßigen Reihen überzogen. Dort, wo noch keine Pflanzen stehen, ist die Erde schon gerodet und leer. Nur der Baumstumpf rechts ist noch von dem Urwald übrig geblieben, so scheint es, während auf der linken Seite schon eine kleine schwarze Eisenbahn die Ernte abtransportiert.
In einem zweiten Werk zeigt derselbe Maler, der sich auch politisch engagierte, das Elend der Binnenmigration, zu der es in Brasilien mehrfach kam. Dürreperioden und wirtschaftliche Krisen zwangen dort die Menschen den Nordosten des Landes zu verlassen und anderswo Arbeit zu suchen. (Übrigens herrscht zur Zeit gerade wieder eine schreckliche Dürre in diesem Land, von der wir hier kaum etwas wahrnehmen.) Auf dem Bild von
- Candido Portinari, Migranten, aus der Serie Migranten 1944
sind das Land und der Berg im Hintergrund menschenleer und vollkommen verdorrt. Am Himmel, der sich nach oben verdunkelt, kreisen in großer Zahl die Geier. Ausgefüllt wird die Bildfläche von einer Gruppe zerlumpter und elender Gestalten, die wie für ein Familienfoto aufgestellt sind. Eine Frau mit einem hohläugigen Baby im Arm bildet den Mittelpunkt, gerahmt von einem alten und einem jüngeren Mann und einer weiteren Frau, die ein nacktes Kind trägt, dessen Rippen hervorstechen. Um den jüngeren Mann ist eine Gruppe halbnackter Kinder in verschiedenem Alter gruppiert. Unter einem hohen Hut schaut der Kopf des mittleren Kindes wie ein Totenkopf hervor, während das Kind rechts einen vom Hunger aufgeblähten Bauch hat. Auch die Farben des Bildes betonen die Hoffnungslosigkeit und Tristesse. Es scheint alles grau und braun zu sein und nur einige verblasste Rottöne weisen darauf hin, dass es einmal Licht und Farbe in diesem Leben gegeben haben könnte.
Wir haben dieses Bild verlassen und uns einer kräftigen Farbigkeit zugewandt:
- Djanira da Motta e Silva, Drei Orischas (Heilige Dreifaltigkeit), 1966
Normalerweise erwartet man unter dem Titel "Heilige Dreifaltigkeit" die christliche Version von Gott, Gottesohn und Heiligem Geist in Form einer Taube, so wie zum Beispiel in dieser Buchillustration. Djanira da Motta e Silva aber stellt drei Gottheiten des afro-brasilianischen Pantheons dar. Sie hatte in den 1950er Jahren in der Region Bahia die religiösen Traditionen des Candomblé kennengelernt. Bei ihren Figuren handelt es sich um die drei wichtigen Gottheiten dieses Kultes Yemanyá, Oxalá und Oxum. Jede steht für eine bestimmte Kraft in der Natur und wird mit bestimmten Lebensmitteln, Farben, Tieren und Wochentagen in Verbindung gebracht. Yemanya ist eine Schutzgottheit mit mütterlichen Zügen, die oft als Meerjungfrau dargestellt wird. Wir erkannten, dass sie diese kleine Gestalt auf ihrer Brust trägt. In der Mitte steht Oxala, eigentlich ein Gottvater und Schöpfer, der hier aber ungewöhnlicherweise auch als Frau erscheint. Rechts befindet sich Oxum, die Gottheit des Wassers, aber auch des Vergnügens, der Fruchtbarkeit, der Schönheit und der Liebe. Umrahmt werden sie von zwei Trommlern. Rhythmus und Melodie sollen in diesem Kult Magie und spirituelle Kräfte in den Raum zu bringen. Die Trommeln besänftigen die Orischas und hypnotisieren die an der Zeremonie teilnehmenden Personen.