Samstag, 7. September 2024

William Blake

William Blake, Death of the Strong Wicked Man, Illustration zu "The Grave," ein Gedicht von Robert Blair, 1808 Quelle


Gerade noch bis zum 8. September 2024 zeigt die Hamburger Kunsthalle die Ausstellung "William Blakes Universum", aus der wir uns einige Bilder online angeschaut haben. Über den Künstler, der 1757 in London geboren wurde und dort 1827 starb, heißt es auf Wikipedia: Er "war ein englischer Dichter, Naturmystiker, Maler und der Erfinder der Reliefradierung. Sowohl sein künstlerisches als auch sein literarisches Werk wurde von seinen Zeitgenossen weitgehend abgelehnt. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurden seine sehr innovativen Arbeiten von den Präraffaeliten entdeckt, fanden allgemein Anerkennung und später auch in der Popkultur Verbreitung."

Wie die Zeitgenossen von William Blake dachten, wird aus dem folgenden Textabschnitt aus dem "Vaterländischen Museum" von 1811 deutlich. Da ist die Rede von der seltsamen "Richtung seiner Talente" und dem "Wunderlichen seines persönlichen Charakters". Weiter heißt es:
"Wir wissen zu wenig von seiner Geschichte, um Anspruch auf eine vollständige Beschreibung seines Lebens zu machen …Vorläufig genüge uns, zu wissen, daß er, zu London von nicht sehr wohlhabenden Eltern geboren, früh seiner eigenen Leitung oder Mißleitung überlassen ward. Im zehnten Jahre kam er in eine Zeichenschule, im vierzehnten zu einem Kupferstecher, Namens Basire, der durch Stuarts Beschreibung von Athen, und durch West's Orestes und Pylades bekannt ist. Schon als Knabe zeichnete sich Blake durch die Sonderbarkeit seines Geschmacks aus. Leidenschaftlich für die gothische Baukunst eingenommen, brachte er Tage lang damit zu, die Denkmäler der Westminster-Abtey abzuzeichnen. Nebenher sammelte er Kupferstiche, vorzüglich nach Raphael und Michel-Angelo und vergötterte Albrecht Dürer und Heemskerk. Obgleich er nachher auf der königlichen Akademie studierte, hatte er seine Richtung doch schon einmal auf eine so eigene Art genommen, daß er, von seinen Mitschülern isoliert, aller gewöhnlichen, regelmäßigen Beschäftigung entwöhnt ward. Man findet deshalb seinen Namen nur unter sehr geringen Platten zu Kinderbüchern ; indem er aber Ansichten von der Kunst hegte, die dem Geschmack der Kunstbeschützer völlig entgegen standen, und die neueren Moden sowohl im Zeichnen als Kupferstechen als Versündigungen an der Kunst betrachtete, zog er nach seinem eigenen Ausdrucke vor, lieber ein 'Märtyrer' seiner Religion, d. h. seiner Kunst zu werden, als seine Talente durch eine feige Nachgiebigkeit gegen die Ausübung der Kunst, in einem verderbten Zeitalter derselben, herabzuwürdigen. Da nun außerdem seine religiösen Überzeugungen ihm den Ruf eines vollendeten Tollhäuslers zuwege gebracht hatten, bleibt es kaum zu verwundern, daß, während Kenner von Profession nichts von ihm wissen, selbst seine Gönner nicht umhin können, eben ihrer Bewunderung für ihn, auch ihr Mitleiden zu äußern. In der That gelang bis jetzt erst ein Versuch, ihn bey dem größeren britischen Publikum einzuführen, - durch seine Zeichnungen zu Blair‘s Grab, einem bey ernsten Gemüthern sehr beliebten, religiösen Gedicht ..."

Wir haben uns darauf hin angeschaut, wie Blake mit einem seiner Vorbilder umgegangen ist, und haben das Bild von

- Nicolas Beatrizet, Stehender Mann mit gekreuzten Armen (nach einer Figur aus der Kreuzigung Petri von Michelangelo), circa 1545

angesehen. Bei ihm fielen uns besonders die muskulösen Beine und Arme und die Verschlossenheit der Gestalt mit ihrem gesenkten Kopf auf. Das Vorbild haben wir dann in dem Fresko von

- Michelangelo Buonarotti, Kreuzigung Petri, 1542-46, Rom, Città del Vaticano, Cappella Paolina

auf der rechten Seite des Bildes gefunden. Im Vergleich mit der Grafik fanden wir große Ähnlichkeiten zwischen den beiden Gestalten. Als drittes haben wir dann die Grafik von

- William Blake, Joseph von Arimathia inmitten der Felsen von Albion, 1809

dazu gestellt. Schon, dass Blake die Gestalt als Joseph von Arimathia inmitten der Felslandschaft von Albion bezeichnet, verwunderte uns. Albion ist der antike Name für Großbritannien. Dieser Joseph war ein reicher Jude in Jerusalem, in dessen Grab Jesus nach seiner Kreuzigung beigesetzt worden sein soll. Auch die Figur selbst hatte für uns eine andere Ausstrahlung als ihre beiden Vorbilder. Dieser Mann ist zwar auch kräftig gebaut, aber er wirkt nicht so verschlossen und abweisend, sondern durch die geöffneten Augen und den gesenkten Blick schien er uns nachdenklicher und sanfter als diese zu sein. Zudem hat Blake seine Figur durch die Meer- und Felsenlandschaft im Hintergrund in einen ganz anderen Kontext gestellt.

Welche Vorbilder Blake und die Künstler seiner Zeit während ihrer Ausbildung studierten und abzeichneten, wird übrigens auf dem Bild von

- Edward Francis Burney (1760 - 1848), The Antique School at Old Somerset House, 1779

deutlich. Wir fanden darauf einige der antiken Plastiken wieder, die wir schon einmal früher in dem Post über "Das antike Rom in Bildern" betrachtet hatten.

In den schon im Text von 1811 erwähnten Illustrationen zu dem Gedicht von Robert Blair "Das Grab" wurde dann Blakes eigener Stil fassbar. Wir sahen uns davon die Grafik

- William Blake, Tod des schlechten Mannes, 1808

an, auf der der Tote mit umgebogenem Kopf nackt am Boden liegt, während seine Seele als Rückenakt seines muskulösen Körpers in einem diagonalen Sog - aus Flammen oder Wind war uns nicht ganz klar - aus dem Fenster gezogen wird. Eine entsetzte Frau beugt sich über seinen Leib, dessen Hände noch im Todeskampf verkrampft sind. Eine Zweite beweint aufrecht am rechten Rand stehend die Szene und schließt das Bild so nach rechts ab. Harald machte uns darauf aufmerksam, dass am Boden aus dem zersprungenen Pokal die Essenz des Lebens am Boden verrinnt.

Danach sahen wir uns das Werk eines mit Blake eng befreundeten Künstlers an:

- nach John Flaxman, Die bestraften Liebenden (aus Dantes "Göttlicher Kommödie"),1807 

Die illustriert wird der 5. Gesang, in dem Dante den Kreis der Hölle betritt. Dort werden Menschen in einem nicht enden wollenden Sturm herumgewirbelt. Sie haben sich der Sünde der Lust schuldig gemacht und der Sturm steht für die unwiderstehliche Leidenschaft. Dante ist von der Geschichte von Paolo und Francesca, einem berühmten Liebespaar aus Rimini, so ergriffen, dass er in Ohnmacht fällt. Neben ihm sitzt Virgil sein Führer. Bei Flaxman sehen wir das nackte Paar in der Mitte, während Dante von Virgil betrauert flach am Boden liegt und der Wirbelwind mit den übrigen Sündern nur mit leichten Strichen angedeutet wird. 

Auch Blake hat diese Szene illustriert:

- William Blake, Der Kreis der Lustvollen: Francesca da Rimini ('Der Wirbelwind der Liebenden') (1826-7, Nachdruck 1892) (Achtung man muss bis zu "Hell, Canto 5" herunterscrollen).

Allerdings liegt sein Hauptaugenmerk auf dem Wind, in dem die "sündigen Paare" wie in einem Wasserstrom durch das ganze Bild gewirbelt werden. Die Szene des ohnmächtigen Dante und seines Begleiters taucht wie auf einer Insel aus diesem Strom auf. Gerätselt haben wir über die sonnenähnliche Scheibe über Virgils Kopf mit die Zeichnung eines sich umarmenden Paares. Der Kommentar auf der Webseite sagt dazu, dass die vom Wind verwehten Liebenden selbst aus dem Bild heraus in die Freiheit zu fliegen scheinen. Da Blake es missbilligte, dass Dante Gott als rachsüchtigen Richter darstellte, werden diese Details als subtiler Protest interpretiert.

Zur Göttlichen Kommödie gehören auch die beiden folgenden Bilder: 

- Heinrich Füssli, Zwei Köpfe verdammter Seelen von Dantes Inferno,1770/78 

Blake hat den zweiten Kopf nachgestochen:

- Blake, Kupferstich nach Füsslis Illustration, ca 1788 (man kann übergroße Bild mit Klick auf Strg und Minustaste verkleinern).

Wir fanden, dass er dabei den Ausdruck des Verdammten intensiviert hat, z.B. durch die wulstigeren Lippen, die schärferen Umrisse, die sich von dem hellen Hintergrund abheben und die deutlichere Betonung des vor Schreck zu Berge stehenden Haarschopfes.  

Fast unverständlich erschien uns dann der Kupferstich  

- William Blake, Laokoon, ca. 1826-27

In einer englischen Beschreibung dazu steht der Hinweis, dass William Blake glaubte, die Laokoon-Statue sei nach einer Skulptur im Tempel von König Salomon kopiert. Die Skulptur zeigte seiner Meinung nach Gott flankiert von seinen beiden Söhnen, Satan und Adam. Die Griechen haben dann seiner Ansicht nach die ursprüngliche Bedeutung des Bildes verfälscht. Es sei kein Ereignis aus dem Trojanischen Krieg dargestellt, sondern die philosophische Fragestellung, wie wir erkennen können, dass wir zwar sterblich sind, unsere wahre Natur aber göttlich ist. Blakes schwer entzifferbare schriftliche Erklärungen umrahmen wie in einem Plakat die ganze Gruppe. 

Blake hat seine eigenen Texte illustriert und auf eine besondere von ihm selbst entwickelte Weise Schrift und Bild zusammen auf Druckplatten gebracht, von denen nur wenige Abzüge möglich waren. Wir haben das Titelbild (genauer das Frontispiz) seiner Schrift

- Europa a Prophesy, 1793 

aufgerufen, und Ute fühlte sich sofort an die Figur Gottvaters von Michelangelo erinnert. 

- Michelangelo Buonarotti, Die Erschaffung Adams, Sixtinische Kapelle, Vatikan, Rom, 1511

Beim Vergleich der beiden kraftvollen Schöpfergestalten fanden wir eine ganze Menge Gemeinsamkeiten, wie z.B. den aus dem rahmenden Umraum herausgestreckten nackten Arm, die wehenden Haare, die Rahmung der Figur - bei Michelangelo durch einen wehenden roten Mantel und darin geborgene Engelgestalten, bei Blake durch die gelbe Sonne und den von ihr angestrahlten schwarzen Wolkenrahmen, die der Szene etwas Gewalttätiges geben. Blakes Schöpferfigur hält übrigens einen Zirkel herab, das Werkzeug der Baumeister.

Ein weitere Veröffentlichung des Künstlers sind die "Lieder der Unschuld", aus denen wir uns als letztes Bild die zweite Seite des Gedichtes

- Der kleine schwarze Junge, [1789] gedruckt um 1825 

angesehen haben. Auf dem Bild stehen zwei Kinder vor einer sitzenden Gestalt, die wir sofort als Christusfigur interpretierten. Der Kleine schwarze Junge scheint das weiße blondgelockte Kind, das zu der Gestalt mit betenden Händen hinaufschaut, vorwärts zu schieben. Johanna fand schnell den Text des Gedichtes, in dem ein schwarzer Junge von der Lehre erzählt, die seine Mutter ihm mitgegeben hat. Zusammengefasst steht auf dieser zweiten Seite zu lesen, dass sich, wenn beide Kinder von der Unterscheidung zwischen schwarz und weiß frei sein werden, das Schwarze das Weiße vor der Hitze beschatten wird, bis er sich vor Freude an das Knie ihres gemeinsamen Vaters lehnt. Die letzte Zeile heißt: "Und dann steh' ich und streichle sein silbernes Haar, und werde wie er sein, und er wird mich dann lieben." 

Zu bemerken ist, dass Blake einen zeitgenössischen Text (John Gabriel Stedman, The Narrative of a Five Years Expedition against the Revolted Negroes of Suriname, 1796) illustrierte, der wie kein anderer die Grausamkeit der Sklaverei in der Karibik veranschaulichte. Der Künstler vertrat einen radikalen Abolitionismus; gehörte also zu jenen Menschen, die sich schon im achtzehnten Jahrhundert dafür einsetzten die Sklaverei abzuschaffen.