Sonntag, 19. November 2023

Frans Hals

Frans Hals, Porträt von Catharina Hooft und ihrer Amme (Quelle)
Bis zum 21. Januar 2024 läuft in der "National Gallery" in London eine Ausstellung über den niederländischen Maler Frans Hals. In acht Räumen sind ungefähr fünfzig Werke zu sehen. Unter ihnen befindet sich - zum ersten Mal als Leihgabe - sein berühmtestes Bild "Der lachende Kavalier" (1624), das in der Wallace Collection in London aufbewahrt wird. Für diese Ausstellung hat die National Gallery mit dem Rijksmuseum in Amsterdam und der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin zusammengearbeitet. Außerdem hat das Frans Hals Museum in Haarlem mitgewirkt.

Frans Hals (geb. zwischen 1580 und 1585 in Antwerpen - gest. 26. August 1666 in Haarlem) gilt als einer der bedeutendsten Porträtmaler. Er war Sohn eines Antwerpener Tuchhändlers und lernte sein Handwerk wahrscheinlich in Haarlem, wo er 1610 in die Malergilde aufgenommen wurde. Obwohl er schon zu Lebzeiten berühmt war, litt er sein Leben lang an Geldmangel. Von seinen zehn Kindern wurden fünf Söhne ebenfalls Maler.

Wir haben als erstes das Porträt 

- Der lachende Kavalier, 1624 (Achtung: Auf dieser Seite muss man herunterscrollen, nach dem Headerbild kommt ein interessantes englisches Video zu dem Bild und darunter dann das Bild, das sich vergrößern lässt!)

aufgerufen und über den leicht überheblichen Blick gestaunt, mit dem uns der junge Mann etwas von oben herab anschaut. Wie jung er ist, nämlich 26 Jahre im Jahr 1624, steht rechts oben im Bild ("AETA SUA 26/ Ao 1624"). Natürlich war die Kleidung des jungen Mannes das wichtigste Thema. Die zeitgenössische Tracht in Holland richtete sich nach der dunklen spanischen Mode:

- Giovan Battista Moroni, Kavalier in Schwarz, ca. 1567

Dagegen ist der junge Mann auf dem Bild von Franz Hals geradezu außerordentlich reich und bunt gekleidet, wobei er sich nach der französischen Mode angezogen hat: Auf den Schultern liegt weich ein breiter, mehrfach gefältelter, runder, weißer Spitzenkragen. Dazu trägt er ein geschlitztes Wams aus einem dunklen Stoff, der dicht mit bunten Blumen und Ornamenten verziert ist. Unter den Schlitzen kommt ein weißes Spitzenhemd zum Vorschein. Ein vergleichbares Wams findet sich im Metropolitan Museum of Arts, New York. Über die Hände hängen feine weiße Spitzenärmel und über Schulter und um den Bauch ist ein schwarzes Seidentuch geschlungen, das mit einer schwarzen gestickten Borte besetzt ist. Auch wir haben - mit dem Maler van Gogh - darüber gestaunt, wie unterschiedlich Schwarz aussehen kann! Und dann war da noch die Frage, was hat der Kavalier unter seinem Arm? Da schaut ein Knauf oben aus der Armbeuge heraus und unter dem sind goldene Linien: Ein Kavalier muss einen Degen tragen! In dem Video auf der Seite der Wallace Collection wird übrigens dieser Degen mit dem auf dem Bild verglichen.

Dagegen ist der Junge auf dem folgenden Bild:

- Junger Mann mit Totenkopf, 1626–1628 

viel schlichter angezogen. Nur sein Barett mit der langen roten Feder sticht hervor, während sein Oberkörper fast ganz von einem braun-schwarzen Tuch verdeckt ist. Ganz anders als der lachende Kavalier, interessiert sich dieser Junge nicht für den Betrachter, sondern sieht auf etwas außerhalb des Bildes, das wir nicht erkennen können. Am Auffälligsten aber war für uns seine rechte Hand. Sie ist uns, also den Betrachtenden, mit gespreizten Fingern entgegengestreckt und von der linken Bildseite her beleuchtet. Vergrößert man diese Stelle, erkennt man, wie der Maler die Fingernägel mit mehreren Farben zum Schimmern bringt und die Kuppe des Daumens mit einen Lichpunkt leuchten lässt. Will der junge Mann uns auf den Schädel hinweisen, oder wird er ihn im nächsten Moment von einer Hand in die andere nehmen und damit spielen?

Dagegen wird bei dem Porträt von 

- Pieter Verdonck, um 1627 (mit dem roten Punkt im Kreis links unter dem Bild kann man das Bild vergrößern und zoomen!)

im nebenstehenden Text darauf hingewiesen, dass dieses Porträt des Malers "bemerkenswerte Fähigkeit, Aussehen und Charakter anschaulich zu vermitteln" zeigt. Das fanden wir auch, als wir uns diesen Charakterkopf mit seinem zerzausten Haar und dem hochgedrehten Schnurrbart angesehen haben, der - ja was eigentlich? - mit der rechten Hand hochhält. Pieter Verdonck, um den es sich wahrscheinlich handelt, war ein bekanntes Mitglied der Mennoniten in Haarlem, und er soll aggressiv und streitlustig gewesen sein. Im Text heißt es, dass seine verbalen Angriffe als so stark galten wie die Schläge des biblischen Samson. Dieser hatte mit dem Kieferknochen eines Esels eintausend Philister vertrieben (Buch der Richter, Ri 15,15 EU); deshalb also der Kieferknochen, den Verdonck in der Hand hält!

Neben das Porträt dieses "wirren" Kopfes haben wir das Bild von 

- Malle Babbe, um 1633 bis 1635 

gestellt.  Es brauchte keinen Hinweis auf den übergroßen Zinnkrug auf der linken Bildseite: Durch ihr aufgedunsenes Gesicht, den Blick, den breit zum Lachen aufgerissenen Mund und ihre Haltung wirkte diese sitzende Frau auf uns deutlich alkoholisiert. Zinnkrug und Eule werden meist ebenfalls auf die Trunksucht bezogen, denn laut einer niederländische Redewendung kann man „zo beschonken als een uil“ („besoffen wie eine Eule“) sein. Dazu gibt es noch eine Redewednung, die sich auf das Bild beziehen lässt, nämlich „An't lachen kendmen den Zoot“ (am Lachen erkennt man den Narr.). Durch Archivforschungen ist übrigens belegt, dass Franz Hals in diesem Bild Barbara Claes (gest. 1663) gemalt hat, eine geistig zurückgebliebene, "verrückte" (malle) Frau aus Haarlem, die 1646 in das „werkhuis“ der Stadt eingewiesen wurde und dort insgesamt 15 Jahre blieb. In demselben Arbeits- und Irrenhaus waren, allerdings wohl erst später, auch einer der Söhne und die älteste Tochter des Maler zeitweilig untergebracht.

Es gibt jede Menge sehr ehrbare und würdige Porträts von Franz Hals, aber in dieser Stunde haben wir uns hauptsächlich mit Darstellungen von sehr speziellen Menschen beschäftigt, zu ihnen gehört das Bild von:

- Pieter Cornelisz van der Mersch, 1616

Van der Mersch (1543 - 1628) war Stadtbote in Leiden und später wahrscheinlich Fischhändler. Bereits während seiner Zeit als Bote schloss er sich der "rederijkerskamer De Witte Acolijen" (Die weißen Gefolgsleute) an. Er trat als Narr auf und nannte sich Piero oder Piro. 

Beim Anschauen des Bildes waren wir gewissermaßen von dem Blick dieses Mannes gebannt, der uns gleichzeitig wissend, spöttisch und gütig anzusehen scheint. Erst danach haben wir geschaut, was er in den Händen hält; und waren überrascht, dass er Stroh trägt und einen Fisch - genau gesagt einen Hering - hochhält, den er anscheinend gleich auf das Stroh fallen lässt. Der Schriftzug oben links heißt "Wie begeert" (Wer will) und könnte darauf hinweisen, dass er den Fisch auf jeden wirft, der ihn herausfordert. (Übrigens habe ich mal auf ChatGPT nach dem Ausdruck "een haring werpen" nachgefragt und zur Antwort erhalten, dass dieser Ausdruck oft im Zusammenhang mit Volksfesten und Feierlichkeiten verwendet wird und sich auf eine Tradition bezieht, bei der Heringe von einem Mast geworfen werden und die Umstehenden sie zu fangen versuchen. Das geht auf ein Fest zurück, das im 17. Jahrhundert während der Belagerung von Leiden entstand. Die von den Spaniern Belagerten warfen damals einen Hering und einen Krug Genever über die Stadtmauern, um zu zeigen, dass noch genug Essen und Trinken da war.)

 Als letztes Bild haben wir das Porträt von

- Catharina Hooft mit ihrer Amme, etwa 1619-1620 

angeschaut. Die Zweijährige schaut selbstbewusst aus dem Bild und schiebt gleichzeitig die Amme weg, so als ob sie sagen wollte, ich brauch deine Milch nicht mehr, ich will jetzt was Richtiges zum Essen!  Bestechend fanden wir den Unterschied in Haltung und Gesichtsausdruck zwischen den beiden Porträtierten: Das kleine Mädchen schaut uns fröhlich und fast ein wenig herausfordernd an. Dagegen hebt die Amme den Blick kaum richtig. Dabei ist doch die Amme die Erwachsene, die das Kind trägt und ihr mit der anderen Hand eine Frucht - einen Apfel? - hinhält. Doch auch die Kleidung betont den Unterschied von kindlicher Herrin und erwachsener Dienerin: Das Kind trägt ein prächtiges Samtgewand, mit einer Kette mit rotem Edelstein, einem feinem Spitzenkragen und ebensolchem Abschluss ihres Häubchens. Der Körper der Amme verschwindet dagegen mit ihrem schlichten schwarzen Gewand fast ganz im Hintergrund. Verkehrte Welt?