Mittwoch, 18. Oktober 2023

Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann

Plakat der 7. Internationalen Kunstausstellung München,1897 (Quelle)

In der Alten Nationalgalerie in Berlin wurde bis zum 22.10. eine Ausstellung zum Thema der Secessionen und ihrer berühmten Protagonisten in Deutschland und Österreich gezeigt, mit denen wir uns in unserem Online-Gespräch beschäftigt haben. Die Ausstellung wird dann vom 22. Mai bis 13. Oktober 2024 im Wien Museum gezeigt werden. Wie es im Pressetext heißt, beleuchtet die Ausstellung vor allem die Gemeinsamkeiten dieser umwälzenden Entwicklungen im deutschsprachigen Raum. Zu sehen sind etwa 220 Arbeiten von rund 80 Künstlerinnen und Künstlern, die in dreizehn thematischen Räumen ausgestellt werden. 

Erste Frage ist natürlich, was versteht man in der Kunstgeschichte unter Secessionen? Ich habe die Frage einfach mal in ChatGPT gestellt. Hier Teile der Antwort:

"Die Secession in der Kunst war eine wichtige Kunstbewegung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa, insbesondere in Wien, entstand. Der Begriff 'Secessionsbewegung' leitet sich von lateinischen "secedere" ab, was so viel wie 'sich abspalten' oder 'sich trennen' bedeutet. ... Die Künstler der Secession suchten nach neuen Ausdrucksformen und wandten sich gegen den traditionellen Kunstbetrieb ihrer Zeit. Sie betonten die Notwendigkeit der Erneuerung in der Kunst und lehnten die Einschränkungen der akademischen Kunstschulen und Institutionen ab. Die Künstler der Secession setzten sich für die Freiheit der künstlerischen Gestaltung und die Förderung des Jugendstils (Art Nouveau) ein. ... Insgesamt kann man sagen, dass die Secession in der Kunst eine künstlerische Bewegung war, die die kreative Freiheit und die Erneuerung in der Kunst förderte und dabei gegen etablierte Normen und Konventionen des Kunstbetriebs rebellierte."

Mit der Abspaltung ging es 1892 in München los, Wien und Berlin folgten fünf und sieben Jahre später. Dabei stehen die Namen der Künstler auch für die Kunstzentren, in denen sich Secessionen bildeten - schließlich braucht es einen etablierten Kunst- und Ausstellungsbetrieb, damit man sich davon abspalten kann!

Klimt steht für den Wiener Jugendstil, von Stuck für München und den Symbolismus, mit Liebermann verbindet man gern Berlin und den Impressionismus.

Als erstes haben wir uns je ein Werk von diesen drei Künstlern angesehen. Und zwar von 

- Franz von Stuck, Pallas Athene, 1898

Die antike Göttin Pallas Athene steht in der griechischen Mythologie für Weisheit, neben anderen Bereichen ist sie auch Göttin der Künste und des Handwerks. Ihr bedeutendstes Heiligtum war der Parthenon in Athen. Auf der Akropolis standen mehrere Statuen der Athene aus der Hand des Bildhauers Phidias, deren Aussehen uns in Nachbildungen wie dieser

Athena Parthenos, verkleinerte römische Nachbildung (3. Jahrhundert) der Statue des Phidias

 überliefert ist. Wir haben die beiden Athenen zwar nicht miteinander verglichen, haben aber die einzelnen Merkmale des Bildes von Stuck aufmerksam betrachtet: Sie trägt in ihrer Rechten eine Kugel mit einem geflügelten Wesen - es ist Nike, Göttin des Sieges. In der Linken hält sie einen roten Lanzenschaft. Auf dem Kopf hat sie einen reich geschmückten Helm mit einer von zwei Pferden begleiteten Sphinx, alle drei sind von rot leuchtenden Federbüscheln bekrönt. Wir brauchten ein wenig Zeit und mussten das Bild zweimal vergrößern, um auf der Brust der Athena das Bild der Medusa mit den Schlangen als Haaren zu erkennen. Sie scheint es auf dem Fell, der Aigis, zu tragen, das sie hier fast wie ein Panzer zu schützen scheint. Auffällig war für uns, wie die dunkle Gestalt vor einen leuchten Goldgrund gesetzt ist.

Danach haben wir dasselbe Sujet mit dem Bild von

- Gustav Klimt, Pallas Athene, 1898

aufgerufen und herausgearbeitet, dass trotz aller Ähnlichkeiten - auch sie trägt die Nike in der Rechten und den Lanzensschaft in der Linken, auch sie trägt einen Helm, der allerdings nach Art der korinthischen Helme der frühen Antike gestaltet ist, worauf Ute uns hinwies. Auch sie trägt die Ägis mit dem Haupt der Medusa. Und doch lässt schon allein der Bildausschnitt, den Klimt gewählt hat, diese Gestalt viel martialischer erscheinen, fanden wir...

Ganz anders dagegen war das Bild, das Max Liebermann von seiner Frau gemalt hat:

- Max Liebermann, Martha Liebermann 1898.

Seine lichte Atmosphäre und die Gedankenverlorenheit der Frau im Schaukelstuhl, die das Bild fast ganz ausfüllt, vermittelten uns sofort die besondere Stimmung eines Sommerabends am Meer. 

Doch warum nun erregten die Bilder der Secessionisten in der Kunstwelt um 1900 besonders viel Aufsehen? Ein neuer Faktor war, dass die Künstler für ihre Ausstellungen gezielt geworben haben und auf den Wiedererkennungswert von Signets (heute würde man Logos sagen) gesetzt haben. So hat Franz von Stuck für sein Plakat der 7. Internationalen Kunstausstellung München, die gemeinsam von der Münchner Künstlergenossenschaft und der von ihr abgespaltenen Gruppe Münchener Secession veranstaltet wurde, das Bild der Athene genutzt und rechts daneben in einem Sechseck die Seitenansicht ihres Kopfes angeordnet, ein Signet, das auch die Kataloge der Münchener Secession schmückt.

- Franz von Stuck, Plakat der 7. Internationalen Kunstausstellung München, 1897

Außerdem haben wir uns angesehen, wie Kunstwerke in den Ausstellungen im 19. Jahrhundert gezeigt wurden:

 - A.Provost, Salon de peinture et sculpture de 1857, au Palais de l'Industrie. Druck in einem unbekannten Journal 

- Édouard Joseph Dantan, Un Coin du Salon en 1880

beide Bilder zeigen, dass solche Ausstellungen offenbar vielbesuchte Ereignisse waren, bei denen die dicht an dicht an den Wänden hängenden Bilder nicht immer Beachtung fanden. Dagegen gesetzt haben wir eine Fotografie von der

- Galerie der 16. Ausstellung der Wiener Secession, 1903.

Deutlich wird, wie neuartig die Ausstellungsgestaltung in den Augen der Zeitgenossen gewesen sein muss. 

Auch August Klimt übernahm übrigens das Bild der Athena auf das Ausstellungsplakat der Wiener Secession :

- Gustav Klimt, Plakat für die 1. Ausstellung der Secession, 1898,

während in Berlin ein eher heiteres Sujet für die 3. Ausstellung der neuen Künstlerbewegung zum Tragen kam:

- Thomas Theodor Heine, Plakat: 3.Kunstausstellung der Berliner Secession, 1901.

Wir brauchten ein wenig um den Berliner Bären zu erkennen, der von einer jungen Frau geküsst wird. Erstaunlicherweise ist sie historisierend in einem biedermeierlichen Kleid mit Reifrock und entsprechender Lockenfrisur dargestellt, während sie - damals ganz modern für Frauen - eine Palette mit Pinseln in ihrer Linken und in der Rechten, mit der sie den Bären umarmt, einen Kranz hält. 

Als sprechenden Gegensatz dazu haben wir dann ein von dem - in dieser Zeit sehr anerkannten - Münchener Künstlerfürsten Franz von Lenbach gemaltes Porträt aufgerufen:

- Franz von Lenbach, Bismarck in Kürassieruniform, 1890. 

Besondere Bedeutung für die Abspaltung der Künstlerbewegung in Berlin hatte übrigens der sogenannte "Fall Munch". Es handelt sich um den Skandal, den die Ausstellung von 55 Bildern Munchs in Berlin im Jahr 1892 auslöste. Progressive Künstlerfreunde hatten ihn eingeladen, um auch die Berliner Kunstwelt mit der neuen Bewegung des Impressionismus in Paris und mit der von Munch vertretenen nordischen Kunst bekannt zu machen. Nach wenigen Tagen musste die Ausstellung geschlossen werden, weil die Mehrheit im einladenen "Verein Berliner Künstler" für eine Schließung der Schau stimmte. Die farbgewaltigen Bilder Edvard Munchs wurden von konservativen Künstlern und vom Publikum als roh und skizzenhaft empfunden. In dem o.g. Wikipedia-Artikel steht z.B., dass in der Kunstchronik, dem Beiblatt der Zeitschrift für bildende Kunst, von dem Kunsthistoriker und Publizist Adolf Rosenberg zu lesen war: "Was der Norweger in Bezug auf Formlosigkeit, Brutalität der Malerei, Roheit und Gemeinheit der Empfindung geleistet hatte, stellt alle Sünden der französischen und schottischen Impressionisten in den Schatten."; und dass Munch selbst nach der Eröffnung an seine Familie schrieb: „Ja, jetzt ist die Ausstellung eröffnet – und sie erweckt kolossales Ärgernis – hier gibt es nämlich eine Masse älterer elendiger Maler, die über die neue Richtung rasend sind. – Die Zeitungen schimpfen entsetzlich – doch in einigen hat man mich gelobt. – Alle Jungen aber mögen meine Bilder sehr.“

Dazu haben wir uns angesehen:

- Edvard Munch, Selbstbildnis unter einer Frauenmaske, 1893

Dabei war für uns nicht gut nachzuvollziehen, warum Rosenberg von "Formlosigkeit", "Brutalität" und "Roheit und Gemeinheit der Empfindung" sprechen konnte. Wir sahen einen nachdenklichen jungen Mann im dunklen Anzug unter einer fremdartigen bunten Maske stehen. Eine Weile verweilten wir noch zum Abschluss bei dem ganz von dem Französischen Impressionismus geprägten Bild

- Edvard Munch, Rue Lafayette, 1891.

Wir waren von dem Bild beeindruckt, dass uns zusammen mit dem Bewohner der Wohnung und des Balkons in der Rue Lafayette auf die belebte Straße herunterblicken lässt. Wie fanden uns an einem Sommernachmittag wieder und sahen, trotz der wie verwischt aufgetragenen Farbstriche, tief unter uns und Fuhrwerke durch die Straße fahren, eine Pferdekutsche von links herankommen und eine bunte Menschenmenge, die die Straße belebt. Ein Nachmittag in Paris, von wo die neue Kunstbewegung ihren Anfang nahm!