Ausschnitt aus Jan Steen, Nikolausfest (Quelle) |
Dieses Kunstsurfen fand am Nikolaustag statt, dem Tag, an dem die Kinder bei uns am Morgen Süßigkeiten und kleine Geschenke im geputzten Schuh erwarten dürfen. Deshalb war unser erstes Bild:
- Jan Steen, Das Nikolausfest, 1665 - 1668 (Dieses Bild muss man verkleinern, um es ganz zu sehen!)
Der Gegensatz zwischen dem weinenden Jungen und dem glücklichen kleinen Mädchen im Mittelpunkt fällt natürlich sofort ins Auge. Johanna machte uns darauf aufmerksam, dass noch zu ihrer Zeit in den Niederlanden der Nikolaustag der eigentliche Feiertag für die Kinder war, weil sie an diesem Tag Geschenke bekamen und nicht wie bei uns an Weihnachten. Was hat nun das kleine Mädchen bekommen? Natürlich Spielzeug!
Diesmal soll es um dieses Thema gehen, deshalb zuerst ein kleiner Exkurs: Ist Spielzeug Kunst? Kommt Spielzeug in der Kunst vor? Und wenn Spielzeug einfach nur Kindern zum Spielen gedient hat, kann es dann trotzdem zu Kunst werden? Nein, diese Fragen haben wir alle nicht beantwortet. Meiner Ansicht nach lassen sie sich auch nur beantworten, wenn man vorher ganz genau weiß, was Kunst ist. Und genau das weiß ich nun gerade nicht. Aber das Thema Spielzeug an einigen Beispielen durch die Jahrhunderte zu verfolgen, ist auf jeden Fall anregend, finde ich.
Das Mädchen auf dem Bild hält übrigens eine Puppenfigur fest, die mit einem Heiligenschein geschmückt und als Nikolaus zu identifizieren ist. Aus ihrem Eimer mit weiteren Geschenken ragt ein Stock hervor, der von einem Hahn gekrönt ist - möglicherweise eine kleine Tonpfeife? Eine weitere Puppenfigur und wohl ein roter Ball sind in dem gut gefüllten Eimer noch zu erkennen. Kuchen, Äpfel und Nüsse liegen am Boden bzw. in einem Korb und auf einem Stuhl. (Nur als Anmerkung: Der Maler hat dieses Bild für einen katholischen Haushalt gemalt. Es gibt ein weiteres von ihm, auf dem das Mädchen einen großen Printen trägt. Das ist für Protestanten gemalt! Siehe: Het Sint-Nicolaasfeest)
Wir allerdings sind zeitlich noch einmal viel weiter zurück gegangen und haben uns ein Spielzeug angesehen, das aus dem Alten Ägypten stammt. Dazu heißt es in einem Blogbeitrag zum Thema, dass Kinderspiele und Spielzeug im alten Ägypten den Spielzeugen ähnelten, mit denen Kinder heute spielen. So gab es Rasseln und Miniatur-Tiere und Menschen aus Ton, Holzspielzeuge mit beweglichen Teilen zum Hinterherziehen, z.B. hölzerne Flusspferde mit beweglichen Kiefern, Katzen und Krokodile mit beweglichen Mündern, aber auch Puppen aus Stoff, die mit Papyrusrohr gefüllt waren, Bälle aus Leder oder gewebtem Papyrus und gefüllt mit Rosshaar oder Stroh. Kegelförmige Holzkreisel mit verzierter Oberseite waren ebenfalls beliebt.
- Hölzerne Katzen/Löwen-Figur, Theben c. 1550-1070 vor Chr., (Höhe 53 mm, Länge 117 mm)
Diese kleine Holzkatze wurde in Theben gefunden. Sie steht auf einem Brett, das man ziehen kann. Ihre Augen sind aus Bergkristall und ihre Zähne aus Bronze. Sie kommen zum Vorschein, wenn der bewegliche Unterkiefer herabgelassen wird. Erinnert das Tier irgend jemanden an die Tigerente?
Wir sind zeitlich in die Welt der Antike weitergezogen. Schon damals haben Erwachsene und Kinder Würfelspiele geliebt. Allerdings würfelte man mit Knochenstückchen, den Astragalen. Das sind Sprungbeine (Mittelfußknochen) von Schafen, Ziegen oder Rindern. Damit wird übrigens in einigen Ländern auch heute noch gewürfelt. Wir haben uns die unvollständig erhaltene
- Figur eines kleinen Mädchens, 2. Jh. v. Chr.
angeschaut, das ihren Rock zu einer Tasche gerafft hat, aus der gleich die Astragale hinausfallen werden. Beeindruckt hat uns dabei die feine Fältelung des hochgebundenen Kleides, das uns an die Empiremode erinnert hat (sie heißt bei den Franzosen auch Mode à la grecque!)
Da die Erwachsenen sich mit dem Würfelspiel um Geld und Gut brachten, gab es im antiken Rom Versuche, es gesetzlich zu verbieten. Nur einmal im Jahr war das Spielen offiziell erlaubt, nämlich zum im Dezember gefeierten Fest der Saturnalien. Dazu haben wir uns angesehen
- Furius Dionysius Filocalus, Bild des Monats Dezember, im Kalender von 354 n. Chr. (Nachzeichnung in einem Manuskript des 17. Jh., Vatikanische Bibliothek, cod. Barberini lat. 2154).
Filocalus war ein spätantiker Kalligraph. Sein Kalender enthielt die ersten ganzseitigen Buchmalereien der westlichen Kulturgeschichte. Das Original ist nicht erhalten, sondern nur in mehreren Abschriften überliefert. In der Nachzeichnung steht ein winterlich gekleideter Mann neben einem Tisch mit Würfeln und einem Würfelturm (Turricula).
Würfeltürme waren kleine, oben offene Kästchen mit schiefer Ebene und Stufen. Die Würfel können oben hinein geworfen werden und fallen unten wieder heraus. So konnte man sicher sein, dass sie richtig geworfen und nicht manipuliert wurden. Ein solcher Turm aus dem 4. Jahrhundert wurde im Rheinland gefunden und befindet sich heute im Bonner Landesmuseum (zweites Bild von oben). Uns fiel im Übrigen auf, dass auf dem Bild des Kalenders schon echte Würfel mit Würfelaugen zu sehen sind.
Natürlich hat das Kalenderbild mit den Saturnalien zu tun. In einer Beschreibung heißt es, dass es einen Sklaven vor einem Spieltisch mit Löwenfüßen zeigt. Über seiner rechten Schulter hängt eine Theatermaske. In der linken Hand hält er eine mannshohe Fackel, und an einem Haken dahinter hängen tote Singvögel. Neben seinem Fuß sind zwei Früchte in Herzform zu sehen (Weintrauben?). Die Unterschrift lautet übersetzt: Die Themen des Monats überlasse ich dir, oh Dezember; (Du kannst das Jahr beenden, wie du willst).
Wir haben danach eine Puppe bestaunt
- Textilpuppe mit Goldschmuck, 2. Jh. n. Chr.,
deren Herkunft mit Ägypten angegeben wird. Sie hat echtes Haar, ein Kleid mit umstickter Halsöffnung über einem Untergewand aus feinerem Leinen, und trägt außergewöhnlichen Schmuck: Die Ohrringe sind aus echtem Goldblech, die Ringe um Hals, Fuß- und Handgelenke aus Leder mit Blattgoldauflage. Die Haartracht ähnelt übrigens der weiblichen Haarmode in der Zeit von Kaiser Hadrian (117–138) und Antoninus Pius (138–161).
Auf Puppen sind wir später noch zurückgekommen, doch als Nächstes ging es erst einmal um Ritter, Pferde und Steckenpferde
In Miniaturgröße ist der
- Spielzeugritter auf einem Pferd, Zinnfigur um 1300, (Höhe 53 mm; Breite 40 mm)
im Museum of London erhalten. Er ist die früheste in England bekannte hohlgegossene Zinnfigur und eines der frühesten Beispiele für in Massenproduktion hergestelltes mittelalterliches Metallspielzeug, heißt es auf der Museumsseite. Wir rätselten, was er trägt: Es ist eine "Hauberk" (Kettenhemd). In der rechten Hand hält er ein Schwert. Sein Helm fehlt, heißt es im Text. Leider ist das Bild nicht eindeutig, so dass wir das Gesicht nicht erkennen konnten, uns schien es wie unter einem Helm verborgen.
Wie Kinder (oder Erwachsene?) mit Ritterfiguren gespielt haben, indem sie sie an Bändern zogen und sie so miteinander kämpfen ließen, zeigt dann das Bild von
- Herrad von Landsberg, Bildseite mit kämpfenden Ritterpuppen, Hortus Deliciarum, 1167-85.
Und natürlich war Reiten eine Kunst, die jeder Junge können wollte - allerdings waren Pferde in dieser Zeit ein Luxusartikel! Aber wozu gibt es schließlich das Steckenpferd? Dieses Spielzeug muss sehr beliebt gewesen sein, denn man findet es sehr oft auf Bildern. Wir haben uns zuerst einen Ausschnitt aus dem
- Gertrudenaltar aus der Burgkirche, Lübeck 1509 (heute im St.-Annen-Museum, Lübeck)
angesehen. Die hölzernen Plastiken des Altars zeigen die Hl. Gertrud und Angehörige der Heiligen Sippe, also der Verwandtschaft Christi. Rechts neben der Heiligen ist ein Paar zu sehen, zu dessen Füssen drei kleine Kinder spielen (während die Mutter gerade ein viertes auf dem Arm hält und stillt). Das mittlere Kind löffelt Brei aus einem Topf, links bläst ein Mädchen auf einer Tonpfeife und rechts reitet ein Knabe auf seinem Speckenpferd. Der Knabe erinnerte uns daran, dass kleine Jungen früher in Hemden oder Kleidern herumliefen und erst, wenn sie alt genug waren um damit umzugehen, Männerkleidung erhielten. (Das führte zu einem Gespräch über das Tragen von Lederhosen, das in unserer Jugend noch üblich war, aber nicht jedem gefiel. Und dabei kamen wir dann auch auf die Lederhosensaga von Börries von Münchhausen ...)
Ein weiteres Steckenpferd besuchten wir auf einer Buchseite:
- Die sieben Lebensalter, in: Barthélemy l'Anglais, Le Livre des propriétés des choses, France (Anjou, Maine), 15. Jh. (Bibliotheque Nationale de France, Français 218, fol. 95).
Zu sehen ist ein Wickelkind in seiner Wiege, ein ein- bis zweijährige Kind mit einem Gerät zum Laufenlernen und links daneben ein größeres Kind im Hemd, das eine Windradlanze hält und sein Steckenpferd reitet. Auf der rechten Seite dann folgt ein Knabe in einem langen roten Kleid und ein jugendlicher Mann im modischem Wams mit einem Schwert. Auf der Bank im Hintergrund sitzt ein Mann mittleren Alters mit einem weißhaarigen Greis zusammen.
Danach sind wir noch einmal zu den Puppen zurückgekehrt. Und ja, ganz offenbar hatten auch früher schon Jungen ebenso ihr eigenes Spielzeug wie die Mädchen. Jedenfalls gibt es auf dem Bild von
- Lucas Cranach d.Ä., Christus segnet die Kinder (das Bild ganz unten auf der Seite lässt sich vergrößern)
ein kleines Mädchen, das eine Puppe in der Hand hält. Auf einem zweiten Bild mit dem selben Sujet
- Lucas Cranach d.J., Christus segnet die Kinder (mit Puppenbaby)
hält dann ein ganz ähnliches kleines Mädchen mit Zöpfen eine in Stoff eingehüllte Puppe wie ein Baby im Arm. Dazu trage ich hier noch sozusagen das Original bwz. ein mögliches Vorbild für die Puppe auf dem ersten Bild nach, nämlich diese
- Puppe (Figur einer Dame), Statuette aus Lindenholz, um 1530,Thüringen (Höhe 21 cm, Lindenholz, polychromiert)
und das Bild von einem
- Holzschnitzer, Hausbücher der Nürnberger Zwölfbrüderstiftungen, 1588,
der im 16. Jahrhundert in einem Armenhaus in Nürnberg lebte. Wir sehen ihn auf einem dreibeinigen Hocker sitzen, in der einen Hand ein Messer, in der anderen eine Holzpuppe. Am Boden liegen schon fertige Puppen und Spanschachteln herum.
Genauer betrachtet haben wir dann den holländischen Stich
- Adriaen van de Venne, Mutter und Kind am Puppenstand, 1632,
auf dem eine ganze Menge der bisher angesprochenen Spielzeuge so zu sehen sind, wie sie in dieser Zeit verkauft wurden. Die Puppen stehen auf dem Verkaufstisch, links daneben gibt es Steckenpferde und Lanzen, von oben hängen Trommeln und mehr im Hintergrund auf dem Tisch steht auch noch ein Reiter.
Bevor wir dann viele Spiele auch bei Pieter Bruegel d. Ä. wiedergefunden haben, haben wir noch schnell einen Blick auf das Bild von
- Maria Giovanna Clementi (1692–1761), Prince Vittorio Amedeo Teodoro, Duke of Aosta (1723-1725)
geworfen, der im modischen Kleid und Häubchen wie ein Mädchen angezogen, durch Peitsche und Hund aber als Junge gekennzeichnet ist. Die Frage kam auf, ob Peitschen ein Jungenspielzeug waren. Als Antwort kam der Hinweis auf den bayrisch-südtiroler Brauch des Goaßlschnalzens. Der Knabe auf dem Bild nutzt wahrscheinlich die Peitsche um seinen Hund abzurichten. Jungen spielten aber auch mit Kreiseln, die sie mit Peitschen antrieben. Das kann man auch auf dem Bild sehen:
- Pieter Bruegel d. Ä., Die Kinderspiele, 1560.
Wir haben allerdings links unten im Bild mit dem Würfelspiel angefangen: Die beiden am Boden knienden Mädchen werfen tatsächlich die uns aus der Antike bekannten Atragale in die Luft. Links davon sitzen zwei Mädchen mit Puppen. Ein Stückchen weiter rechts reitet ein Knabe auf seinem Steckenpferd und ungefähr in der Bildmitte über dem roten Zaun stehen einander zwei Kinder mit Windmühlenlanzen gegenüber. Über ihnen in der überdachten Säulenhalle findet das Spiel mit Kreiseln und Peitschen statt. Wer übrigens noch genauer hinsehen will, auf dieser Seite sind alle Spiele dieses Bildes mit Detailaufnahmen aufgelistet.
Wir sind zum Schluss noch einmal auf Weihnachten zurückgekommen und haben uns das Gemälde eines unbekannten Malers
- Weihnachtlicher Gabentisch für einen Jungen, ca. 1835-40
angeschaut. Schaukelpferd und Peitsche sind uns als Spielzeug sofort in die Augen gefallen und es gibt noch mehr zu entdecken; übrigens auch auf dem Gegenstück zu diesem Bild
- Weihnachtlicher Gabentisch für ein Mädchen, ca. 1835-40,
auf dem natürlich eine Puppe sitzt.