Mittwoch, 20. September 2023

Pablo Picasso und Guernica

Zerstörungen in Guernica, 1937 (Von Bundesarchiv, Bild 183-H25224 / Autor/-in unbekannt / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Quelle)

Pablo Picasso (1881 - 1973) ist vor fünfzig Jahren gestorben und aus diesem Anlass gibt es in der westlichen Welt einen wahren Ausstellungsmarathon zu seinem Werk. Wer sich einen Überblick über die Ausstellungen verschaffen und mal in die eine oder andere hineinschnuppern will sei auf die deutsche Seite von "kunstplaza" oder auf das Programm auf der englischsprachigen Seite „Picasso Celebration 1973-2023“ verwiesen.

Wir haben uns aus diesem Anlaß das berühmteste Bild dieses Künstlers vorgenommen:

- Pablo Picasso, Guernica, 1937, 

dessen schiere Größe von 3,49m Höhe und 7,77m Breite schon beeindruckend ist. Wer sich ausführlich mit diesem Bild beschäftigen will, kann dafür die Wikipediaseite "Guernica (Bild)" nutzen. Wir haben uns gefragt, was wir selbst auf dem Bild sehen: 

Als erstes erkannten wir das Pferd in der Mitte, das von hinten zu sehen ist und seinen Kopf dem Betrachter zuwendet - mit aufgerissenen Maul und einer Zunge wie ein spitzer Dorn. Dann sahen wir links davon am Boden Körperteile liegen - einen Arm, dessen Hand ein abgebrochenes Schwert hält; einen Kopf, der abgeschnitten zu sein scheint; einen Arm mit offener nach links ausgestreckter Hand; dazwischen Menschenbeine und den Huf und den Schwanz eines Pferdes. Das Ganze wird von oben von einer Glühbirne beleuchtet, die in einem Auge zu leuchten scheint, aus dem Zacken - oder Flammen? - nach unten strahlen. Dazu kommt von der rechten Bildseite noch Licht von einem ausgestreckten Arm herbei, der eine Kerze hält. 

Dabei rahmt das Licht von der Decke das Geschehen in der Mitte des Bildes in einer Dreiecksform ein, während von der rechten Bildseite ein geisterartiger Kopf heranweht, dessen Arm die Kerze trägt, und darunter eine Frau mit entblößten Brüsten in einer laufenden Bewegung zu stolpern scheint. Beide starren mit offenen Mündern auf das Geschehen in der Mitte. 

Diese Mitte wird auf der linken und der rechten Bildseite von zwei eigenständigen Szenen gerahmt - deshalb wird das Bild auch mit mittelalterlichen Triptychen verbunden, die als Altäre aus einem Hauptfeld mit Seitentafeln bestehen.

Links erkannten wir einen Stier, der seinen Kopf nach links dreht und über einer Frau steht, die den Kopf wie in einem Aufschrei zum Himmel gerichtet hat. Nicht so einfach war zu erkennen, dass sie ein totes Kind im Arm hält, dessen Kopf hinten über gefallen ist. Dass diese Gestalt mit der Figur der Pietá, also der den toten Christus im Arm haltenden Mutter Gottes, verbunden wird, leuchtete uns unmittelbar ein.

Die rechte Seite wirkte auf uns wie ein eigener Raum, vielleicht ein Keller oder ein Gefängnis mit einem kleinen hoch angebrachten Fenster. Darin reckt ein Mensch seine Arme zum Himmel, auch er wie aufschreiend mit offenem Mund, während sein Körper in einer Art spitzer Tüte verschwindet. Auch auf dieser Seite finden sich Zackenbänder, die allgemein bei Picasso als Symbol für Feuer angesehen werden.  

Zum Vergleich für den dreieckigen Bildaufbau in der Mitte haben wir die Grafik von

- Francisco de Goya, Verwüstungen des Krieges (1810er-Jahre)

herangezogen, bei der wir eine große innere Nähe zwischen den am Boden liegenden Toten und den am Boden verstreuten Körperteilen bei Picasso fanden. 

Dann kamen wir zu dem historischen Hintergrund von Picassos Bild: Guernica war die erste Stadt, die am 26. April 1937 einem Bombenangriff aus der Luft ausgesetzt war. Ihre Bewohner erlebten damit das erste flächendeckende Bombardement eines Krieges, bei dem es ausschließlich und vorausberechnet nur um zivile Opfer ging. Die deutsche Luftwaffe, genauer die Kampfflugzeuge der deutschen Legion Condor probierten dort mit Unterstützung der italienischen Aviazione Legionaria die großflächige Bombardierung aus, die später in Polen und England angewendet wurde. So etwas kannte man aus dem Ersten Weltkrieg nicht. Krieg und Terror erreichten damit die Zivilbevölkerung. 

- Luftbild von der Zerstörung von Guernica

Heute ist der Luftkrieg noch genauso schrecklich wie damals, aber für uns nicht mehr neu. Wir Älteren erinnern uns noch an zerbombte Häuser, die wir in der Kindheit sahen, und die Bilder von Zerstörungen in der Ukraine gehen gerade um die ganze Welt. Für die Bewohner von Guernica aber, für das Baskenland und die ganze Welt verbreitete dieser Angriff einen noch nie dagewesenen Schrecken während des Spanischen Bürgerkrieges. 

Pablo Picasso hatte schon 1936 von der spanischen Regierung den Auftrag bekommen, für den Landespavillon der Weltausstellung 1937 in Paris ein Bild zu malen. Nach Bekanntwerden der Bombardierung Guernicas verwarf er seine ursprüngliche Bildidee "Maler und Modell" und entwarf  sein Monumentalgemälde, das in Schwarz-Weiß gehalten ist und den Schrecken jenes Apriltages zeigt; eine Anklage gegen den Krieg. 

-       Nach dem Ende der Pariser Weltausstellung wurde das Gemälde in Nordeuropa und den USA ausgestellt. Die Eintrittsgelder spendete Picasso einer Stiftung für die Opfer des Bürgerkrieges. Das Bild vermachte er einer zukünftigen spanischen Republik. So blieb es während der Franco-Herrschaft von1939 bis 1981 im Museum of Modern Art in New York. Erst nachdem 1978 in Spanien freie Wahlen durchgeführt und der Militärputsch von 1981, mit dem eine neue Diktatur errichtet werden sollte, abgewendet war, kam das Bild nach Spanien zurück, wo es heute im Museo Reina Sofía in Madrid zu sehen ist.

Wir aber haben uns weiter mit dem Bild beschäftigt, indem wir nachgefragt haben, welche Rolle Pferde und Stiere in Picassos Werk spielen. Immerhin steht ein aufwieherndes Pferd im Mittelpunkt dieses Bildes und auch ein Stier ist zu sehen. Dass der Künstler vom Stierkampf seit früher Jugend fasziniert war, ist bekannt. Schon als kleiner Junge fertigte er eine Reihe von Zeichnungen an, die Matadore und Stiere darstellen.

- Stierkampf, 1898

Auf dieser Zeichnung erkannten wir schon das Thema des Kampfes zwischen Stier und Pferd, das er auch später immer wieder aufgenommen hat. Hier rennt der Stier von rechts mit gesenkten Hörnern gegen das Pferd an, auf dem der Matador mit seiner Lanze sitzt. 

Das folgende in geradezu schreiend bunten Farben gemalte Bild

- Stierkampf: Tod des Toreros, 1933

wirkte auf uns durch das zentralen Motiv des Pferdes eng verwandt mit der Darstellung von Guernica. Hier wiehert das Pferd ganz offensichtlich in Todesangst auf, denn seine Gedärme hängen aus dem aufgeschlitzten Bauch, während der bunt gekleidete Torero von dem schwarzen Stier auf die Hörner genommen worden ist und sein rotes Tuch wie eine Blutlache zu Boden sinkt.

Der Verbindung von Stier und Mensch - und damit gewissermaßen der Vorstellung von "tierischer Männlichkeit" - ist Picasso in zahlreichen Darstellungen der mythischen Figur des Minotaurus nachgegangen. Kurz nacherzählt war der Minotaurus ein Wesen mit menschlichem Körper und Stierkopf, das auf der Insel Kreta zur Welt kam und in einem Labyrinth gefangen gehalten wurde. Dort tötete ihn Theseus, der mit Hilfe des Ariadnefadens aus dem Labyrinth wieder herausfand.  

Auch in der 

-        - Minotauromachie, 1935

fanden wir das Pferd mit dem zurückgedrehten Kopf wieder im Mittelpunkt des Bildes; hier trägt es eine Frau, deren Kopf zu Boden sinkt. Von der der rechten Bildseite her wird diese Gestalt von einem übermächtigen Stierkopfmenschen überschattet, während links ein kleines Mädchen mit Blumen in der Hand die Szene mit einer Kerze beleuchtet. Von oben sehen zwei Mädchenköpfe mit zwei Tauben aus einer Fensteröffnung herab, während ganz links ein Mann wie auf der Flucht eine Leiter erklimmt. 

Diese Grafik entstand übrigens in einer Zeit, die Picasso später als schlimmste seines Lebens bezeichnete: Seine Geliebte Marie-Thérèse Walter erwartete ein Kind von ihm und seine erste Frau Olga Khokhlova war gerade ausgezogen.

Von 1930 bis 1937 arbeitete Picasso an einer grafischen Folge, die als Vollard-Suite bekannt ist und aus 100 Radierungen besteht. Benannt ist sie nach dem Kunsthändler Ambroise Vollard (1866-1939), der sie in Auftrag gab. In ihr kann man den Wandel nachvollziehen, dem die Figur des Minotaurus in seinem Werk, das ja auch Seelen- und Weltzustände spiegelt, unterlag.

Am Anfang stehen zum Beispiel Szenen wie der

- Faun, der eine schlafende Frau enthüllt (Jupiter und Antiope, nach Rembrandt), 1936

 oder das

- Bacchanal mit Minotaurus von 1933, veröffentlicht 1939,

in denen der Minotaurus als fast ganz menschlicher Verehrer weiblicher Schönheit und als lüsterner Stiermensch erscheint. Ene ganz andere Stimmung herrscht dann in den letzten Bildern des blinden Minotaurus

- Blinder Minotaurus, geführt von einem kleinen Mädchen in der Nacht, 1934-35,

in dem der Minotaurus sein Haupt zum Nachthimmel wendet und sich von einem Kind, das eine Taube - das Symbol des Friedens - trägt, führen lässt. Auffällig war für uns, dass sein Stierkopf einem Pferdekopf ähnlich geworden ist, also nicht mehr der potenten männlichen sondern der in seinen Bildern leidenden weiblichen Kreatur anverwandt ist. Hinter ihm landet rechts ein Nachen mit zwei Fischern an, von denen der Stehende durch seine gestreifte Kleidung an ein Gerippe erinnert. Vor ihm und dem Kind sitzt links eine Gestalt, die von dem Geschehen unberührt erscheint. In einem Text dazu heißt es, dass der Minotaurus hier in einer letzten Verwandlung "pathetisch, blind und impotent" wird und durch die Nacht "von einem kleinen Mädchen mit den Zügen von Marie-Thérèse", seiner damaligen Geliebten, geführt wird.