Franz Marc, Tierschicksale (Quelle) |
Im Kunstmuseum Basel läuft bis zum 19. Februar 2023 die Ausstellung "Zerrissene Moderne", in der die Ankäufe thematisiert und in ihr historisches Umfeld eingeordnet werden, die der damalige Direktor aus dem Fundus der von den Nationalsozialisten als "entartet" in den Museen beschlagnahmten Werke der Moderne getätigt hat.
Auf der Website der Ausstellung sind dazu zwei sehr informative Videos zu finden. Der eine informiert unter dem Titel "Ein neues Kunstmuseum ohne Moderne" (https://www.youtube.com/watch?v=3SvGzyzHb5k&t=10s) über den Bau und die Geschichte des Basler Museums. Im zweiten führt die Kuratorin Eva Reifert kompetent und lebendig durch die gesamte Ausstellung (https://www.youtube.com/watch?v=LazUsItSGQg - man kann die Youtube-Links kopieren und in die Browsersuchzeile eingeben oder aber auf der Website des Museums die Videos ansehen!)
Zum Hintergrund: In Basel war 1936 ein neues
Kunstmuseum eröffnet worden, aber die zeitgenössische Kunst war dort noch umstritten und kaum vertreten. Als ein Jahr später in Deutschland die an die Macht gekommenen Nationalsozialisten Werke der modernen Kunst aussortieren lassen, fragt der Basel Direktor an, ob diese Werke verkäuflich sind. Das NS-Regime beschließt "international verwertbare" Werke ins Ausland zu verkaufen um Devisen zu erhalten. 1939 wählt der Basler
Museumsdirektor Georg Schmidt in Berlin aus diesen Werken Bilder und Skulpturen aus, die er gern ankaufen würde. Dafür erhält er einen Sonderkredit, mit dem er 21
Werke der europäischen Moderne erwirbt.
Wir haben uns zuerst zwei Werke angesehen, die das Basler Museum zur Zeit seines Neubaus im Jahr 1936 schon besaß und die im ersten Saal der Ausstellung gezeigt werden, zuerst
- Louis Moilliet, Im Zirkus [3. Fassung], 1914–1915 (Wenn man auf diesen Link klickt kommt man auf eine Seite mit dem Titel "Kontrovers? Ausgewählte Werke der Sammlung", das Bild ist das zweite in der senkrechten Bildleiste, klickt man darauf, wird des vergrößert).
Um uns auf dem Bild überhaupt zurecht zu finden, brauchten wir erstmal etwas Zeit. In der Begleitschrift der Ausstellung heißt es dazu, dass das Bild "wegen seiner starken Farbigkeit zunächst auf viel Ablehnung beim Publikum stieß". Wir begannen mit dem Hintergrund, auf den der Betrachter von oben blickt. Man schaut darauf, so als ob man hinter den Kulissen steht, und sieht durch einen zur Seite gerafften bunten Vorhang auf die weit unten liegende Arena, in der ein Jongleur, zwei Clowns und ein weiterer mit einem Leierkasten ihre Kunst zeigen. Als Betrachter des Bildes sind wir aber sozusagen nicht allein. Vor uns stehen zwei große Gestalten in bunten Kostümen, einer mit dem Rücken zum Betrachter, der andere schräg von vorn gesehen, auch sie sind als Clowns erkennbar. Der Raum, in dem die beiden stehen, wird durch die schrägen Linien von zwei bunt gestreiften Stangen und mehreren Kästen verstellt. Auf letzteren sitzen ein Papagei und zwei kleine Äffchen. Moilliet war 1914 mit Paul Klee und August Macke nach Tunesien gereist und schrieb zu diesem Gemälde, dass ein Bild nicht des Motives wegen gemalt sei, sondern dass sein Wunsch war, "die Energien und Raumbilder in den Wirkungen der Farbe zu erkennen." Auf uns macht das Bild einen heiteren Eindruck und von den heutigen Sehgewohnheiten her, konnten wir die zeitgenössische Ablehnung nur schwer verstehen.
Viel stärker abstrahiert ist das ebenfalls schon vor 1936 angekaufte Bild von
- Paul Klee, Senecio (Baldgreis), 1922.
Die eigentümliche Augenstellung fiel als erstes als "Schielen" auf, wobei natürlich allen auf den ersten Blick klar war, dass es sich um einen menschlichen Kopf handelt, der in geometrische Formen und ungewöhnliche Farben - besonders die roten Augen! - aufgelöst ist. Auf Wikipedia heißt es, dass das Bild sowohl von der afrikanischen Masken- und Puppenkultur als auch von der am Bauhaus postulierten Formensprache - bestehend aus Quadrat, Dreieck und Kreis - beeinflusst ist. Klee wurde übrigens nach der Machtübernahme von 1933 von seinem Professorenposten an der Düsseldorfer Kunstakademie verdrängt und zog in seine Heimatstadt Bern zurück.
Der zweite Saal in Basel beschäftigt sich mit Beschlagnahmung und Ausstellung der "Entarteten Kunst" 1937 in Deutschland. Dafür haben wir den historischen
aufgerufen und dort die erste Seite aufgeblättert, auf der unter anderem das Bild von Marc Chagall "Die Prise" zu sehen ist, ein Bild, das in Basel angekauft wurde. Parallel zu der Ausstellung "Entartete Kunst" wurde im neuerbauten Haus der Deutschen Kunst in München die erste „Große Deutsche Kunstausstellung“ gezeigt, die hier im Internet nachzuvollziehen ist. Wir haben daraus das Foto von Raum 15 mit dem Bild von
- Thomas Baumgartner, Bauern beim Essen (Im Foto ist es an der Rückwand zu sehen.)
angesehen und es mit dem Bild von
- Ernst Ludwig Kirchner, Bauernmittag, 1920
verglichen. Gegenüber dem Bild von Baumgartner, in dem sozusagen die "heile" deutsche Bauernfamilie um einen Tisch versammelt ist, beeindruckte uns die Ausdrucksstärke und die geradezu rücksichtslose Farbigkeit des Bildes von Kirchner, das übrigens einst der Hamburger Kunsthalle gehörte. Kirchners Gestalten haben trotz der Abstraktion jeweils ihren sehr eigenen Charakter, wobei wir als Betrachter uns von dem in Rückenansicht dargestellten Mann über die Schulter angesehen fühlten, mit der Frage: "Was willst du denn hier?"
Beschlagnahmt und als "entartet" verfemt wurden auch Bilder des damals schon bekannten Malers Marc Chagall, der als Jude in Deutschland keine Zukunft mehr hatte. Sein Bild
- Marc Chagall, Die Prise [Rabbiner], 1923–1926
hatten wir schon im o.g. Ausstellungsführer gesehen. Als wir es als farbiges Original aufgerufen haben, beeindruckte uns der starke Farbkontrast, in dem die leuchtend gelben, schwarzen und grünen Flächen gegeneinander gesetzt sind. Er verleiht dem Bild eine gewisse Flächigkeit, aus der das Gesicht des jüdischen Rabbiners mit seinen Schläfenlocken plastisch hervorsticht. Der Rabbiner führt eine Prise Schnupftabak zur Nase - im Gegensatz zum Rauchen ist dieser Genuss am Sabbat erlaubt. Wir sehen ihn also am Sabbat über einem Buch am Tisch sitzen. Nicht nur ist hier unverkennbar ein jüdischer Rabbiner ins Zentrum gerückt, auch der teppichartige Behang hinter ihm weist mit Davidsstern und hebräischen Buchstaben auf das Judentum hin. Damit war dieses Werk unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten der Diffamierung ausgesetzt: Schon 1933 wurde es in der Femeausstellung Kulturbolschewistische Bilder in Mannheim gezeigt und später aus dem Museum entfernt.
Zu den verfemten Kunstwerken gehörten auch die Bilder von Georg Grosz. Die Nationalsozialisten hassten diesen Maler, der jedwede demokratiefeindliche Strömung ablehnte und in seinen Bildern soziale und politische Missstände anprangerte. Wir haben
- George Grosz, Schönheit, dich will ich preisen (plate, folio 22) aus "Ecce Homo 1922–23"
aufgerufen und uns über den Titel gewundert. Das Mappenwerk Ecce Homo, aus dem dieses Bild ist, beschäftigt sich kritisch mit den Zuständen in der Weimarer Republik. Man sieht in ein Café und natürlich fällt als erstes die fast nackte Frau im Vordergrund ins Auge, die an einem eckigen Tischchen sitzt und zu der aus dem Hintergrund eine - vollständig bekleidete - Frau hinüberblickt, die anscheinend gerade das Café verlassen will. Zwischen den beiden sitzen vereinzelte kahlklöpfige - und in meinen Augen ziemlich häßliche - Männer. Bis auf die Frau im Hintergrund starren alle Personen in diesem Bild vor sich hin, blicken entweder nach rechts oder nach links aus dem Bild hinaus, während der Betrachter durch den Raum hindurch in die Nacht blickt, in der die Fenster großstädtischer Gebäude schwach erhellt sind. Trotz der bunten Farbigkeite eine düstere, kahle und erschreckend sexualisierte Szene des Stadtlebens fanden wir.
Diese beiden Künstler gehörten zu jenen, die schon berühmt waren, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. In Basel werden auch Bilder von Künstlerinnen und Künstlern ausgestellt, die zu diesem Zeitpunkt noch am Anfang ihrer Karrierre waren und denen durch die Verfemung die Möglichkeit genommen wurde, ihre Kunst einem größeren Publikum vorzustellen. Ihre Kunst spiegelt das Leben der 1920er-Jahre, etwa Mangel und Überfluss im Großstadtleben, Massenarbeitslosigkeit und politische Radikalisierung. Die meisten beschlagnahmten Werke dieser noch relativ unbekannten Generation wurden von den Nationalsozialisten zerstört, weil man sie nicht gewinnbringend veräußern konnte.
Zu ihnen gehört zum Beispiel Franz Frank (1897-1986) mit seinem Bild:
- Franz Frank, Proletarier - später umbenannt in "Die Arbeitslosen", 1928 (Achtung, es öffnet sich die Website dieses Künstlers, das genannte Bild ist das zweite von links in der obersten Reihe, es lässt sich durch Klicken vergrößern.)
Beim Betrachten hatten wir das Gefühl mit einer Menschenwand konfrontiert zu sein, die durch ihre Dichte und düstere Farbigkeit etwas Bedrohliches hat, und zugleich stellten wir fest, dass der Künstler jedem in dieser Reihe seine eigenen Persönlichkeit gegeben hat, von der alten Frau auf der linken Bildseite, über die junge Frau mit dem Mädchen in der Mitte und den Männern auf der rechten Seite. Sie alle schauen uns als Betrachter irgendwie abwartend an. Sie wirken nicht aggressiv, sondern eher so als ob sie selbst eine Szene beobachten, die sich zwischen dem Betrachter und ihnen abspielt. Im Begleittext des Museums heißt es dazu: " 'Da steht, Kopf an Kopf, dumpf und schweigend, das Heer der Arbeitslosen', beschrieb Franz Frank dieses monumentale Gemälde, das er als sein Hauptwerk erachtete. ... der Künstler arbeitete mit Modellen aus einer nahe gelegenen Armenküche. ... Von 1928 bis 1933 war der Künstler bei zahlreichen Ausstellungen vertreten. Die Stadt Dresden und der Staat Sachsen erwarben Gemälde von ihm. Nach 1933 weigerte sich Frank, in die NSDAP einzutreten, weshalb er in der Folge aus seinem Amt als Dozent an der Pädagogischen Akademie in Kassel entlassen wurde. Weil nach dem Zweiten Weltkrieg die Abstraktion stilistisch dominierte, geriet seine Malerei in Vergessenheit."
Die Hamburger Künstlerin Anita Rée stammt aus einer jüdischen Familie, war aber protestantisch getauft und erzogen. Trotzdem wurde sie aufgrund der perfiden Einordnung der Nazis diffamiert. Schon vor der
Machtübernahme bekam sie immer weniger Aufträge.
1932 zog sie von Hamburg nach Sylt um. Dort nahm sie sich 1933 das Leben. Ihr Werk
- Anita Rée (1885–1933), Weisse Nussbäume, 1922–1925
gilt als Hauptwerk der Neuen Sachlichkeit. Mit dieser Kunstrichtung fanden die Malerinnen und Maler wieder zum Gegenstand und zu einem klaren Bildkonzept zurück. Für uns dominierte in dem Bild die Kargheit und Kahlheit der dargestellten Welt. In dieser Welt fehlen die Menschen, obwohl sie doch einen ganz offensichtlich von und für Menschen gemachten Ort zeigt. Kahl sind die weißen Baumstämme, karg die glatten Hauswände, ummauerte Wege und haltlose Treppen führen durch diese Ansiedlung. Rechts von dem Haus in der Mitte scheint es eine Fläche für einen Garten zu geben, doch dort wächst nichts, nur braune Erde ist zu sehen. Uns vermittelte dieses Bild noch heute eine große Traurigkeit und Leere.
Damit sollte die Stunde aber nicht enden, deshalb haben wir zum Schluss das Bild
- Franz Marc, Tierschicksale (Die Bäume zeigten ihre Ringe, die Tiere ihre Adern), 1913
aufgerufen, dem die Ausstellung ihren Titel verdankt. Nach Dem Tod des Künstlers im Ersten Weltkrieg, war das rechte Drittel des Bildes bei einem Brand zerstört worden. Der mit Marc befreundete Paul Klee restaurierte es 1919 anhand von Vorstudien und Werkabbildungen, machte dabei seinen Eingriff aber durch die Verwendung deutlich dunklerer Töne sichtbar. Das Gemälde galt 1937, als es beschlagnahmt wurde, schon als eines der Hauptwerke Marcs und der Baseler Museumsdirektor vereinbarte seinen Ankauf, noch bevor ihm der Sonderkredit zum Erwerb "entarteter" Kunst zugesagt war.
Uns führte das im Gegensatz zu der Neuen Sachlichkeit von Anita Rée noch einmal zurück zum Expressionismus. Die Darstellung verschiedener Tiere ist fast bis zur Unkenntlichkeit zersplittert, aber mit Hilfe von Haralds Kenntnis der Kunst von Franz Marc konnten wir uns einsehen: Wir fingen in der unteren rechten Ecke an, wo vier dunkelrote Füchse dicht nebeneinander gemeinsam nach links oben ausgerichtet am Boden stehen. Links daneben steht ein blaues Reh, und links davon durchpfügen zwei Schweine den Boden. Über ihnen ist in grün ein Pferdepaar zu erkennen, das Pferd ganz links kommt auf den Betrachter zu und wendet seinen Kopf nach rechts, rechts daneben rennt das zweite Pferd nach rechts und wendet seinen Kopf zu seinem Gefährten zurück. Zerrissen wird das Bild durch zackige Formen, die es von den Ecken her durchkreuzen, die das Gefühl eines wilden, ver- und zerstörenden Durcheinanders vermitteln: "Zerrissene Moderne"