Freitag, 14. Oktober 2022

Bildsteine auf Gotland

Mit dem europäischen Projekt von Senioren-Lernen-Online war ich im September auf Gotland und habe dort die gotländischen Bildsteine aus dem 1. Jahrtausend n. Ch. kennengelernt, die für die Insel besonders typisch sind. Eine ganze Reihe davon sind im Fornsalen, dem Gotländischen Museum in Visby ausgestellt. Nachdem ich sie dort vor Ort gesehen habe, fand ich, dass wir sie beim Kunstsurfen gemeinsam virtuell betrachtet sollten.

Bildsteinhalle im Fornsalen, dem Gotländischen Museum in Visby, Gotland (Foto B. Leisner 2022)
Auch wenn diese Bildsteine z.T. sehr groß und schwer aussehen, so sind sie im Laufe der Jahrhunderte auf unterschiedliche Weise wahrgenommen worden und stehen zum großen Teil nicht mehr an ihrem ursprünglichen Aufstellungsort. So wurden sie z.B. vom 12. bis zum 14. Jahrhundert gern in Wände, Mauern oder Böden der vielen Steinkirchen eingefügt, die damals auf Gotland errichtet wurden. Einige der Bildsteine kann man dort heute noch sehen. Außerdem nahmen die Steinstelen auf Gotland zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Formen an. Die frühesten Steine konnten übermannshoch sein und stammen wohl aus dem 4.-5. Jahrhundert n.Ch., später wurden die Stelen kleiner, bis sie in der Wikingerzeit - reich mit Bildschmuck versehen - wieder in die Höhe wuchsen. Diese letztgenannten Steine wurden anscheinend gern an Verbindungswegen - sozusagen als Grenzsteine - aufgestellt, während man von den meisten anderen Steinen annimmt, dass sie im Zusammenhang mit Bestattungen stehen, weil man dort oft Brandreste gefunden hat.

Als ersten haben wir den folgenden Bildstein aufgerufen und von oben nach unten genau angesehen:

- Bildstein mit Wirbelkreisen und Schiff, 400–500 n.Chr. (Sanda kyrka VI)  

Uns fiel auf, dass ganz oben eine doppelte Bordüre mit runden Wellenformen den Stein abschließt. Die Bordüre begleitet als einfache Linie auch die Ränder, nimmt dort aber eine eckige Form an. Dabei haben wir dann gleich noch den Unterschied zwischen der Ornamentform des Mäanders und des "Laufenden Hundes" geklärt. Unter der Bordüre haben wir eine rankenartige Form gesehen und darunter eine große Kreisform, die nach außen strahlt und in sich zu wirbeln scheint. Unter ihr sind zwei kleinere Kreisformen mit unterschiedlichen Innenmustern, um die sich jeweils eine Schlange zu winden scheint. Auch diese Formen strahlen nach außen und haben ein wirbelndes Muster im Inneren, wobei das auf der rechten Seite die Assoziation Mond und Sterne hervorrief. Darunter folgt dann eine dünne Linie, auf der ein schütteres Bäumchen steht. Ist es die Weltenesche Yggdrasil, die Himmel, Erde und Unterwelt verbindet? Auf jeden Fall befindet sich darunter eine drachenartige Figur. 

Zur Zeit werden die Bildsteine von einem jungen Wissenschaftler neu untersucht, der moderne bildgebende Verfahren anwendet. Zu diesem Stein gibt es ein 

- Video (ab 2:13 zu der unten erwähnten Figur des "Drachentöters").

Darauf ist zu erkennen, dass vor dem Drachenkopf wahrscheinlich ein "Drachentöter" mit einem Schwert zu sehen war. Unter dieser Szene folgt dann eine Barke mit Ruderern und einem Baldachin der Kreisformen trägt, über die wir eine zeitlang gerätselt haben. In der sehr interessanten Führung, die ich im Gotlandmuseum mitmachen konnte, hatte uns Kathleen Gow Sjöblom den Stein folgendermaßen erläutert: Die große Kreisform oben könnte die Sonne sein, wie sie mittags am Himmel steht, dann wären die beiden kleinen Kreise die aufgehende und die untergehende Sonne und damit wäre der sichtbare Lauf der Sonne dargestellt, unter der Linie - also in der Unterwelt wird die Sonne dann - ähnlich dem ägyptischen Glauben - in einer Barke wieder zur anderen Seite gebracht. Frau Sjöblom wies dabei darauf hin, dass das Schiff auf diesem Stein nicht die Form der Wikingerschiffe hat. Deshalb haben wir noch einmal geschaut, wie denn die ägyptischen Sonnenbarken aussehen können, die den Sonnengott nachts zur anderen Seite der Erde bringen:  

- Sonnenbarke aus dem Pfortenbuch im Grab von Ramses I (KV 16) 

Aber noch auf eine andere Verbindung, die nicht ganz so weit zurückreicht, wird in der Literatur zu den Bildsteinen hingewiesen. Die Kreisformen können nämlich mit römischen und früh-christlichen Mosaiken verglichen werden. Das haben wir besonders mit dem folgenden Bild für den großen Wirbelkreis nachvollzogen: 

- Fußbodenmosaik Römisches Nationalmuseum, Palazzo Massimo, frühes 3. Jahrhundert n.Chr. 

Bildstein eingemauert in die Wand der Kirche von Bro (Foto Leisner)
Der Autor schreibt dazu: "Die Wirbelrosetten erweisen sich dabei als aus Dreiecksfeldern aufgebaut, was besonders auf einem der Bildsteine von Bro (siehe Foto) hervortritt, und dieser Zug ist auch für die Wirbelrosetten der Mosaike durchgehend charakteristisch. Die Mäander-, laufender Hund- und Delphinborten etc. der Bildsteine haben ebenfalls gute Analogien bei den Mosaiken, wie auch die Zwickelfüllungsmotive in Form von Delphinen, Seepferden und ähnlichem. Es ist weiterhin nicht schwer, Parallelen zu den Reiterfiguren des Martebosteines oder zu den Kriegern des Steines von Vallstena zu finden. Sie sind alle römisch inspiriert. Dass die Bildsteine von einheimischen Meistern gemacht worden sind, geht u. a. daraus hervor, dass viele Motive falsch verstanden und plump ausgeführt worden sind." (zitiert nach Wilhelm Holmqvist: Die ältesten Bildsteine Gotlands und ihr Motivkreis, in: Fornvännen 1-20, S. 20)

Als nächstes haben wir den aus der mittleren Zeitperiode stammenden kleinen

- Schlangen-Hexen (Ormhäxan) Stein,

der sich ebenfalls im Gotländischen Museum in Visby befindet. In der Bildunterschrift heißt es, dass man trotz der Bezeichnung des Steins nicht sicher weiß, ob eine Gottheit dargestellt ist. Es fiel auf, dass Hexe automatisch mit Göttin gleichgesetzt wird und wir kamen damit auf ein weites Thema, das mit der christlichen Überformung sogenannter heidnischer Kulturen verbunden ist. 

Auf diesen Stein sitzt eine nackte Frauenfigur breitbeinig am Boden. Es muss eine Frau sein oder? Man kann keine Brüste erkennen, aber auch keine männlichen Sexualorgane. Was trägt sie auf dem Kopf? Eine Krone, oder nur ein Haarband und seitlich aufgeknotete Haare? Und was trägt sie in den Händen? Zwei Schlangen? Oder hält sie nur in ihrer linken Hand eine Schlange und in der rechten ein zwar geschlängeltes, aber wesentlich dickeres Tier mit einem Schnabel? Auf Wikipedia ist zu lesen, dass die Schlange als Fruchtbarkeitssymbol in nahezu allen Ackerbaukulturen verbreitet ist. Die Verbindung haben wir mit diesem Bild gezogen:

- „Schlangengöttin“ oder Priesterin, aus dem Palast von Knossos 

Auch die Fruchtbarkeitsgöttin Ceres bzw. Demeter wird mit Schlangen dargestellt, allerdings habe ich leider nicht herausfinden können, wo dieses Relief sich befindet. Auf Wikipedia wird übrigens auch auf die zeitgleichen Darstellungen der Sheela-na-Gig in Irland hingewiesen. 

Über dieser Frau ist eine sogenannte Triskele dargestellt. Wir haben die Linien nachvollzogen, die aus einem in sich verflochtenen Band bestehen, wobei daraus Enden mit Tierköpfen herausragen: eine Schlange, ein Vogel und ein Eber (sein Hauer ragt aus dem Maul) sind zu erkennen. Übrigens hat unsere Führerin im Museum diese drei Tiere mit den drei "Geistesgiften" des Buddhismus verbunden, die durch diese Tiere symbolisiert werden: der Hahn steht für die Gier, die Schlange für Hass und Aggression und das Schwein für Verblendung und Unwissenheit.

In die Wikingerzeit sind wir dann mit dem 

- Bildstein Hunninge I 

gekommen. Auch er lässt sich wieder von oben nach unten lesen. Im obersten Feld erkannten wir einen Reiter - das Pferd im vollen Galopp hat uns besonders beeindruckt - mit Lanze und Schild; darüber zwei mit Schwerten gegeneinander kämpfende Männer; rechts davon eine Frau mit einem Horn in der Hand, unter ihr einen Hund und links von dem Reiter einen merkwürdigen schwebenden Mann mit einem Ring in der Hand, den wir uns nicht erklären konnten. Mit dieser Darstellung ist wohl das germanische Walhalla gemeint, das als Kriegerparadies galt, in das nur überaus tapfere Krieger kamen, die von den Walküren ausgewählt wurden. Tagsüber übten sie sich in Kampfspielen und Zweikämpfen, abends feierte man. 

Das Wikingerschiff mit Segel und bewaffneten Männern darunter, das auf hohen Wogen durch das Meer fährt, ist leicht zu erkennen. Dann erkannten wir ein Rechteck mit Schlangen und einer menschlichen Figur, in das eine Frau tritt. Es wurde bisher als König Gunther in der Schlangengrube interpretiert. Allerdings wurde gerade mit neuer Ausleuchtungstechnik erkannt, dass eine Frau in dem Rechteck zu sehen ist. Zu den neuen Forschungen gehts hier (bei 2:27 ist mehr zu der Frau in der Grube zu sehen und bei 4:00 wird auf mögliche Interpretationen eingegangen) 

Wir hatten aber nur noch Zeit einen letzten Bildstein anzusehen, der eine ganz ähnliche Darstellung von Walhalla und ebenfalls darunter ein Wikingerschiff zeigt:

- Bildstein aus Tjängvide c. 700-900 n.Chr.

Das Pferd auf diesem Stein hat acht Beine und lässt sich damit als Odins Pferd Sleipnir identifizieren, das sich sowohl zu Lande, wie im Wasser und in der Luft fortbewegen kann. Dieser Stein trägt übrigens eine Runeninschrift, die darauf hindeutet, dass er als Gedenkstein bzw. Grabdenkmal errichtet worden ist.