Flämisches Stundenbuch, Quelle: The Walters Art Museum (s.u.) |
Auf der Website des The Public Domain Review fand ich eine umfangreiche Sammlung von Bildern, von denen wir einige betrachtet haben.
Auch das englische Wikipedia besitzt eine schöne Seite zum Snowball fight und natürlich habe ich auch selbst noch ein wenig in Museen und Sammlungen online "im Schnee gestöbert" und außerdem noch diese Seite aus Russland gefunden.
Schade ist natürlich, dass man in einer Stunde nur so wenige Bilder gemeinsam betrachten kann...
Angefangen haben wir mit der Dezember-Seite eines französischen Stundenbuches
- Stundenbuch der Adelaide von Savoyen, folio 012v - 013, ca. 1460-1465 (Chantilly, Musée Condé, Ms. 76)
Stundenbücher sind Gebet- und Andachtsbücher, die in der Mitte des 13. Jahrhunderts aufkamen und im Spätmittelalter beim Adel und im reichen Stadtbürgertum sehr beliebt waren. Wie dieses Buch enthalten sie oft einen kalendarischen Teil, in dem die Namenstage der Heiligen aufgeschrieben sind. Hier haben wir zuerst an diesen Namen herumgerätselt, bevor wir uns das rahmende Bild näher angesehen haben und damit mitten hinein in die Winterwelt einer mittelalterlichen Stadt geraten sind. Hinter ihr erstreckt sich eine weite Landschaft mit kegelförmigen Bergen. In den Gassen der Stadt ist ordentlich was los: Rechts und links vom Textfeld bewirft sich jeweils eine Männergruppe mit Schneebällen; darunter sind Frauen und Männer - und auch ein Kind - jeweils in derselben Werferpose abgebildet; in der Mitte rollen zwei Männer eine große Schneekugel; nur ganz links schiebt ein Mann seine Karre, auf die er Lampen und Blasebälge geladen hat, und im Hintergrund schaut ein Mann aus den Ladenfenstern dem Zeitvertreib der anderen zu.
Auf dem Programm stand eine weitere- Stundenbuchseite mit Schneeballschlacht, Stil des Meister von Charles V, flämish, ca.1500 - 1520.
Auch hier erscheint der Dezember in der Schrift. Rätsel gab uns das Tier in dem ovalen Feld am rechten Rand auf, das ein Widder sein könnte. Tatsächlich handelt es sich um das Tierkreiszeichen des Steinbocks (Capricornus). Da die Sonne sich in der Zeit zwischen 22. Dezember und 20. Januar in diesem Zeichen befindet, wurde er in den mittelalterlichen Stundenbüchern mehrfach auf der Dezemberseite dargestellt. Doch das nur am Rande, denn eigentlich geht es ja um die drei Jungs, die sich auf dem Bild mit Schneebällen bewerfen. Jeder hat seine eigene Haltung und sie sind in wilder Bewegung: Der eine beugt sich hinunter und rafft Schnee zusammen, der andere - nur in Rückenansicht zu sehen und mit einer warmen Gugel (einer Mütze, die über Kopf und Hals reicht) bekleidet - will gerade werfen und der dritte rennt kurz vor dem Abwurf seines Geschosses auf ihn zu und alle haben schon Schneebälle abbekommen! Aber - liegt da vor dem mit dem roten Hemd ein Stein am Boden? Hoffentlich nicht oder? Die Bockwindmühle im Hintergrund, zu der ein Bauer seinen Esel zerrt, hat uns dann auch klargemacht, warum dieses Bild bzw. das Buch, aus dem es stammt, als flämisch eingeordnet wird.
Danach haben wir das Bild
- Pieter Breughel d.Ält., Die Volkszählung zu Bethlehem, 1566
aufgerufen und sind mit dem Link gleich mitten in die nächste Schneeballschlacht geraten. (Man kann das Bild vergrößern und auch so verkleinern, dass man es ganz sieht!) Als erstes fiel uns die Frau mit dem Besen ziemlich in der Mitte des unteren Randes unseres Bildausschnitts auf. Sie fegt den Schnee weg und neben ihr schliddern zwei Jungen auf einer Eisbahn. Also fegt sie für sich eine Eisbahn frei oder? Im Bild oberhalb von ihr balgen sich ein Mann und eine Frau, er liegt am Boden, sie seift ihn ein! Und rundherum die Gestalten machen Scheebälle auf Vorrat und werfen. Die Schneeballschlacht ist wirklich voll im Gange. Natürlich ist auf dem Bild noch viel mehr zu sehen. Es geht schließlich um die Volkszählung von Bethlehem, zu der auch Josef und die hochschwangere Maria aufgebrochen sind. Am unteren Bildrand reitet Maria auf einem Esel, den Josef zusammen mit einem Ochsen führt, über den Knüppeldamm zu dem Haus, vor dem die Zählung stattfindet. Nebenbei wird dort auch ein Schwein geschlachtet, schließlich ist es mitten im Winter. Diese Jahreszeit wird übrigens auch in manchen Bildern der Stundenbücher nicht nur mit einer Schneeballschlacht, sondern auch mit der Darstellung des Schweineschlachtens verbunden.
Danach haben wir die europäische Kunst verlassen und sind nach Japan übergewechselt:
- Utagawa Toyokuni I, Kurtisanen und Dienerinnen (alternativ heißt es auch eine Edelfrau und ihre Dienerinnen) machen eine große Schneekugel, um 1796
Die schlanken eleganten Frauengestalten haben uns beeindruckt. Bei näherem Hinsehen haben wir unterscheiden können, wer in diesem Bild welche Rolle spielt. In der Mitte beschirmt eine Dienerin ihre Herrin. Beide schauen den am Boden hockenden Frauen zu, die damit beschäftigt sind eine riesige Schneekugel zu formen, während sich links davon eine Dame elegant auf eine Schneeschaufel stützt und von rechts drei weitere Frauengestalten hinzutreten. Die Kleine ganz rechts friert ordentlich an den Fingern! Auffällig ist die Teilung des Bildes in drei Personengruppen, die eigentlich auch allein für sich stehen könnten. Kommt sie nur zustande, weil dafür drei Bildstöcke hergestellt werden mussten?
Kinder sind auf dem kostbaren goldenen Kästchen für Räucherwerk dargestellt, das ebenfalls aus Japan stammt:
- Räucherwerk-Box mit chinesischen Kindern, die mit Schneebällen spielen, Japan 18. Jh.
(Ein Hinweis: Unter dem Bild, das mit dem Link aufgerufen wird, befindet sich eine Reihe mit kleineren Bildern. Das 14. Bild dieser Reihe zeigt das Deckelbild von oben.)
Dort kann man sehen, dass es sich bei den silbernen Einlagen um Schnee handelt, der auf den Ästen liegt und - wie Staub - in der Landschaft verteilt ist, während die Kinder mit den offenbar typischen an den Kopfseiten hochgebundenen Haaren ihn zu einer Kugel geformt haben. (Ganz nebenbei kann man beim Anschauern der Bilderreihe auch entdecken, wie kunstvoll dieses Kästchen insgesamt gearbeitet ist!) Der Kleine rechts, der am Boden Schnee aufrafft, hat uns in seiner Haltung sehr an das Kind von der flämischen Schneeballschlacht erinnert.
Ein großer Schneeball wird auch in der kleinen Porzellanplastik (9 cm hoch) geschoben
- Schneeball geschoben von Hotei und einem Kind, Japan Mitte 19. Jh.
Hotei ist in der japanischen Mythologie einer der "Sieben Götter des Glücks". Das ist eine Gruppe von Gottheiten, die das ganze Jahr über durch Japan reisen und sich zum Segen des neuen Jahres versammeln. Hotei wird gern als fröhlicher Mönch mit einem großen nackten Bauch dargestellt, der von Kindern begleitet wird. Wegen seines Bauches wird er auch als lachender Buddha karikiert. Als Wanderer im Leben und im Tod ist er stets einfach gekleidet. Sein Name kann direkt als "Leinensack" übersetzt werden. Diesen namensgebenden Sack trägt er immer bei sich. Es ist ein magischer Beutel voller Schätze, die er bereitwillig austeilt und damit seinen Anbetern und anderen, denen er begegnet, Glück und Segen schenkt. Wir haben gerätselt, was er sich am Rücken in seinen Gürtel gesteckt hat: Tatsächlich wird Hotei manchmal mit einem Uchiwa, einem flachen chinesischen Fächer, dargestellt. Dieser gilt als Zeichen von Autorität und zugleich der Wunscherfüllung.
Und dazu kamen dann kurz noch einmal drei kleine Chinesen, weil sie so niedlich aussehen:
- Pinselablage in Form von Jungen mit einem Schneeball, 1800-1830, Japan (Höhe 11,8 cm)
Übrigens hat auch hier einer kalte Finger, die er anhaucht; kein ganz unbeliebtes Motiv in Verbindung mit dem Winter oder? Gleichzeitig aber kann man sich nicht sicher sein, dass der Künstler wirklich Kinder dargestellt hat, die Gesichter wirken ein wenig wie Karikaturen, scheint mir.
Mit dem nächsten Bild sind wir zwar beim Thema "Kinder und Schnee" geblieben, aber wieder nach Europa zurückgekehrt und im 19. Jahrhundert gelandet:
- Joseph Brodtmann, Schneeballschlacht, aus: "50 Bilder aus der Jugendwelt", S. 13 1831
Das Buch, aus dem das nachträglich colorierte Bild stammt gibt es hier.
Wir haben uns gefragt, wo diese Kinder spielen und wer sie sind. Die Frage nach der Örtlichkeit, war leicht zu beantworten. Diese Schneeballschlacht findet auf dem Dorf bzw. in einer eher ländlichen Umgebung statt. Von dem Haus, in dessen ummauerten Hof die Kinder spielen, blättert schon der Putz ab. Aber wer tritt da gegen wen an? An dieser Schlacht sind nur Knaben beteiligt und sie kämpfen in zwei Gruppen. Sie unterscheiden sich allerdings kaum. Jeweils drei Kinder, die Anzüge mit Westen tragen, und ein Junge im Handwerkerkittel sind gegeneinander angetreten. Sie tragen unterschiedliche Mützen und Hüte und haben Holzschuhe an den Füßen - das einzige Indiz, das darauf verweist, dass sie nicht besitzenden Schichten zugehören. Auch in der Darstellungsweise entsprechen sie sich: In beiden Gruppen gibt es ein Kind, das am Boden Schnee aufsammelt, und jeweils drei, die in Wurfhaltung dargestellt sind. Ganz offensichtlich ist der Künstler nicht unbedingt darauf aus in seinem Bild gesellschaftliche Zustände zu spiegeln, sondern will eine Genreszene vorführen. So schreibt der Herausgeber denn auch im Aufruf zur Subskription der Sammlung, aus der das Bild stammt: "Die angenehmste Erinnerung gewährt uns immer der Rückblick auf die glücklichen Jahre der Kindheit und Jugend" und behauptet, dass seine Bilder von ausgezeichneten Künstlern entworfen worden sind.
Als Abschluss dieser kleinen Reihe von Schneebildern gab es dann noch die erste Schneeballschlacht im Film zu sehen
- Louis Lumière, Bataille de Boules de Neige, 1896 Film auf youtube (Achtung vor dem Filmbeginn gibt's Werbung!)
und natürlich die Frage, ist diese Schneeballschlacht gestellt, oder hat sich Lumiere mit seiner Kamera am Straßenrand gewartet, bis ein paar Leute angefangen haben Schneebälle zu werfen? Was meinen meine geneigten Leser und Leserinnen, denen ich hiermit ein
Frohes Weihnachtsfest und ein Gutes Neues Jahr
wünsche?