Sonntag, 17. Oktober 2021

Der litauische Maler und Komponist Čiurlionis

Der Morgen von Mikalojus Konstantinas Čiurlionis - ciurlionis.eu, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18576749

Irgendwo, irgendwie und irgendwann - und weil ich mit zwei europäischen Projekten von Senioren-Lernen-Online Litauen besuchen durfte! - bin ich auf das Werk von Mikalojus Konstantinas Čiurlionis (1875-1911) gestoßen, dem in Kaunas ein eigenes Museum gewidmet ist. Seine Bilder haben mich auf ihre besondere Weise fasziniert. Also haben wir uns beim Kunstsurfen zuerst ein wenig mit dem Symbolismus befasst und dann einige Werke von Čiurlionis betrachtet.

Zur Einführung eine kurze Zusammenfassung der längeren Ausführungen unter dem obigen Link: Die Maler und Malerinnen des Impressionismus, die als erste zum Malen nach draußen ins Freie gingen, legten die Betonung auf die Realität, die von ihnen als Licht und Farbe wiedergegeben wurde.

Dagegen übersetzt der Symbolismus - es gibt diese Strömung sowohl bei den Künstlern wie bei den Literaten - Ideen in Symbole und betont die Bedeutung der Linien und Formen. Damit läutet er das Ende der Tradition der gegenständlichen Kunst ein und gilt sozusagen als Vorreiter der Moderne. Schon in symbolistischen Bildern gibt es neue und oft abstrakte Mittel, um eine psychologische Wahrheit auszudrücken, und es gibt die Vorstellung, dass hinter der physischen Welt eine spirituelle Realität steht.
 


Wir haben uns zuerst mit einigen als typisch anerkannten Gemälden des Symbolismus beschäftigt, um diese Kunstströmung ein wenig kennen zu lernen. Und sind eine ganze Weile bei diesem Bild hängen geblieben:

- Gustave Moreau, Jupiter und Semele, 1895

Den Hintergrund der Bilderfindung bildet der Mythos der Liebe zwischen Jupiter, dem Anführer der Götter, und Semele, der Verkörperung des Irdischen. Jupiter weiß, dass sie bei einer Vereinigung von dem Feuer seiner Göttlichkeit verzehrt werden wird: Symbolisch steht dieser Mythos für die Vereinigung der Menschheit mit dem Göttlichen, die mit dem Tod endet.

Aber was sieht man eigentlich auf diesem "Wimmelbild"? Wir erkannten oben in der Mitte den reichgeschmückten Gott - wirken seine Augen nicht unmenschlich? - vor einem thronähnlichen Aufbau. Vor ihm die deutlich kleinere, nackte und ziemlich erschrockene Semele, deren Hüfte schon bei der Berührung mit dem Gott zu bluten anfängt. In der Zone darunter dann eine bunte Mischung von Gestalten und Symbolen, zu denen stehende Engel, eine sitzende Frau im blauen Mantel und ein halb liegender Faun ebenso gehören, wie üppige Frucht- und Blumengehänge und Planeten. Das ganze spielt sich in einer geschmückten Torform vor tiefblauem Himmel ab.

Ganz anders das Bild von

- Odilon Redon, Oannes et le Sphinx, 1910

Oannes ist die babylonische Bezeichnung eines mythischen Mischwesens aus Fisch und Mensch. Es soll der erste Kulturbringer gewesen sein. Aber was für ein Wesen malt Redon da in den bunten Himmel seines Bildes? Für uns sah es aus wie ein Schmetterling mit einem Rüssel - naja, der Rüssel könnte ja auch ein Fischschwanz sein; und da in der Mitte, da ist doch ein bärtiger Kopf mit einem Stirnschmuck und schwarz geränderten Augen zu sehen. Die Sphinx sieht aber auch gewöhnungsbedürftig aus: die Silhouette erinnert an die ägytische Figur in Gizeh, aber das rote Tuch, und dieser Pfeilschaft - oder was ist das? - in der linken Ecke? Wir fanden das Bild rätselhaft und vielleicht soll es das ja auch sein...

Als drittes Bild zum Symbolismus folgte

- Jan Torop, Die drei Bräute, 1893

Die drei unterschiedliche junge Bräute erkannten wir sofort auf diesem in dunklen Brauntönen gehaltenen Bild, das uns in seinen geschwungenen Linien an den Jugendstil erinnerte. Aber was sollen alle diese weinenden Frauen um sie herum, und warum stehen links und rechts diese Glocken, aus denen Linien fließen, die den Haaren der Frauen ähnlich sind. Und dann sieht man oben an beiden Seiten noch einen Kreuzbalken mit der genagelten Hand des Gekreuzigten.

Auf der oben genannten Seite zum Symbolismus findet sich eine Analyse dieses Kunstwerks. Dort heißt es, dass die Gestalten im Stil der indonesischen Marionettenfiguren gemalt sind. Die drei Bräute sollen eine Allegorie der drei Zustände der Seele sein: eine Braut ist Christus geweiht, eine der irdischen Liebe und eine ist "satanisch" (die mit dem ägyptischem Kopfschmuck und der Halskette aus kleinen Schädeln, die nach einer kleinen Schlange greift). Bei ihnen sind "Mägde und einige weitere offensichtliche Symbole". Die fließenden Linien symbolisieren den Klang der Glocken.

Nach diesen Bildern haben wir uns schließlich Mikalojus Konstantinas Čiurlionis zugewandt und als erstes das folgende Bild von ihm angesehen:

- Morgen, 1903

Ein Mann steht in der Mitte dieses - verschwommen, fast schon abstrakt gemalten - Bildes und weist nach oben; wie ein Priester oder Prophet, fanden wir. Aber auf was stützt er sich? Ein Tierschädel mit langen Hörnern, zwischen denen Saiten aufgespannt sind; also eine Harfe? Und wo steht er? Deutlich erkennbar ist eine Schräge, die sich durch das ganze Bild zieht, also ein Berghang, angestrahlt von der aufgehenden Sonne; Symbol eines neuen Tages, symbolisch auch für die Zukunft und den Weg zu Himmel?

Und dem gegenüber folgte dann

- Nacht, Etude 1904 und

- Nacht, 1905

An dem ersten hatten wir einiges zu "knacken": Handelt es sich um eine nächtliche Straße mit einem Toraufbau; sieht man rechts und links dunkle Häuserreihen, zwischen denen ein tiefdunkler Himmel erscheint? Geht der weiße Mond gerade auf, dessen Licht wie Wasser unterhalb des Toraufbaus erscheint?

Das zweite Bild nimmt das Thema dann ganz anders wieder auf: Es ist, als ob wir von außen auf die vom der dahinter stehenden großen Mondsichel beleuchtete Erde blicken, während sich zwischen Sichel und Erdkugel eine Wolke - oder vielleicht das verschwommene Abbild Gottvaters? - schiebt.

- Funken, 1906 I, II, III

Ähnlich unscharf und gleichzeitig genau gibt Čiurlionis die Idee der Funken wieder, aufblitzende Punkte in einer halb von Nebel verhüllten Landschaft. Oder im zweiten Bild (einfach nach rechts weiter klicken!) eine aufsprühende Linie vor rechtwinkligen Formen/Gebäuden und im dritten Bild ein strömender Funkenflug in einem Stadtraum. Rhythmus bestimmt diese Bilder und erinnert daran, dass dieser Maler gleichzeitig ein Musiker war.

Ein anderes Motiv, von dem es ebenfalls mehrer Versionen gibt, ist der Glockenturm, der uns zuerst an die ehemaligen Wachtürme an der Grenze zur DDR erinnerte, eine Assoziation die natürlich bei dem Maler noch nicht vorhanden sein konnte:

- Glockenturm, Grafik, 1906

und

- Frühlingsmotiv, 1907

Beide Bilder zeigen den gleichen Glockenturm, wobei die Glocken nur im ersten ihren Klang ertönen lassen. Dort scheinen sie eine große Zahl von Menschen herbeigerufen zu haben, die in einem langen Zug von rechts zum Turm hin wandert - wir waren uns nicht ganz einig über die Richtung, aber erkannten doch eine Person, die dem Betrachter den Rücken zuzuwenden scheint. Eine schwere Wolkenfront zieht von rechts über den Gestalten auf, in der Form fast menschenähnlich als ob himmlische Mächte sich zu ihnen herabbeugen.Daggen ist das zweite Bild menschenleer und auch, wenn der Maler es mit "Frühlingsmotiv" betitelt hat, so wirkte es doch auf uns eher kalt und die kahlen dünnen Äste ließen die Assoziation von Stacheldraht aufkommen.

Es gibt noch viele Bilder dieses Maler anzusehen und eine ganze Reihe davon hängen auch mit seiner Musik zusammen. Dieses Video zu seinen Bildern - allerdings nicht mit seiner Musik - gibt einen guten Einblick. Sein Symphonisches Gedicht "The Sea, Symphonic Poem (1903-07)" kann man hier hören.

Und für alle, die bis hierhin gelesen haben: Mit diesem Post feiere ich ein Jubiläum! ER IST DER HUNDERTSTE POST IN DIESEM BLOG!