Montag, 16. August 2021

Sonne, Sommer, Ferienzeit

Eugene Boudin, Strand von Trouville, 1867 (gemeinfrei Quelle)

Der Sommer heißt auch Sehnsucht nach Strandleben und Baden. Aber war das früher auch so?

Also habe ich mich gefragt, woher das Wort Ferien eigentlich herkommt, und seit wann es Ferien gibt. Anworten fand ich mal wieder bei Wikipedia. Das Wort stammt aus dem Lateinischen: "feriae" hießen die Feiertage damals im alten Rom. Im Mittealter gab es dann kirchliche und profane Feiertage („feriae sacrae“ und „feriae profanae“), an denen das öffentliche Leben ruhte. Später waren Ferien dann im Gerichtswesen geschäftsfreie Tage“.

Ab 1749 gibt es Schulferien, also unterrichtsfreie Tage für Lehrer und Schüler (ja, damals noch nur männlich!). Als im 19. Jahrhundert die Fabriken aufkamen und gegen Ende des Jahrhunderts immer größer wurden, wurden Ferien auch zum Urlaub (mhd. urloup = Erlaubnis, Erlaubnis zu gehen, Abschied) für die Angestellten und noch später haben sich dann auch die Arbeiter den bezahlten Urlaub erkämpft, den wir heute kennen.

Aber ab wann sind die Leute ans Meer gefahren, um dort zu baden und zu entspannen? Dazu hat gerade der amerikanische Historiker Robert C. Ritchie ein Buch veröffentlicht (auf englisch) mit dem Titel "The Lure of the Beach. A global history". Mehr darüber kann man in einem Interview in der ZEIT nachlesen. Dort erfährt man z.B., dass Strände bis ins 18. Jahrhundert als nutzlose leere Flächen galten, auf denen man nichts anbauen konnte. Zudem war das Meer ein Bedrohung: Seemonster konnten daraus hervorsteigen und fremde Räuber auf diesem Weg ins Land eindringen.

Und wie sieht das alles in der Kunst aus? Wir haben uns als erstes Bild vom Meer aus dem Mittelalter angesehen:

- Meister der Perle von Brabant, Der heilige Christophorus, rechter Teil des Flügelaltars "Die Perle von Brabant" (1467–1468)

Eigentlich wollte ich damit nur zeigen, wie das Meer bzw. eine Flußmündung - man sieht im Hintergrund Schiffe - im Kontext der christlichen Christophorus-Legende erscheint. Allerdings blieben wir eine ganze Weile bei diesem Bild. Und fiel auf, dass Christophorus gegenüber dem Christuskind ein Riese ist, der noch nicht einmal bis zu den Knien im Wasser steht, während das Kind mit seiner segnenden Geste gar nicht wirklich kindlich aussieht.

Das nächste Bild aus dem 17. Jahrhundert zeigt dann tatsächlich schon zwei Badende.

- Philips Wouwerman, Ein Fluss in den Dünen mit zwei Badenden, 1650-68,

Allerdings ist die Darstellung mit 27 x 35.5 cm ziemlich klein und die beiden Badenden muss man mit der Lupe suchen. So dauerte es denn auch eine Weile, bis wir erkannten, dass auf der linken Seite eine sandige Abbruchkante dargestellt ist, auf der oben links Reste eines Lattenzauns und etwas rechts davon das Dach eines Bauernhauses zu erkennen sind. Um diese Abbruchkante fließt der schmale Fluss, in dem die zwei kleinen Figuren im Wasser stehen, während sich rechts davon eine bergige Landschaft erhebt. Können die beiden schwimmen? Kühlen sie sich - leicht bekleidet - im Wasser ab. Baden sie zum Vergnügen oder um sich zu reinigen?

Erst seit Mitte des 18. Jahrhunderts wandelt sich die Wahrnehmung von Meer und Strand. Der englische Arzt Richard Russell (1687-1759) empfahl seinen Patienten nicht nur das Bad im Meer, sondern auch Meerwasser zu trinken. Heiligendamm wurde zum ersten deutschen Seebad, als der Mediziner Samuel Gottlieb Vogel 1793 dort das Baden im Meer als Heilmittel anpries. Was der Adel vormachte, übernahm bald auch das Bürgertum.

- Eugene Boudin, Strand in Trouville, 1873

In Frankreich waren damals Trouville und Deauville sich schnell entwickelnde Ferienorte, wohin wohlhabende Urlauber aus Paris kamen, um die gesundheitsfördernden Vorteile des Meeresbadens und das pulsierende gesellschaftliche Leben zu erleben. Der Maler Boudin hat einige Hundert ähnlicher Gemälde geschaffen. Wir brauchten einige Zeit um die verschiedenen Gruppen vor dem Hintergrund des sich mit dem Himmel fast vereinigenden Meeres zu erkennen. Dabei fiel uns auch auf, dass der Maler überhaupt keine Gesichter gemalt hat, sondern nur einen allgemeinen Eindruck der Gestalten widergibt. Von links nach rechts sahen wir die ältere Frau auf ihrem Holzstuhl, die vielleicht stickt oder strickt? Daneben die Gruppe von Frauen, die im Sand sitzen, uns den Rücken zuwenden und sich mit Sonnenschirmen schützen. Ihnen gegenüber stehen ein Mann und zwei Frauen offenbar ins Gespräch vertieft, während rechts davon Aufbruch und vielleicht sogar Chaos zu herrschen scheint, wie die beiden umgeworfenen Stühle und die gedrängte, in Bewegung befindliche Menschengruppe vermuten lassen.

Zur Infomation, wie es damals in Trouville aussah, sahen wir uns

- Claude Monet, Die Promenade in Trouville, 1870

an; ein Bild, das zeigt, wie dicht das Ufer von Trouville damals schon mit Häusern bebaut war. Zugleich führt auch Monet das Strandleben vor und zeigt Städter in feinen Kleidern beim Promenieren und am Meeressaum.

Ganz anders dann sein Bild aus demselben Jahr

- Claude Monet, Der Strand in Trouville, 1870

Auffallend ist der Gegensatz zwischen den in Nahsicht dargestellten beiden Frauen und dem fernen Strand mit seinem Zelt. Wir rätselten einen Weile, wen der Maler darstellt: Links sitzt eine Frau in weißem Kleid mit einem bunten Hütchen von einem hellen Schirm so geschützt, dass ihr Gesicht zur Hälfte im Schatten liegt. Dagegen lässt die Sonne ihr Kleid und auch die Stuhllehne des Holzstuhles leuchten, der zwischen ihr und der zweiten Frau rechts im Bild steht. Diese ist im Gegensatz ganz in Schwarz gekleidet und scheint an einer Stickerei zu arbeiten. Herrin und Dienerin? Mutter und Tochter? Wir waren uns nicht sicher, waren aber zugleich von der Widergabe des Lichts in diesem Bild fasziniert.

- Edgar Degas, Strandszene, um 1869-70

Auf die Strandszene von Edgar Degas haben wir länger geschaut. Natürlich fällt der Vordergrund zuerst ins Auge. Ein kleines Mädchen liegt voll angezogen unter einem Schirm auf dem Sand. Sein Kopf ist auf ein weißes Tuch gebettet. Daneben sitzt eine Frau im Sand, die dem Kind hingebungsvoll die Haare kämmt; eine Szene voller Zuwendung. Um sie herum sind Strand- und Badeutensilien ausgebreitet.

In der englischen Beschreibung des Bildes ist zu lesen, dass Degas ein großer Bewunderer japanischer Drucke war und viele Aspekte ihrer Kompositionen sowie ihrer Sujets übernahm. Das Motiv einer Frau, die ihr Haar kämmt oder gekämmt bekommt, gibt es in vielen Japanischen Drucken und wurde Teil seines Repertoires.

Also haben wir einen japanischen Druck mit dem Bild von Degas verglichen:

- Suzuki Harunobu (1726-1770), Haarekämmen

Aber es erhob sich Widerspruch. Auch wenn das Motiv ähnlich ist, so ist es doch so allgemein verbreitet, dass Ute bezweifelte, dass wirklich eine Verbindung bestehen könnte.

Doch zurück zu dem Bild von Degas, auf dem ja noch viel mehr zu sehen ist. Was ist mit der kleinen Menschengruppe auf der linken Seite, die am Saum des Ufers entlang geht? Vergrößert man das Bild, dann erkennt man eine Erwachsene und zwei Kinder in weißen Bademänteln, vorn weg läuft offenbar eine Bedienstete in grauem Kleid mit Schürze, die das in ein Badelaken eingemummelte Jüngste auf dem Arm trägt. Rechts neben dieser Gruppe stehen ein Mann und eine Frau mit einem Hund in ihrer Mitte. Streiten sie sich? Und dann sind da noch die vielen kleinen Menschen, die sich im Wasser aufhalten. Dazu Segelboote und hinten rechts und links am Horizont, als ob sie die Szene rahmen, fahren zwei Dampfer auf einander zu. Kommt der Wind von zwei verschiedenen Seiten? Oder herrscht gerade Windstille kurz vor dem Unwetter, das über dem Horizont heraufzieht, und wir sehen nur den Rauch aus der Fahrtrichtung wegwehen? Uta, als Seglerin, hätte bei diesem Himmel nämlich so schnell wie möglich den Strand verlassen!

Wir haben anstatt dessen einen Abstecher in den hohen Norden gemacht:

- Peder Severin Krøyer, Mitsommernachtsfeuer am Strand von Skagen, 1884

Uns hat besonders interessiert, wer denn auf dem Bild alles zu sehen ist. So fingen wir an, die einzelnen Personen aufgrund ihrer Kleidung zu unterscheiden: Links das kleine Mädchen im hellen Sommerkleid mit Hut in der Hand ist doch sicher kein Bauernkind oder? Und die Damen in den langen Kleidern mit ihren Sommerhüten daneben stammen bestimmt aus der Stadt. Dagegen tragen die Kinder, die im Halbkreis davor am Boden sitzen und auf der rechten Seite den Halbkreis stehend vollenden, Kleiderschürzen über dunklen Kleidern, dazu dunkle Mützen und Holzschuhe. Die Landkinder sind also auch zum Feuer gekommen. Ihre Eltern scheinen im Kreis auf der rechten Seite zu stehen, wenn da nicht dieser Herr mit dem hellen Hut wäre, der einen Zeichenblock und Stift in den Händen hält. Da hat sich anscheinend der Maler selbst porträtiert. Wenn man genau hinschaut, kann man noch viel mehr Teilnehmer an dieser mitternächtlichen Veranstaltung zur Sommersonnenwende ausmachen ...

Zum Ende gab es dann ein Bild, das aus der jüngeren Vergangenheit stammt:

- William Roberts, The seaside, 1966

Dieses Bild gab uns als erstes das Rätsel auf, was im Hintergrund zu sehen ist. Sind es Kreidefelsen mit grünen Wiesen? Oder etwas ganz anderes? Erst danach sahen wir die verschiedenen ineinander verschlungenen Figurengruppen und die blockhaften Gestalten, die den Strand bevölkern, einander und sich selbst mit Sonnenschutz einreiben und mit ihren Kindern spielen.

Das Strandleben zwischen 1870 und 1970 hat sich ganz schön geändert oder?

Das Bild ist übrigens in der Ausstellung "Seaside - modern art and life on the beach" zu finden, die noch bis zum 31. Oktober im Museum der zeitgenössischen Kunst in dem Badeort Hastings an der englischen Südküste zu sehen ist.