Montag, 14. Juni 2021

Haarlem Renaissance

Meta Warwick Fuller, Emancipation, Gipsstatue (Quelle)

Naturkatastrophen im Süden Amerikas haben 1915/1916 eine große Zahl von schwarzen Arbeitern und Arbeiterinnen arbeitslos gemacht und, da nach dem Ersten Weltkrieg weniger Menschen aus Europa nach Amerika auswanderten, wurden diese Menschen in den Norden abgeworben, wo man Arbeitskräfte brauchte. Bis 1920 kamen so rund 300.000 Afroamerikaner. Viele von ihnen siedelten sich in Haarlem an. Sie bildeten dort eine neue schwarze Mittelschicht, innerhalb der eine Blütezeit für die schwarze Dichtung, Musik und Tanz, die sogenannte Haarlem Renaissance entstand. 

Man verbindet diese Erneuerungsbewegung heute noch mit den Namen wie Louis Armstrong, Duke Ellington und Bessie Smith, oft begleitet von Shows z.B. mit Steptänzern wie Bill “Bojangles” Robinson. 

Doch auch bildende Künstler und Künstlerinnen leisteten ihren Beitrag. Allerdings wurden schwarze Künstler - und noch viel mehr ihre weiblichen Gegenparts - damals von Kunstschulen, Galerien und Museen ausgeschlossen und hatten es deutlich schwerer als ihre weißen Kollegen von ihren Werken zu leben. Noch 1968 fand die erste Würdigung der schwarzen Kultur im Harlem der 1920er und 30er Jahre in der Ausstellung "Harlem on My Mind: Cultural Capital of Black America, 1900-1968" ein sehr geteiltes Echo: Das Metropolitan Museum of Art in New York zeigte keine Kunstwerke von Schwarzen in der Ausstellung und sowohl dort, als auch im zugehörigen Katalog waren rassistische und antisemitische Passagen zu lesen. 

Als berühmtester bildender Künstler der Harlem Renaissance gilt Aaron Douglas (1899-1979), der oft als "Vater der schwarzen amerikanischen Kunst" bezeichnet wird. Wir haben uns sein Bild 

- Aaron Douglas, Tag des jüngsten Gerichts (1939)

angesehen. Dieses Ölgemälde entstand mehr als zehn Jahre nachdem das Bild als Buchillustration veröffentlicht worden war. Es gehört zu acht Bildern, die Douglas für die Gedichtsammlung "Gottes Posaunen: Sieben Schwarze Predigten in Versen" von James Weldon Johnson schuf. 

Der große Engel mit seiner Posaune fiel natürlich als erstes auf. Dass er auf Erde und Meer steht, war nicht so zu leicht erkennen. Aber es wurde klar, dass die drei Menschen links aus dem Bildgrund aufsteigen und dass auf der rechten Seite ein Mensch am Boden kniet und, von einem Lichtstrahl gtroffen, die Arme zum Himmel streckt. Die zackige Linienführung und expressive Ausdruckskraft des Gemäldes fiel uns außerdem auch auf und zugleich wurde bemerkt, dass der Künstler das Gemälde wie einen Schattenriss behandelt. Erst später wurde dann erwähnt, dass der Posaunenengel des Gerichts durch seinen Kopf als Schwarzer gekennzeichnet ist.  

Douglas’ künstlerischer Mentor war der deutsche Emigrant Winold Reiss (1886-1953), wobei Douglas neben der europäischen Moderne seiner Zeit auch die afrikanische Kunst studierte. Wir sahen uns deshalb ein Bild seines Mentors an: 

- Winold Reiss, "Zeichnung in zwei Farben" oder auch "Interpretation des Harlem Jazz I", Lithografie, zwischen 1915-20

Verglichen mit Douglas Werk fiel die noch stärke Expressivität und Plakativität dieses Druckes auf. Wir erkannten auf einer eckigen hellen Fläche ein extatisch tanzendes Paar, zwischen den Beinen des Mannes vermuteten wir ein Banjo, links von der Frau ein Hausdach, rechts oben eine afrikanische Statue, und zwischen dem Paar eine (Schnaps?-)Flasche.   

Zum Vergleich zogen wir dann noch einmal ein Bild von Douglas aus der schon oben erwähnten Serie heran

- Douglas, In Fesseln, 1936

      Auch dieses Gemälde wirkt wie ein Schattenriss und doch fielen uns sofort die roten Fesseln an den Handgelenken der dunklen Menschen auf. Der Maler führt den Blick aus dem Urwald heraus auf das Meer, auf dem in der Ferne ein Segelschiff wartet. Dabei lässt er uns sozusagen zum Teil der Kolonne der schwarzen Menschen werden, die mit gesenkten Köpfen auf das Meer zugehen. Während links ein Mann zu Boden gefallen ist und die Arme flehend zum Himmel reckt, trifft den letzten Mann des Zuges der Strahl eines Roten Sterns, zu dem er sein Haupt erhebt. Ein Hoffnungsschimmer im Elend der Versklavung? Dieses Bild wurde übrigens 1936 zusammen mit drei weiteren aus der Reihe in der „Halle des schwarzen Lebens" auf der Texas Centennial Exposition ausgestellt.

      Meta Warrick Fuller (1877-1968) war Schülerin von Auguste Rodin in Paris und untersuchte mit ihren Wekren afrikanisch-amerikanische Themen.

- Fuller, Emanzipation, 1913 (da es sich um eine vollrunde Plastik handelt, sollte man sie sich über mehrere Bilder ansehen. Auf dieser Seite sieht man sie in den beiden obersten Bildern von zwei Seiten,   hier kann man eine Ansicht gut vergrößern.)

Die Plastik "Emanzipation" schuf Fuller zur Erinnerung an den 50. Jahrestag von Lincoln's Emanzipationsproklamation, die als ein erster, wichtiger Schritt zur vollständigen Abschaffung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten gilt. Die Plastik war ursprünglich aus Gips und wurde erst 1999 in Bronze gegossen. Sie ist auf dem Harriet Tubman Square in Boston aufgestellt, der an die bekannteste afroamerikanische Fluchthelferin der Hilfsorganisation Underground Railroad erinnert.

Zum Verständnis der Figurengruppe half uns die Inschrift auf dem Sockel "Die Menschheit weint über ihre plötzlich befreiten Kinder, die unter den knorrigen Fingern des Schicksals in die Welt der Unerschrockenen heraustreten. Wir sahen die kniende Gestalt, die ihr Gesicht verbirgt neben dem jungen Paar in afrikanischer Kleidung, das mutig voranschreitet und doch zugleich noch von einem knorrigen Stamm festgehalten wied. (Die Unterschrift auf der anderen Sockelseite lautet übrigens: "Emancipation, 1913. In Honor of African American freed persons who by their courage and valor gave meaning to emancipation. Meta Vaux Warrik Fuller (1877-1968) sculptor, courtesy of the Museum of the national Center of Afro-American Artists and the Museum of Afro-American History)

Besonders beeindruckt hat dann das - nicht mehr erhaltene - Werk der schwarzen Bildhauerin 

- Augusta Savage (1892-1962), Die Harfe  (ein weiteres Bild gibt es hier)

Sie schuf diese Skulptur für die New Yorker Weltausstellung 1939. Inspiriert war sie von den Worten des Gedichts "Lift Every Voice and Sing" von James Weldon Johnson. 

        (In meiner Übersetzung lautet es ungefähr: "Hebt jede Stimme und singt/ Bis Erde und Himmel klingt/ringt mit den Harmonien der Freiheit/ lass unsere Freude aufsteigen,/ Hoch wie der lauschende Himmel,/ lass es laut wie das rollende Meer erklingen/ singt ein Lied voller Glauben, den uns die dunkle Vergangenheit beigebracht hat,/ singt ein Lied voller Hoffnung, die uns die Gegenwart gebracht hat;/angesichts der aufgehenden Sonne unseres neuen Tagesanfangs,/ Lasst uns weiter marschieren, bis der Sieg errungen ist. - Steinig die Straße, die wir gegangen sind,/ bitter die Peitsche der Züchtigung,/ gefühlt an dem Tag, an dem die ungeborene Hoffnung starb;/ doch mit einem stetigen Tritt,/ sind unsere müden Füße nicht,/ zu dem Ort gekommen, an dem unsere Väter seufzten?/ Wir sind über einen Weg gekommen, der mit Tränen getränkt wurde,/ Wir sind gekommen und haben unseren Weg durch das Blut der Geschlachteten genommen./aus der düsteren Vergangenheit, bis jetzt stehen wir endlich/wo der weiße Schimmer unseres Sterns leuchtet.)

Zwölf singende afroamerikanische Jugendliche in abgestuften Höhen bilden die Saiten der Harfe. Ihr Resonanzboden ist ein großer Arm mit einer offenen Hand, der die jungen Menschen trägt. Vorn bietet ein kniender junger Mann Musik in seinen Händen an. Obwohl diese Plastik als eines der Hauptwerke dieser Künstlerin angesehen wurde, wurde es am Ende der Messe zerstört!

Wie großartig diese Künstlerin Menschen darstellen konnte, zeigte uns auch die kleinere Plastik von ihrem Neffen:

     - Savage, Junge 1929 

Einen Einblick in das schwarze Leben in Haarlem gaben uns dann die Fotografien des Fotografen James Van Der Zee.

- Van der Zee,  Fotografiensammlung

Er hielt das tägliche Leben vor Ort fest und nahm in seinem Studio Porträts auf. Aus den Bildern suchte sich jeder eines aus, über das wir sprachen. Darunter z.B. die Bilder

- Untitled (grieving man), 1956

- Nackte, Haarlem 1923

- Porträt eines Schauspielers, 1929

Gordon Parks (1912-2006) fand als erster afroamerikanischer Fotograf und Filmregisseur landesweite Beachtung in den USA. Sein Foto

- Gordon Parks, American gothic, Washington D.C. 1942 (Achtung: um das vollständige Bild zu sehen muss man etwas herunterscrollen!)

stand am Ende dieser kurzen Betrachtung der afro-amerikanischen Kunst. Das Bild schien auch uns symptomatisch für die Rolle der Schwarzen in Amerika: Eine schwarze Frau, sie heißt Ella Watson, mit geglätteten Haar steht vor einer riesigen amerikanischen Flagge und schaut den Fotografen und damit auch uns ernst an. Ihr Gesicht wirkt männlich und nur das gepunktete Kleid macht ersichtlich, dass sie eine Frau ist. Dabei hält sie ihren Kehrbesen und einen Wischmob aufgerichtet neben sich (fast so wie ein Soldat seine Waffen halten würde, finde ich). 

Die glatten Haare waren übrigens kurz Thema. Ute schrieb hinterher dazu, dass erst "in den 1970er Jahren unter den Afro-Amerikanern eine Bewegung startete, ihre Eigenheiten zu akzeptieren und zu betonen. Mir fallen in diesem Zusammenhang die Namen Malcolm X und Angela Davis ein, die mit Stolz ihre krausen Haare zeigten. Auch der Namens- und Glaubenswechsel von Cassius Clay fällt in diese Zeit: weg von den Namen und dem Glauben der Weißen, hin zu den eigenen Wurzeln. "Roots" hieß die Fernsehserie, die das Schicksal des schwarzen Sklaven Kunta Kinte zum Thema hatte."

Das Ende der "Harlem Renaissance" begann dann mit dem Börsencrash von 1929 und der Weltwirtschaftskrise. Dazu kam das Ende der Prohibition im Jahr 1933. Das führte dazu, dass betuchte Weisse nicht mehr darauf angewiesen waren, in Clubs illegalen Alkohol zu suchen. Die schwarze Mittelschicht verließ Harlem um anderswo Arbeit zu suchen. Es kamen neue Flüchtlinge aus dem Süden, von denen viele öffentliche Unterstützung benötigten. 1935 kam es zu den Haarlemer Rassenaufständen, mit denen die Blütezeit endete, in der männliche und weibliche afroamerikanische Künstler, Schriftsteller und Musiker erstmals mit Stolz ihre Werke einer größeren Öffentlichkeit präsentieren konnten und zugleich Kontrolle darüber gewannen, wie ihre eigene Erfahrung in der amerikanischen Kultur dargestellt wurde. In einem Text dazu heißt es, dass diese Erfahrung die Bühne für die Bürgerrechtsbewegung bereitete.