Samstag, 24. November 2018

Die Brücke 1905-1914

Gerade hat im Museum Frieder Burda in Baden-Baden eine neue Ausstellung über die Künstler der "Brücke" begonnen (bis 24.3.1919). Und dazu gleich noch ein Hinweis: In der Bundeskunsthalle in Bonn wurde fast zeitgleich die Ausstellung Ernst Ludwig Kirchner - Erträumte Reisen eröffnet, die bis zum 3. März 2019 läuft.

Ernst Ludwig Kirchner, Liegender blauer
Akt mit Strohhut, 1909, Privatsammlung
(Pressebild der Ausstellung)
Diese in Deutschland sehr bekannte Künstlergruppe wurde, wie man bei Wikipedia nachlesen kann, am 7. Juni 1905 in Dresden von den vier Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff gegründet und im Mai 1913 in Berlin aufgelöst. Ihr Programm war typisch für diese Zeit des Aufbruchs, in der eine neue Kultur entstand, die das Leben und die Kunst reformieren wollte. Dementsprechend schrieben die angehenden Architekten, die sich alle zu Malern weiterentwickelten in ihr Programm:

„Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Geniessenden rufen wir alle Jugend zusammen. Und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen, älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“

Für die Maler war einerseits die Darstellung des Menschen in der Natur wichtig. Sie führten ein freies Leben, gingen nackt in den Moritzburger Seen baden und teilten sich ihre Modelle. Später wurde auch das Leben in der modernen Großstadt ein immer wichtigeres Thema.

In der Pressemitteilung des Museums heißt es dazu: "Zerrissenheit als Existenzerfahrung spiegelt sich auch in der Baden-Badener Ausstellung wider. Sie breitet den ganzen Kosmos der „Brücke“-Welt(en) aus: Von der Sehnsucht nach einer harmonischen Naturerfahrung, in der der Mensch – oft als Akt dargestellt – ganz aufgeht, bis zum Verlorensein desselben in einer übermächtigen Großstadterfahrung, in einer Moderne, die seine Sinne bis aufs Äußerste reizt und strapaziert. In den unmittelbar aufeinander prallenden Farben, in den zugespitzten Formen vermittelt sich nicht selten eine innere Anspannung, ein existentielles 'Gereiztsein', das sich nur durch die Flucht in die Natur, in ein natürliches Dasein auflösen lässt, das sich in unschuldigem Nacktsein wie in überbordender Kultivierung des Eros ergeht.

Besonders der Maler Ernst Kirchner wurde zum Propagandisten einer neuen Sicht auf den Menschen. Er unterstrich dabei die Echtheit und Besonderheit seines Ausdrucks und behauptete, dass andere Bilder auf seine Malerei überhaupt keinen Einfluss ausgeübt hätten.

Wir haben uns sein Bild

- Ernst Ludwig Kirchner, Liegender blauer Akt mit Strohhut, 1909, Privatsammlung

genauer angesehen. Erst kam die Frage auf, ob denn da überhaupt ein Mann und nicht eine Frau liege. Aber bei genauerem Hinsehen sprach die Körperform (knackiger Po wurde angemerkt) doch für einen Mann. Komischerweise fand niemand die blaue Haut und die knalligen Farben der Umgebung besonders überraschend. Offenbar sind wir alle - anders als Kirchners Zeitgenossen - an solche Verfremdungen gewöhnt. Die Landschaft wurde ein wenig analysiert: Ist das Blau rechts neben dem Kopf die Andeutung eines Sees? Das Gesicht danach befragt, ob es einen bestimmten Ausdruck zeigt (eher nein, dazu sieht man zu wenig!) Und dann kam die Frage nach dem Vorbild auf, denn in einem Zeitungsartikel steht, dass Kirchner sein Bild malte, nachdem er "Nu bleu" von Henri Matisse gesehen hatte. Und dass es unübersehbar sei, dass anfangs die "Brücke" unter dem zwingenden Eindruck der Handschrift van Goghs stand.

- Henri Matisse, Nu bleu, 1907

Für die diagonal im Bild liegende blaue Nackte von Matisse, konnten wir uns an Vorbilder aus früheren Stunden erinnern. Gerade beim letzten Kunstsurfen über Lotte Laserstein waren wir darauf eingegangen. Matisse aber verdreht den Frauenkörper in eine unnatürliche Position und wirft zusätzlich blaue Schatten darauf. Steigert Kirchner nur diese Ideen in seinem Bild zu blauer Haut oder macht er nicht doch ganz eigenständig etwas ganz anderes daraus?

Und wie weit lässt sich z.B.

- Vincent van Gogh, Sternennacht, 1889

mit dem Bild von Kirchner verbinden. Sicher in der "wilden" Malweise. Auch in der Farbigkeit und der Vorliebe für dunkelblauen Himmel?


Wir haben dann noch weitere Bilder von Kirchner angeschaut. Das Bild

- Zwei Akte mit Badetub und Ofen, 1911

ist in den kräftigen Farben dem liegenden blauen Akt nicht unähnlich. Doch die Szene spielt nicht in der freien Natur, sondern in einem geschlossenen Raum, der sich erst erschließt, wenn man weiß, dass die schwarze "Säule" ein Ofen ist. Dann sieht man auch die rote Fußleiste vor der grünen Wand, den gelben Boden und den grünen Teppich. Ursel erklärte uns, dass es sich bei den beiden Mädchen um Fränzi und Marcella handelt; zwei Modelle, die auf vielen Zeichnungen, Aquarellen und Gemälden der Brücke-Maler auftauchen. Es handelt sich um die neunjährige Lina Franziska Fehrmann und die vierzehnjährige Marcella Albertine Olga Frentzel, die sich über zwei Jahre lang in den Ateliers von Kirchner, Heckel und Pechstein aufhielten und mit ihnen auch an die Moritzburger Seen zogen. Die drei Maler, die sich von den akademischen Konventionen lösen wollten, verschmähten die sonst angestellten Berufsmodelle, sondern wollten spontan arbeiten, also keine Posen abmalen sondern das dynamische Leben der spielenden und sich bewegenden Kinder und Jugendlichen.

Die ältere Marcella sieht man auch auf den beiden folgenden Gemälden

- Ernst Ludwig Kirchner, Artistin Marcella, 1910

- Max Pechstein, Das gelbschwarze Trikot, 1910,

Auf beiden Bildern trägt sie das gelbschwarze Trikot. Bei Kirchner kam zuerst der Eindruck auf, dass sie zuviel getrunken haben könnte, weil hinter dem Sofa, auf dem sich befindet, mehrere Flaschen in der Zimmerecke stehen. Aber der Hinweis auf ihr jugendliches Alter, ließ dann doch eher daran denken, dass sich dieses Mädchen in einer ganz natürlichen Pose in die Sofaecke gekuschelt hat und gerade nachdenklich innehält, bevor sie wieder aufspringen und etwas anderes machen wird. Oder ist sie doch traurig, wie einige meinten?

Bei Max Pechstein dagegen fiel uns die Badeszene auf. Denn obwohl es ein wenig wie "hingeschmiert" wirkt, erfasst man doch die Dynamik der fünf Nackten (Männer - Frauen?) auf den ersten Blick, die dabei sind sich in das dunkelgrüne Wasser vorzuwagen und gleich darin schwimmen werden. Dagegen wirkt das junge Mädchen wesentlich statischer und bildet damit ein deutliches Gegengewicht.

Ein weiterer Aspekt der Kunst dieser Jahre vor dem Ersten Weltkrieg kommt mit zwei Bildern von Emil Nolde, der zeitweilig zu den Brücke-Künstlern hinzu stieß, ins Blickfeld. In dieser Zeit wurde das Bewusstsein für die Kunst fremder und indigener Völker immer mehr geweckt. Im Völkerkundemuseum in Dresden besichtigten die Künstler afrikanische Plastiken und malten sie (in Klammern sei angemerkt, dass solche Werke bei den Nationalsozialisten dann als "entartet" verfemt wurden):

- Emil Nolde, Holzfigur, 1912

- Emil Nolde, Exotische Figuren, Mann und Frau, 1912

Wir haben diese beiden Bilder mit einer willkürliche ausgewählten afrikanischen Plastik verglichen und uns fielen besonders die ungewöhnlichen Proportionen auf - großer Kopf, große Hände, kleiner Köper; aber auch die expressive abwehrende Handhaltung der bunten Holzfigur von Nolde.

- Mambila-Figur aus Nigeria, Dresden Völkerkundemuseum

Am Schluss hatten wir dann - wie so oft - nur noch wenig Zeit für

- Otto Mueller, Zwei weibliche Halbakte

und

- Erich Heckel, Lesende, 1911