Sonntag, 21. Dezember 2025

Einhorn - Das Fabeltier in der Kunst


Website zur Ausstellung

Das Museum Barberini in Potsdam zeigt bis zum 1. Februar 2026 eine große Ausstellung über das Einhorn in der Kunst. Danach wandert die Schau vom 13. März bis 12. Juli 2026 in das Musée de Cluny in Paris, wo man dann auch die faszinierenden Bildteppiche der Dame mit dem Einhorn bewundern kann, die auch in diesem Blog schon einmal Thema gewesen sind. 

Zu sehen sind rund 150 Werke und Objekte, deren Zeitspanne vom zweiten Jahrtausend vor Christus bis in die Gegenwart reicht. Bei allen geht es um das Fabelwesen, das in unterschiedlicher Gestalt aber immer mit einem Horn auf der Stirnmitte dargestellt worden ist. Es galt im europäischen Raum als das edelste aller Fabeltiere und steht als Symbol für das Gute, aber auch für Freiheit und Unbezähmbarkeit, für Reinheit und Unschuld, für Natürlichkeit und Zuneigung. 

Um das Einhorn kennen zu lernen, haben wir uns zuerst das folgende Bild angesehen: 

- Maerten de Vos, Einhorn, 1572

und dabei festgestellt, dass dieses Einhorn einerseits Ähnlichkeit mit einem Pferd hat, der Kopf aber  an einem Ziegenbock denken lässt, während der Schwanz am ehesten dem, allerdings verlängerten, Ringelschwanz eines Schweines gleicht. Und dieses Einhorn von Maerten de Vos lebt ganz offensichtlich in der fernen Welt Afrikas. Es wird von schwarzen und kaum bekleideten Menschen, die in Baumhäusern wohnen, mit Pfeil und Bogen gejagt; eine Jagdmethode die zur Zeit des Malers in Europa schon lange überholt war. 

In der Ausstellung geht es in unterschiedlichen Abteilungen um das Fabeltier. Der erste Bereich heißt: In vielerlei Gestalt - Ursprung und Wandlungen des Einhorns:

Die Faszination für dieses Wesen war in vielen Kulturen verbreitet. Sehr frühe Abbildungen finden sich in Indien. Von dort aus haben sie sich nach China und – über Persien und Ägypten – nach Europa verbreitet.
So kann man im Britischen Museum in London zum Beispiel das folgende Siegel finden 

- Abdruck eines Siegels der Indus-Kultur mit Einhorn, 2500BC-2000 vor Chr., 

das nur ca. 3 cm groß ist. Anders als das Einhorn des Antwerpener Malers de Vos hat dieses Tier eher die Gestalt eines Stiers mit einem gebogenen Horn. (In der Bildleiste unter diesem Bild befindet sich eine Abbildung mit drei weiteren ähnlichen Siegeln, die ein Nashorn, einen Elefanten und einen Stier mit zwei Hörnernzeigen.) 

In China und Japan ist das Fabeltier unter dem Namen Kirin oder Quilin bekannt und nimmt dort sowohl die Form eines Drachen mit einem geweih-ähnlichen Horn an, wie auch die Gestalt einer Gazelle mit nach hinten gebogenem Horn, wie in dem folgenden Bild 

- Sitzendes Kirin/qilin Japan, 18. Jahrhundert. 

Es handelt sich dabei um ein Netsuke. Das ist ein Gegengewicht in Form einer kleinen geschnitzten Figur, mit dem ein Behälter in der Funktion einer Tasche in den Gürtel des Kimono eingehängt wurde. Beide, Figur und Behälter, waren durch eine Kordel verbunden. Zum Durchziehen der Kordel hat das Netsuke zwei Löcher. Dieses Fabeltier hat kurze Beine mit Hufen, wie ein Pony, sitzt auf seinem Hinterteil und reckt den drachenänlichen Kopf in die Höhe, während aus dem Körper Fammen lodernd. Auf uns wirkte das nicht wie ein sanftes Wesen!

Im asiatischen und im persischen Raum gab es anscheinend eine große Vielfalt von Einhörnern. Nach Europa kamen sie erst im 2./3. Jh. n. Chr.. Es wurde in dieser Zeit von ein unbekannten Autor in seiner Schrift "Physiologus" zusammen mit vielen anderen Tieren beschrieben. Anfangs sah es wie eine Ziege aus, in der frühen Neuzeit wurde es dann pferdeähnlich. Das Einhorn von Marten de Vos ist also offenbar eine Mischung aus den beiden etablierten Gestalten.

Im "Physiologus", einem Text, der mehrfach abgeschrieben, übersetzt und neu illustriert wurde heißt es dazu, dass es folgende Eigenheit habe: "Ein kleines Lebewesen ist es, wie ein Böckchen, / aber ganz außerordentlich leidenschaftlich. / Nicht kann ein Jäger ihm nahekommen / weil es sehr stark ist. / Ein einziges Horn hat es mitten auf seinem Kopf.
Wie nun wird es gefangen? / Eine reine Jungfrau, fein herausgeputzt, / werfen sie vor es hin, / und es springt in ihren Schoß; / und die Jungfrau säugt das Lebewesen / und bringt es in den Palast zum König." Dazu wird das Fabeltier in diesem Text christlich gedeutet. Wir haben dazu kurz auf die zugehörige Illustration in der Berner Handschrift des Physiologus geschaut: 

- Jungfrau und Einhorn, Physiologus, (Berner Burgerbibliothek / Cod. 318, fol. 16v) 9. Jh.n.Chr.

und festgestellt, dass diese frühe Illustration das Einhorn mit dem zurückgebogenen Horn zeigt und damit den vorher betrachteten asiatischen Fabeltieren ähnelt. Später dann wurde das Einhorn im europäischen Raum stets mit einem langen, in sich gedrehten, geraden Horn dargestellt, wie in dem Bild

Frau mit Einhorn, anonym, ca. 1510 

Für die Zeitgenossen war die Existenz des Einhorn bis zum 18. Jahrhundert unbestritten. Es war, wie ein weiterer Abschnitt der Ausstellung heißt "Tier unter Tieren" und erschien zusammen mit anderen Tieren in Bibelillustrationen, Heiligenlegenden und Mythen. Dass es auch in der Bibel vorkam, lag allerdings an einen Übersetzungfehler bei der Übertragung der hebräisch-aramäische Bibel in die altgriechische Alltagssprache. Dieser Fehler wurde noch bis zum 20. Jahrhundert weitergetragen, da Luther das - falsch übersetzte - altgriechische Wort korrekt mit Einhorn wiedergab. Als Beweis für seine Existenz wurde sein gedrehtes Horn auch in manchen Kirchen gezeigt. Erst im 17. Jahrhundert wurde bewiesen, dass es sich dabei um den Zahn des Narwals handelt. Und so findet sich das Einhorn auch manchen Darstellungen der Sintflut: 

- Kaspar Memberger der Ältere, Einzug in die Arche Noe, Arche-Noe-Zyklus für Fürsterzbischof Wolf Dietrich von Raitenau, 1588, Residenzgalerie Salzburg.

Allerdings muss man auf diesem Bild schon etwas suchen, um das Tier zu entdecken. Auf der Rampe zur Arche laufen und fliegen Meerkatzen, Rotkehlchen, Schimpansen und Löwen und erst links hinten versteckt sich das Einhorn hinter zwei Kamelen. Zahlreiche weitere Tiere - darunter das ganze Federvieh - warten im Vordergrund, während die Menschen damit beschäftigt ihre Habe zu verschnüren.  

Einhörner kommen auch in Bildern von der Schöpfungsgeschichte und dem Paradies vor. Auch christliche Legenden wie die Versuchung des heiligen Antonius oder der Tod des heiligen Stephanus kann es begleiten. In Bereich der klassischen Themen tritt es im Mythos von Orpheus auf, der mit seiner Musik die wilden Tiere bezaubert. 

In der christlichen Bildwelt steht das Tier außerdem symbolisch für Christus, so z.B. auf dem  

- Einhornaltar, Dom St. Marien (Erfurt), 1410-1430 (man muss etwas herunterscrollen auf das Bild des geöffneten Altars, das man vergrößern kann).

Dort ist es in den Schoß der Gottesmutter gesprungen. Wir haben das Bild etwas länger betrachtet und festgestellt, dass es Maria in einem umzäunten Garten zeigt, umgeben von zahlreichen Heiligen Frauen und Männern und musizierenden Engeln; eine paradiesische Szene also. Andererseits steht links der Engel Gabriel mit Horn, Lanze und Jagdhunden. Vor ihm ist das Einhorn offenbar geflüchtet. Nah am Zaun, aber draußen vor stehen drei Nonnen und ein betender Kanoniker rechts zusammen mit dem heiligen Augustinus. Der Betende ist als Stifterfigur zu deuten und war vermutlich Johannes von Allenblumen, dessen Familie das Einhorn als Wappentier führte (siehe den Text auf der o.g. Website).

Das gedrehte Horn galt im Übrigen als eine besondere Kostbarkeit und sein Pulver wurde als heilende Substanz angesehen. Es wurde in Kirchenschätzen und Kunstkammern aufbewahrt, wie z.B.  

- der Stab des Hl. Amor von Maastricht, 13.-15.Jh., 

der noch heute in der Kirche von Munsterbilzen zu sehen ist. Er soll dem Heiligen als Pilgerstab gedient haben, als er zum Grab des Servatius nach Maastricht kam, wo er den Bewohnern das Evangelium verkündete. Dass das Horn vom Narwal stammt, wurde erst im 17. Jahrhundert von der Wissenschaft nachgewiesen. Es wurde auch zu kostbaren Geräten verarbeitet, die seit der frühen Neuzeit auch in weltlichen Kontexten gesammelt und ausgestellt wurden. Wir haben uns allerdings ein Reliquiar angesehen, also ein Gefäß zur Aufbewahrung einer Heiligenreliquie: 

- Hans Jakob Mair, Hornreliquiar, zwischen 1700 und 1712 (man muss zum zweiten Bild herunterscrollen).

Unter dem Obertitel "Wehrhaft und streitbar - Das Einhorn bei den Wilden Leuten und im Kampf gegen Tiere und Menschen", wird in der Ausstellung auf einen weiteren Aspekt des Einhorns eingegangen. Denn bis in das 16. Jahrhundert hinein galt es auch als wild, stark und angriffslustig. Niemand konnte es lebend fangen, außer wie schon erwähnt "reine Jungfrauen" und die Wilden Leute, deren Darstellung im späten Mittelalter populär geworden war. Auf dem 

- Bildteppich mit Wilden Männern und Fabeltieren, Basel, 1430 - 1440 

sind sie mit verschiedenen Fabeltieren verbunden: Ganz rechts steht das rot gepunktete Einhorn, das einem Huftier ähnelt, nach links folgt dann jeweils zwischen einem Wilden Mann ein Greif, ein zweibeiniges Tier, das Ähnlichkeit mit einem Kamel hat, und ein Huftier mit langem Hals. Wilde Leute waren im Volksglauben menschenähnliche Wesen, die Riesenkräfte hatten und stark behaart waren. Sie lebten primitiv und fast wie Tiere, aber zugleich auch paradiesisch und naturverbunden in Wäldern oder Bergen. Uns fiel auf, dass die bunt behaarten Wilden Leute des Teppichs fast alle mit mehrschwänzigen Peitschen knallen. Vielleicht unterstützt das die Aussage der Inschrift: "disse tierlin wil ich triben", also diese Tiere will ich treiben, weiter geht der Text mit "und wil on die welt beliben / das han ich wol enpfhunden / zu disen dierlin han ich mich verbunden / mit diesen dierlin sün wier uns began / die wlt git boesses lon / die welt ist wntrwen fol / mit dissen dirlin ist uns wol". Damit wird ausgedrückt, dass die Wilden Leute der bösen und untreuen "Welt" entsagen und sich mit den Fabeltieren verbunden fühlen. 

Das Einhorn ist aus der Kultur nicht verschwunden, als man aufhörte an seine Existenz zu glauben. Gerade heute erlebt es eine rasante Auferstehung als Kuscheltier besonders für kleine Mädchen. Aber auch in der Kunst taucht es wieder auf, denn besonders Künstlerinnen fühlen sich mit ihm verbunden.

- Marie Cécile Thijs, Einhorn, um 2015 

- Kuscheltiere in Form des Einhorns 

Das es auch als Schiffsname zusammen mit der entsprechenden Figur am Bug erscheinen kann, ist noch ein weitere Aspekt. 

Wer bis hierhin gekommen ist und mehr wissen will, sei noch auf die informative Website zur Ausstellung verwiesen, aus der auch hier Einiges geschöpft wurde.