Ausschnitt aus der Website der National Gallery mit Ankündigung der Ausstellung |
Die Londoner Nationalgalerie zeigt unter dem Titel "Radical Harmony" bis zum 8. Februar 2026 Bilder von Neo-Impressionisten die im Helene Kröller-Müller-Museum in Otterlo in den Niederlanden bewahrt werden.
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Helene Müller und Anton Kröller, um 1888 (Quelle) |
Das erste Bild unserer Stunde war eines der drei Bilder von Van Gogh, die Helene Kröller-Müller 1909 kaufte, also zu einem Zeitpunkt als sich kaum jemand für seine Werke interessierte:
- Vincent van Gogh, Stillleben mit Flasche und Zitrone, 1888 (hier eine zweite Abbildung mit weniger kräftigen Farben)
Während van Gogh seine Farben mit dem Pinsel über die Leinwand streicht, sahen wir uns mit
- Georges Seurat (1859-1891), Bout de la jetée à Honfleur / Hafeneingang in Honfleur, 1886
das erste Bild dieser Sitzung an, das in dem für die Neo-Impressionisten so typischen "Pointilismus" gemalt ist. Wir konnten uns nur schwer einigen, was mit dem dunklen Gitter, auf dem der Leuchtturm steht, gemeint ist. Eine gedruckte Ansicht aus dem 19. Jahrhundert half uns insoweit weiter, als der Leuchtturm in Honfleur (Normandie) tatsächlich auf einer hohen Kaimauer steht. Wir, als Betrachter, stehen erhöht auf der anderen Seite des Hafeneingangs, so dass wir das Segelboot vor uns nur halb sehen können. (Als Anmerkung: Man kann dazu auch das Bild des Impressionisten Claude Monet, Der Leuchtturm von Honfleur vergleichen. das den Leuchtturm von der anderen, also der Meerseite aus zeigt!)
Auf Wikipedia ist zu lesen, dass Georges Seurat sich Anfang der 1880er Jahre intensiv mit den damals neuen Erkenntnissen zur Farbenlehre beschäftigt hat, und zwar vor allem mit dem Thema der Farbwahrnehmung und additiven Farbmischung, über das Eugène Chevreul gearbeitet hatte. Aus diesen Erkenntnissen entwickelte der Maler in den Jahren 1883 und 1884 eine neue Maltechnik. Auf Wikipedia ist dazu zu lesen, dass diese auf dem Simultankontrast von benachbarten Farben beruht, wobei das gesamte Bild aus kleinen regelmäßigen Farbtupfern in reinen Farben besteht. Erst im Auge des Betrachters und aus einer gewissen Entfernung gesehen entsteht der Gesamteindruck der jeweiligen Farbfläche und die Farbpunkte werden zu Gestalten. Damit suchen die Maler dieser Stilrichtung die eigenen Gesetze der Bilder zu finden, die sie vor Augen haben und und widergeben wollen.
Dazu haben wir eines der berühmtesten Bilder von Seurat aufgerufen:
- Georges Seurat, Chahut/Can-Can, 1889-1890 (170 × 141 cm) (hier ist eine weitere Abbildung, die von der ersten farblich abweicht; welche mehr dem Original entspricht, ließ sich für uns nicht erkennen).
Wir haben zuerst darüber gerätselt, zu wem welches Beinpaar gehören könnte. In der Diagonale von links unten nach rechts oben tanzen zwei Paare in einer Reihe auf einer Bühne. Wie die Zuschauer und die Musiker vorn im Bild schauen auch wir von unten zu den Paaren hinauf. Sowohl die beiden Frauen wie die beiden Männer stehen auf einem Bein und strecken das andere hoch in die Luft. Man kann die Beine an den Schuhen unterscheiden, die Schuhe der Frauen sind mit einer hellen Schleife geschmückt. Die exzentrische Tanzbewegung der Beine nehmen die Frackschöße der Herren dabei noch einmal auf, die wellenförmig aufwirbeln. Die Diagonale der Beine wird von den Musikern im Vordergrund mit ihren Instrumenten - Taktstock, Flöte und der Hals der Baßgeige - fortgesetzt. Von den Zuschauern sieht man nur einige Köpfe. Dabei fällt der Mann rechts unten besonders ins Auge, der den Damen sozusagen mit einem süffisanten Grinsen unter den Rock schaut.
Zum Vergleich haben wir das fast gleichzeitige Plakat
- Henri de Toulouse-Lautrec, La Troupe de Mademoiselle Eglantine, 1895 aufgerufen. Auch dieser Maler nutzt für seine Tanztruppe die Diagonale und lässt die Frauen in ihren weiten Röcken die Beine hochwerfen. Und doch erschien uns dieses Bild im Ausdruck ganz anders: Es entbehrt nicht einer gewissen Traurigkeit; die Frauengesichter wirken fast ein wenig verbittert; das Alter der Tänzerinnen ist undefinierbar und die Tanzbewegungen haben etwas Groteskes. Das wurde uns gerade im Vergleich mit den jungen, lächelnden, schlanken und glatten Tanzpaaren bei Seurat deutlich, die schon einen kleinen Vorgeschmack auf die Kunst des Art Déco zu geben scheinen. Wenn man übrigens das Bild von Seurat bei Google stark vergrößert, kann man sehr schön sehen, wie akribisch der Maler seine Farbpunkte gesetzt hat und sie zum Faltenwurf der Röcke oder zur Schattierung der Arme verschmelzen lässt, wenn man die Vergrößerung wieder zurücknimmt.
Ein Hauptmotiv der impressionistischen und neo-Impressionistischen Künstler war die freie Natur. Wir sind mit dem Bild des flämischen Malers
- Théo van Rysselberghe, Im Juli, vor dem Mittag, oder der Obstgarten, 1890
noch einmal in die Natur zurückgegangen und fühlten uns durch die hellen leuchtenden Farben sofort in den Sommer versetzt. Mit dem Blick des Malers nähern wir uns sich sozusagen von hinten den Frauen an, die im Garten unter Obstbäumen im Schatten sitzen und mit Handarbeiten beschäftigt sind. Wir waren sehr beeindruckt von der Kunst, mit der hier die Lichtpunkte gesetzt sind, die von der Sonne durch das Laubwerk hindurch auf die Kleider und das Haar der Frauen geworfen werden. Sie tanzen sozusagen vor unseren Augen. Von den fünf Frauen im Vorder- und Mittelgrund sind zwei mit einer Näh- oder Stickarbeit beschäftigt; die Frau mit den blonden Haaren rechts schaut einfach vor sich hin; die andere halb vom Baum verdeckt, sitzt ganz für sich allein, ebenso allein wandert die Frau links durch die Wiese. Es herrscht eine Atmosphäre der Ruhe und Stille. Die Frau im blauen Kleid ist laut der Beschreibung Maria Monnom, die der Künstler im Herbst 1899 heiratete. In dem Sommer davor, als der Maler das Bild begann, hielt sich ihre Familie in Thuin, im Süden Belgiens, auf. Der Garten ist könnte deshalb der Obstgarten der nahegelegenen Abtei Aulne sein.
Bevor wir zum Thema Industrialisierung weitergegangen sind, haben wir kurz noch einen Blick auf ein weiteres Gartenbild geworfen:
- Camille Pissarro, Später Nachmittag auf unserer Wiese, 1887.
Auch Pissaro nähert sich dem Pointilismus an, allerdings mit deutlich breiteren Pinselstrichen. Doch auch er vermag die Stimmung wiederzugeben, die an einem Sommernachmittag die Luft über einer Wiese zwischen noch jungen Bäumen sozusagen flirren lässt.
Eine völlig andere Atmosphäre zeigt dagegen das Bild von
- Maximilien Luce, Die Eisengießerei, 1899.
Man hat das Gefühl mitten im Gewühl zu stehen und das Zischen und Sprühen der feuerigen Glut zu hören, aus der gerade der große schwarze Eisenkessel von mehreren Männern herausgezogen wird, um gleich gekippt zu werden, so dass die glühende Schmelzmasse herausströmen kann. Bis auf ihre ledernen Schürzen und ihre Helme sind die Arbeiter dabei kaum geschützt. Sie bilden dunkle Silhoutten vor dem feurigen Hintergrund, der ihre Vorderseiten zum Leuchten bringt. Nur der Mann auf der linken Bildseite wendet sich dem Betrachter in dem Moment zu, in dem er eine glühende Gußprobe in einen kleinen Tiegel gießt. Dass diese Arbeit auch heute noch ähnliche Bilder hervorbringt, haben wir auf der Seite der Firma Luetgert Antriebe gesehen. Besonders das zweite und dritte Headerbild sind durchaus vergleichbar, fanden wir. (Wie es bei der Arbeit früher weiterging, sieht man übrigens auf dem Bild von Peder Severin Krøyer, Die Eisengießerei Burmeister & Wain, 1885.)