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Goldene Madonna (Quelle von Tuxyso Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0) |
Die Rolle der "Guten Mutter" wird in der Ausstellung verbildlicht an einer ganzen Wand voller Marienfiguren vom 14. bis 18. Jahrhundert. Wieweit vor Ort thematisiert wird, dass Maria als "reine", also asexuelle Frau und Mutter des Gottessohnes, verehrt wurde, ist für mich aus den im Internet verfügbaren Informationen nicht ganz ersichtlich. Immerhin hat die Gottesmutter Jahrhunderte lang eine wichtige und teilweise noch heute eine sehr zwiespältige Rolle als Vorbild gehabt, an dem jede Frau und ihr Verhalten gemessen wurde. Im Pressetext heißt es dazu, dass es um die gesellschaftlichen Erwartungen an Mütter geht, und dass Maria als "wahrscheinlich prominenteste Mutter des christlichen Kulturraums ein Sinnbild für absolute mütterliche Hingabe (bildet). Das Stereotyp der „guten“ Mutter verfestigte sich im 18. Jahrhundert und ist immer noch verbreitet." Weiter wird ausgeführt, dass Mutterschaft ein Maßstab ist, an dem die Leistung einer Frau gemessen wird - selbst, wenn sie keine Mutter ist. Als Beispiel werden Angela Merkel mit ihrem Spitznamen „Mutti“ und Mutter Theresa genannt. Zusammen ergeben sie ein Titelbild des Magazins "Der Spiegel", auf dem Frau Merkel im typischen Habit der bekannten Nonne zu sehen ist.
Natürlich konnten wir nur einen kleinen Ausschnitt der Werke betrachten und auch nicht alle acht Kapitel behandeln, die ja auch nicht ausschließlich der Kunst gewidmet sind.
Wie die Ausstellung so haben auch wir mit Madonnenfiguren angefangen und zwar mit der
- Goldenen Madonna, um 980/990, aus dem Essener Domschatz,
die nicht in der Ausstellung zu sehen ist. Sie gilt als älteste erhaltene vollplastische Marienfigur der abendländischen Kunst. Ihre weitaufgerissenen farbigen Augen - sie bestehen aus Zellenschmelz, also farbiger Emaille - wirkten in dem mit Gold beschlagenen Körper fast unangenehm auf uns. Sie sitzt mit dem Jesuskind auf dem Schoß auf einem Schemel. Uns fiel auf, dass das Kind schon ziemlich groß wirkt. Auf Wikipedia heißt es, dass diese "Übergröße" die Bedeutung des Erlösers widerspiegelt und Maria ihm gegenüber zurücktritt. Außerdem sei er durch seine Haltung und Bekleidung "mit priesterlichem Ornat" als thronender Herrscher des Himmels gekennzeichnet. Das Buch, das er im Arm hält, weist auf ihn als Verkünder der christlichen Lehre hin. Das Jesuskind wendet sich nicht uns zu, sondern sieht zur Mutter auf, während ihre Augen uns dagegen geradezu anstarren. Maria sei so als Mittlerin zwischen dem Betrachter und dem Bringer der Heilslehre dargestellt, heißt es. Gerätselt haben wir, was die reich verzierte goldene Kugel in ihrer Hand bedeutet. Laut Wikipedia gibt es mehrere Deutungsmöglichkeiten: Es könnte der Apfel des Heils sein. So wie Eva den Apfel des Unheils vom Baum der Erkenntnis weitergab, so reicht Maria dem Kind (oder dem Betrachter?) einen Apfel, der die Erlösung symbolisiert, die sie durch die Geburt Christi in die Welt gebracht hat. Die Kugel kann aber auch so gedeutet werden, dass Maria in ihr die Macht über den Erdkreis für ihr Kind hält.
Wir sind dann relativ rasch zu einer - von mir willkürlich ausgesuchten - neueren Marienfigur übergegangen
- Madonna mit Kind, um 1500, Katholische Pfarrkirche St. Laurentius in Neustadt an der Donau
und haben uns auch hier gefragt, wie das Verhältnis zwischen Mutter und Kind auf uns wirkt. Dabei fielen als erstes die unnatürlichen Proportionen der Frauenfigur auf, die auf uns wie ein sehr junges Mädchen wirkte. Das Jesuskind ist dagegen als Kleinkind dargestellt, das von der Mutter weg in die Welt (oder in die Arme der Betrachterin?) zu streben scheint. Dagegen scheint Maria mit ihren halbgeschlossenen Augen eher abwesend in sich hinein zu schauen und uns als Betrachter gar nicht wahr zu nehmen. Übrigens galt die "Traubenmadonna" als Schutzpatronin der Zunft der Weinschröter, die die Fässer mit Wein transportierten. Das Motiv der Traube wird dabei häufig als Symbol des am Kreuz vergossenen Blutes Christi gedeutet.
Um zu sehen, wie die Madonna heute dargestellt wird, haben wir zwischendurch noch das folgende Bild aufgerufen:
- Unsere Liebe Frau der Seefahrer, Porto Alegre, Brazil, 1871,
allerdings habe ich erst jetzt gesehen, dass die Figur aus dem 19. Jahrhundert stammt. Immerhin scheint die Kirche, in der sie steht, sehr beliebt zu sein und es findet einmal im Jahr eine der größten Prozessionen der Stadt mit der Madonna statt. Uns schien sie von der Bildauffassung her nicht weit entfernt von der Madonna aus dem 16. Jahrhundert. Moderne Madonnenfiguren aus Holz, die teilweise historistisch gearbeitet sind, werden übrigens in einem Internet-Shop so angepriesen: Sie passen "zu einer Vielzahl von Einrichtungsstilen und können leicht mit anderen Deko-Elementen kombiniert werden".
Das Gegenteil der liebenden Mutter ist mit dem Bild von
- Gabriel Cornelius Ritter von Max, Die Kindesmörderin, 1877
in die Ausstellung aufgenommen worden. Tatsächlich sahen wir in der Darstellung erst einmal die am Boden hockende Gestalt einer jungen Mutter, die ihr Kind zu liebkosen scheint. Erst die düstere Atmosphäre der Umgebung, die durch das Schilf auf der rechten Bildseite dicht am Wasser zu liegen scheint, macht deutlich, dass diese Szene einen endgültigen Abschied darstellen muss und dass die junge Frau das schlaffe Baby gleich in das Tuch am Boden wickeln und aussetzen oder sogar begraben wird.
Zu der Abteilung "Betreuungsarbeit" (neuddeutsch Care-Arbeit) habe ich den Text der Ausstellungsinformation vorgelesen, in dem es heißt: "Kinder zu betreuen ist Arbeit. Nichtsdestotrotz bleibt sie meist unbezahlt und wurde traditionell automatisch den Frauen zugewiesen. Fürsorge ist durch gesellschaftliche Normen und Klassenzugehörigkeit geprägt: Lange Zeit stillten nur mittellose Mütter ihre Babys selbst, während finanziell bessergestellte Frauen dafür Ammen engagierten. Um 1800 setzte sich die Auffassung durch, dass alle Frauen die Versorgung der Kleinsten selbst übernehmen sollten: Die Präsenz der leiblichen Mutter gewann an Bedeutung." Dazu gehört das Bild
- Marie-Victoire Lemoine, Portrait der Madame De Lucqui mit Ihrer Tochter, 1800,
das Mutter und Tochter in enger Umarmung zeigt, wobei beide uns als Betrachter direkt anschauen, so als würden sie sagen: Seht her, wie gern wir uns haben. Auffällig war uns die jugendliche Schönheit von Mutter und Kind, die noch ein wenig an die Madonnenfiguren zu erinnern schien, ebenso wie das leuchtend weiße Kleid, das man ja auch als Symbol der Reinheit interpretieren kann.
Ganz anders erschien uns die Mutter im Bild von
- Paula Modersohn-Becker, Stillende Mutter, 1902,
das hundert Jahre später entstanden ist. Im Ausstellungstext heißt es dazu, dass die Malerin stets von Motiven der Mutter-Kind-Bindung fasziniert und dennoch besorgt über die Auswirkungen ihrer eigenen Mutterschaft auf ihre künstlerische Arbeit war. Das konnten wir in dem Bild nicht nachvollziehen. Wir sahen eine nicht mehr ganz junge Frau mit großen abgearbeiteten Händen, die liebevoll auf ihr Kind herabschaut und ihm die entblößte Brust reicht. Das Kind scheint durch den Betrachter abgelenkt, denn es schaut aus dem Bild heraus und wendet sich der lebensspendenen Nahrung der Mutter - noch? - nicht zu. Die großen Hände, das herbe Gesicht und die einfache bunte Kleidung zeigten uns, dass die Malerin hier nicht sich selbst gemeint haben kann, sondern eine Frau ihrer Umgebung sehr realistisch in einem sehr innigen Moment ihrer Mutterschaft porträtiert hat.
Ganz anders wirkte das Foto von
- Judith Samen, Brotschneiden, 1997
auf uns. Diese junge Frau trägt ihr nacktes Kind unter dem Arm und hält gleichzeitig ein Brotmesser mit der anderen Hand über einen Brotlaib, den sie anscheinend gleich durchschneiden wird - wobei das Messer zu klein ist um den Laib mit einem Schnitt zu zerteilen. Wahrscheinlich waren es diese beiden gleichzeitig ausgeführten sozusagen gegenläufigen Tätigkeiten - also die "Betreuung" des Babys und das Schneiden des Brotes - die in uns die Assoziation des folgenden Bildes heraufbeschworen
- Max Ernst, Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind, 1926,
das einst einen Skandal heraufbeschwor. Auch hier tut eine junge Frau, die gerade zur Mutter geworden ist, etwas im Grunde "Ungehöriges", zumindestens etwas "Unzusammengehöriges", das im Betrachter Irritation auslöst. Zugleich aber ist es auch ein Hinweis auf die Überforderung, die Mütter dazu zwingt, mehrere Aufgaben "nebenläufig" auszuführen.
Diesen schmalen Grat zwischen Kinderversorgung und Selbstaufopferung thematisiert laut Informationstext die folgende Künstlerin in ihrer Plastik
- Camille Henrot, End of Me, 2021 (Achtung man muss auf der Seite herunterscrollen zu "Past works" und dann auf das mittlere Bild klicken - 2/3),
die in einer Größe von 230 x 62 x 120 cm aus versteiftem Jeans-Gewebe, Kunststoffrohren, Bronze und Stahl besteht. Die Jeans-Hose war leicht zu erkennen, aber wir brauchten etwas Zeit, um zu verstehen, dass sie von einem Arm gehalten werden muss. Nur der andere Arm der Figur ist sichtbar und mit einer langfingrigen Hand wie hilfesuchend in die Luft gestreckt. Von der Frau, zu der die beiden Arme gehören müssen, sind nur noch die Brüste übrig, aus denen die Milch wie zwei Pflanzenstengel nach oben "wächst?". Oder wie Heinke anmerkte: "Frau reduziert auf das Stillen und den Wäscheständer".
Zu dem Kapitel zu den Orten der Mutterschaft haben wir angesehen:
- Caroline Walker, Roundmoor Drive, 2022.
Das Bild sieht zwar aus wie ein Foto, ist aber mit Ölfarbe auf Papier gemalt. Es zeigt eine Frau mit ihrem Baby in einer Küche. Am Anfang war nicht ganz klar, ob sie wirklich hinter der Glastür und damit ganz allein mit ihrem Kind, isoliert von der Außenwelt, in der privaten Innenwelt von Haushalt und der Nahrungszubereitung steht. Und während dieses Bild einerseits mit dem Blick in zwei freundlich beleuchtete und ausgestattete Räume anheimelnd daherkommt, vermittelte es uns doch zugleich auch so etwas wie Einsamkeit und Verlassenheit.
Ganz anders geht die finnische Künstlerin mit dem Thema um
- Katharina Bosse (*1968), Porträt der Künstlerin als junge Mutter.
Sie hat sich zusammen mit ihren Kindern nackt und teilweise hochschwanger in der Natur fotografiert, wobei es im Text heißt, dass sie sich "in erotisch aufgeladenen Posen mit ihrem Kleinkind, das neben ihr krabbelt" abgelichtet hat und damit "mit der scheinbaren Naturidylle, die Mutterschaft in der Kunst- und Kulturgeschichte umgibt", bricht.
Das letzte Bild in der Reihe gehörte zu dem Thema "Entscheidung (k)ein Kind zu bekommen":
- Hannah Höch, Frau und Saturn, 1922.
Wir sahen das Porträt einer Frau, die ein Baby eng an ihr Gesicht geschmiegt im Arm hält. Mit geschlossenen Augen wirkt sie ganz in die Beziehung zu dem Kind versunken. Erst auf den zweiten Blick wird klar, dass dieses Kind teilweise durchsichtig ist. Die schon geschwollene Brust der Mutter wird durch seinen Körper hindurch sichtbar. Dann sahen wir auch das männliche, harte und dunkle Gesicht hinter der Frau, mit seinen brutal heruntergezogenen Mundwinkeln. Links über ihrem Kopf leuchtet ein spitziger Stern mit der Inschrift Saturn. Dieser Planet steht u. a. für Unglück, also z.B. für Sorgen und besonders für Melancholie. Damit wird auch die Erklärung deutlich, dass die Malerin in diesem Bild ihr Ringen um die Entscheidung gegen ein Kind von Raoul Hausmann verarbeitet hat.