Montag, 17. Februar 2025

Figures du Fou - Gestalten des Narren

Porträt eines Narren (Quelle)
Der Louvre in Paris hat bis zum 3. Februar 2025 unter dem obigen Titel die Welt der Narren vom Mittelalter bis zur Romantik gezeigt. Es gab und gibt noch heute verschiedene Arten von Narren oder Närrinnen. Es kann sich um männliche oder weibliche Personen handeln, die sich dumm verhalten und sich leicht irreführen oder täuschen lassen. Als Narr kann man aber auch in der Fastnacht auftreten und sich dann absichtlich töricht verhalten oder man kann vor einem Publikum den Narren spielen und es zum Lachen bringen. Eine besondere Rolle nimmt dabei der Hofnarr ein, der sowohl töricht als auch klug sein konnte und der Hofgesellschaft zur Belustigung diente. Im Französischen bezeichnet man übrigens alle diese Arten von Narren, vom Hofnarr bis zum Geisteskranken, als "fou". 

Die Darstellung dieser Gestalten entwickelte sich "von einem marginalen Charakter im 13. zu einer omnipräsenten Figur im 16. Jahrhundert. Zu dieser Zeit wurde der Narr das Symbol für die Unordnung der Welt. Diese Reise auf dem Narrenschiff wurde mit der Klassik unterbrochen und die Figur des Narren weitgehend in den Hintergrund gedrängt; dennoch erweckte diese subversive Kreatur neues Interesse, nachdem der Tumult der Revolution abgeklungen war, und tauchte in neuen Formen im 19. Jahrhundert mit der Entstehung der Psychiatrie wieder auf", schreiben die Ausstellungsmacher.

Der Narr und Gott

Mit diesem Thema beginnt die Ausstellung. In der christlich geprägten Welt des Mittelalters wurde der Narr als die Verkörperung derer angesehen, die den christlichen Gott ablehnten. Seine Gestalt wurde gern in der Buchmalerei und zwar als Illustration der Initiale 'D' des 52. Psalms dargestellt. Dieser Psalm beginnt mit dem Satz: „Dixit insipiens in corde suo: non est Deus" ("Der Narr - oder genauer der Nicht-Weise oder Nicht-Wissende im Gegensatz zum sapiens, dem Weisen oder Wissenden - hat in seinem Herzen gesagt: Es gibt keinen Gott"). Dazu haben wir angesehen:

- Jacquemart de Hesdin, Psautier de Jean de France, duc de Berry : illustration du psaume 52, 1380-1400


Der Narr steht hier in einer Landschaft zwischen zwei Bäumen aber zugleich unter einem gotischen Bogen und vor einem teppichartig gemusterten Hintergrund. Das scheint ein Widerspruch in sich zu sein und zum Narren zu passen. Er trägt eine Keule in seiner Rechten und führt mit der anderen Hand ein Brot zum Mund. Besonders eigenartig erschien uns seine Kleidung: Er ist fast nackt und trägt nur eine Art kurzer Hose und ein Tuch über den Schultern, das reich gefältelt auf beiden Seiten herabfällt. Zerrissene Kleidung oder völlige Nacktheit war anscheinend ein typisches Attribut der Narren in dieser Zeit und steht für die weltliche und geistige Armut dieser Personen. Das Brot bezieht sich sowohl auf den Vers 5 des 52. Psalms: "Haben keine Erkenntnis die, welche Frevel tun, die mein Volk fressen, als äßen sie Brot?" und auf das "Brot der Gottlosigkeit" aus dem Buch der Sprüche 4, 17: "Sie essen des Frevels Brot". Der Narr als Gottesleugner ist damit zugleich ein Frevler, der die Gläubigen sozusagen "aufisst".

Torheit der Liebe

Oder vielleicht besser die "Torheit in der Liebe" folgt auf diesen ersten Teil, in dem natürlich noch weitere Bilder zu sehen sind. Verliebtheit kann bekanntermaßen normale Menschen zu Narren machen. Beliebt war im späten Mittelalter eine Szene mit dem Philosophen Aristoteles, der von der schönen Phyllis lächerlich gemacht wird. Diese Szene gibt es in Reliefs, Bildern und als Kleinplastik:

- Aquamanile in der Form von Aristoteles and Phyllis, Süd-Niederländisch, spätes 14. oder frühes 15. Jh.  

Die Geschichte geht ungefähr so: Der große Philosoph Aristoteles war der Lehrer Alexanders. Sein junger Schüler verliebte sich in Phyllis, die schöne Kammerzofe seiner Mutter. Der Lehrer tadelte ihn und, als das den Schüler nicht aufmerksamer machte, sorgte er dafür, dass die beiden Liebenden getrennt wurden. Aber Phyllis rächte sich, indem sie den alten Lehrer in sich verliebt machte. Um eine Nacht mit ihr zu verbringen, erlaubte er ihr, auf seinem Rücken durch den Garten zu reiten, wobei ihn die Hofgesellschaft beobachten konnte. Die Moral dieser Geschichte wird unterschiedlich erzählt, z.B. dass Aristoteles vor dem Spott auf eine Insel floh und ein Buch über die Ränke der Frauen schrieb.  

Ein Aquamanile war ein Gefäß zu Handwaschung. Die kleine Figurengruppe zeigt Aristoteles auf allen Vieren mit Phyllis auf seinem Rücken. Vorn unter dem Kopf des Aristotles befindet sich ein Ausguß für das Wasser.  Aristoteles trägt höfische Kleidung mit spitzen Schuhen und engen Hosen. Die junge Phyllis hält sich an seinen Haaren und an seinem Hinterteil fest. Schaut man die Rückseite der Gruppe an, dann sieht man, dass Phyllis höfisch gekleidet ist und Ärmel mit langen gelappten Zipfeln trägt. 

Der Garten galt auch in anderen Geschichten dieser Zeit als idealer Ort für Liebende. Dazu heißt es in der Ausstellung, dass mit dem 15. Jahrhundert eine neue Figur in den Garten der Liebe eintrat: der Narr, der mit seinem grimassierenden Gesicht und seinen oft obszönen Gesten die Liebe auf die Lust reduzierte. Dazu ist in der Ausstellung ein Bildteppich zu sehen:

- La Collation (Die Mahlzeit). Tournai (?), um 1520 (Hinweis: Es handelt sich um den obersten Bildteppich auf dieser Website)

Aber wo ist der Narr? Wir sind die Darstellungen - von links unten angefangen - durchgegangen: Da gibt es einen Herrn, der seine Dame vom Pferd hebt, begleitet von kleineren Dienerfiguren; rechts daneben unterhalten sich zwei Damen und ein Pferd wird herangeführt. In der Ebene darüber scheinen links zwei Jäger, einer davon mit einem Hund, zu stehen. Rechts daneben tafeln zwei Damen und ein Herr und, ja!, rechts neben ihnen steht der Narr an einem Brunnen; deutlich erkennbar an seinem Narrenstock und seiner Zipfelmütze mit einem Glöckchen. Weist er absichtlich mit seiner rechten Hand zu dem eng umschlungenen Paar auf der anderen Seite des Brunnens? Da waren wir uns nicht so ganz einig.

Deutlicher wird die Darstellung in dem folgenden Relief

- Arnt van Tricht, Handtuchhalter mit Liebespaar, Kalkar, um 1540.

Die auffällige Kopfbedeckung der Frau ist übrigens eine hochaufgetürmte Frisur oder Kopfbedeckung mit Schmuckelementen. Vergleichen lässt sie sich z.B. mit dieser italienischen Dame:

- Tizian, Isabella d'Este, Markgräfin von Mantua (1474-1539), um 1534/36.

Wir haben der Dame, die die Stange für das Handtuch hält, ein wenig schärfer in den offenherzigen Ausschnitt und auf die Brust geschaut. Der Narr zieht sie begehrlich mit beiden Händen zu sich heran und drückt ihr einen Kuss auf den Mund. Und überall sitzen kleine Narren auf dem Paar oder lugen aus dem Ärmel heraus und machen mit Dudelsack und Trommel Musik zu diesem Spiel. Ist das ein Handtuchhalter für den gehobenen bürgerlichen Haushalt? Wir waren der Meinung: Wohl eher nicht! Und schlossen die Möglichkeit, dass er in einem Bordell angebracht war, nicht aus.

Der Narr und der Hof 

Dieses Thema stellt die Frage: Dummkopf oder Narr? Hauptausstellungsstück ist das Werk:

-  Konrad Seusenhofer, Gehörnter Helm, Rüstung von Henri VIII von England, Innsbruck, um 1511-1514.

Aber zu diesem Helm gibt es verschiedene Aussagen. Anscheinend wurde er wegen seiner grotesken Form fälschlich dem Narren William Sommers am englischen Hof zugeordnet. Der Helm gehört zu einer Prunkrüstung, die nicht mehr erhalten ist. Sie war ein Geschenk von Maximilian I. von Österreich an Heinrich VIII. von England. Es gab insgesamt drei ähnliche Rüstungen. Eine davon ist heute in Wien zu sehen. Die merkwürdige Form des Helmes soll der Mode Maskenhelme oder Larvenhelme entstammen, die anscheinend auf Festzügen getragen wurden. Und auch Ritter trugen bei Turnieren im 16. Jh. manchmal so einen Maskenhelm um Aufmerksamkeit zu erregen. Hier sind noch mehr solcher Helme aus dieser Zeit zu finden, deren Aussehen abenteuerlich und auch furchterregend sein kann. 

Uns hat das Thema der Brille interessiert, die diesen Helm ziert. Tatsächlich gab es damals schon solche Brillen, die hauptsächlich von Gelehrten getragen wurden. Man verdirbt sich die Augen beim Lesen! Das Thema nimmt übrigens auch Sebastian Brandt in seinem Werk "Das Narrenschiff" auf. Wir haben das Bild nicht angesehen, aber ich füge es einfach hier mit ein: 

- Sebastian Brandt, Illustration zu "Inutilitas librorum" (Nutzlosigkeit der Bücher), in "Das Narrenschiff", ca. 1783  (und auf Deutsch)

Immerhin sah man durch eine Brille die Welt entweder schärfer oder aber verzerrt und andererseits kann man ohne Brille ziemlich blind sein, je nach Beschaffenheit der Augen. Damit ist sie weiteres Attribut des Verrückten, das den Gelehrten parodiert und gleichzeitig eine verzerrte Sicht der Realität bietet, die für den Wahnsinn charakteristisch ist. Die Darstellung des folgenden Narren macht noch auf eine andere Weise auf eine verdrehte oder verzerrte Weltsicht aufmerksam:

- Meister des Ecce Homo von Augsburg, Porträt eines Narren, der durch seine Finger sieht (Version A), um 1547.

Dieser uns breit anlachende Narr hält zum einen die Brille in den Händen. Zum anderen schaut er - und das sowohl im Bild wie sprichwörtlich - "durch die Finger" auf uns. Sieht man jemandem durch Finger zu, so schaut man einem Regelverstoß, einem merkwürdigen oder sogar illegalen Treiben tatenlos zu, ist also gegenüber dem Fehlverhalten eines Gegenübers zu nachsichtig oder schaut bewusst nicht zu genau hin um nicht eingreifen zu müssen. Da frage ich mich doch, was sieht dieser Mann in seinem Narrenkleid, der mich gerade so schelmisch anschaut?

Das breite Lachen gehört ebenfalls zum Narren. "Normale" Menschen werden nicht mit weit offenem Mund lachend porträtiert, so wie der Mann auf dem Bild von 

- Marx Reichlich, Der Narr, ca. 1519–20,

bei dem uns als erstes sein schielender Blick auffiel und irritierte. Denn hier werden wir zwar mit einem Auge direkt angeschaut, aber zugleich schweift das andere Auge ab. Dazu hat er alle Narrenattribute, wie den Stock mit dem Narrengesicht, die bunte Kleidung und die Narrenkappe mit den Schellen. Auch das Brot, das vom "Narr in Gott" bekannt ist, sieht man hier wieder. Daneben liegt ein zerbrochenes, anscheinend weich gekochtes Ei und dazu gibt es ein Glas mit rotem Wein. Ist das Ei hier "Sinnbild des Werdens und der Schöpfung"? Und deutet der rote Wein auf das Sakrament des Abendmahls zusammen mit dem Brot? Und hat der Narr mit den Finger in das Ei gegriffen und lässt das Eiweiß zwischen seinen Fingerkuppen aufspritzen? Dabei sind diese Finger auffallend dreckig! Dazu scheint dieser Mann nicht arm zu sein. Er trägt goldene Ringe und eine lange Kette und eine Münze an seinem Kleid und er besitzt sogar ein Hündchen, das man sonst auf den Armen reicher Damen findet. 

Neben diesen Bildern von Narren, deren Namen unbekannt sind, gibt es auch Porträts von namentlich bekannten Hofnarren, wie die

- Karikatur eines Hofnarren Philipps des Guten, Herzog von Burgund, 16. Jh.

Diese Zeichnung stammt aus dem "Receuil d'Arras", einer großen Sammlung von Porträts, die von Jacques de Boucq kopiert wurden. Wir stolperten über den Begriff Karikatur. Ist diese Gestalt mit ihrem erhobenen Stock, ihrem kurzen dicken Hals und dem eindeutig schwach ausgebildeten Platz für das Gehirn wirklich eine Karikatur, oder nicht vielleicht doch die Darstellung eines armen geistesschwachen Menschen, der von seiner Umwelt malträtiert wird? Ein Hinweis darauf, dass man sich an den Höfen des Adels tatsächlich geistesschwache Menschen als Narren hielt, gibt zumindest das folgende Porträt

- Francesco Laurana, Portrait von Triboulet, Spaßmacher von René d’Anjou, ca. 1460,

der mit seinem dicken Hals und flachen Schädel dem Hofnarr des burgundischen Herzogs nicht unähnlich ist.

Der Narr in der Stadt 

Mit dieser thematischen Variante nimmt die Ausstellung Bezug auf die Festveranstaltungen und damit natürlich auch auf die Zeit der Fastnacht, in der die ganze Welt auf dem Kopf steht und sich närrisch verhält. Ein frühes Werk ist das Gemälde

- Meister von Frankfurt, Das Schützenfest, 1493

Hier ist die Welt noch nicht als Ganzes aus den Fugen geraten, sondern wir sehen eine Stadtgesellschaft, die sich in einem umzäunten Garten vor der Stadt vergnügt. Wir hatten nicht mehr die Zeit uns mit allen Figuren zu beschäftigen, sondern haben nach den beiden Narren geschaut, die im Mittelpunkt des Bildes stehen. Durch ihre bunte Kleidung und speziell die Narrenkappen sind sie eindeutig identifizierbar. Jeder hat ein Musikinstrument dabei - ein Horn mit Löchern für Flötentöne und einen Dudelsack. Der Linke im Bild trägt zudem zwei Krähen auf der Schulter, auf die der Rechte anscheinend einen Blick wirft. Beide sind einander zugewandt, gleichzeitig aber in einer Drehung bewegt dargestellt und halten Arme und Hände vom Körper abgespreizt. Wir haben darauf getippt, dass sie tanzen. Denn eine ähnliche verdrehte Haltung zeigen auch die Moriskentänzer, die man zum Beispiel in München sehen kann: 

- Kopien eines Morisko Tänzers von Erasmus Grasser, München, 1480 (die Originale stehen im Münchner Stadtmuseum).

Über die Gestalt des Narren wäre noch viel mehr zu sagen. Man könnte z.B. auch noch die Verbindung zum heutigen Karneval in seinen unterschiedlichen Ausprägungen ziehen. Aber dazu reichte schon wieder die Zeit nicht...