Plakat der Fliesenausstellung in Barmstedt |
Auf der Schlossinsel in Barmstedt in der Nähe von Hamburg befindet sich das - nicht sehr große - Museum der Grafschaft Rantzau. Dort läuft bis zum März 2024 die Ausstellung "Von Spinnen und Ochsenköpfen - Fliesenkultur in und um Barmstedt". Weil ich ehrenamtlich im Museumsverein mitarbeite und mich mit den biblischen Geschichten, die auf solchen Fliesen zu sehen sind, und ihren Vorbildern näher beschäftigt habe, haben wir sie uns auch beim Kunstsurfen angesehen.
Hier in Kurzform erst mal etwas zur Geschichte der Fliese, zitiert nach der Broschüre, die zu der Ausstellung erschienenen ist. Die Kunst, gebrannte Tonwaren mit farbigen Glasuren zu verzieren, reicht bis weit in die vorchristliche Zeit zurück. Früheste Objekte stammen aus dem Vorderen Orient. Nach Nordeuropa kam diese Kunst über das islamisch dominierte Spanien. Verschiedene Handels- und Herstellungszentren gaben den Tonwaren ihren Namen. Über Mallorca gehandelte Waren nannte man Majolika. Aus der oberitalienischen Stadt Faenza kam die Fayence. Italienische Handwerker kamen im frühen 16. Jahrhundert nach Frankreich und Flandern und brachten ihre Kenntnisse mit. In der Folge entstanden dort und zwar speziell in Antwerpen, aber auch in den südlichen Regionen der heutigen Niederlande neue Manufakturen. Als das protestantische Antwerpen 1585 zum katholischen Glauben zurückkehren musste, verließen viele Handwerker die Stadt und ließen sich im Norden des Landes nieder, wo sie ihren Glauben weiter ausüben konnten. Dort kam die Fliesen- und Fayenceproduktion zu so großer Blüte, dass die niederländischen Produkte Einzug in die Wohnkultur in ganz Europa fanden.
Gleichzeitig wurden immer mehr blau-weiße chinesische Porzellane nach Europa eingeführt. Da ihre Herstellung noch unbekannt war, machte man solche Waren aus Ton nach. Fliesen und Geschirr wurden mit weißer Blei-Zinnoxid-Glasur überzogen und mit dem Blau des chinesischen Porzellans bemalt. Manchmal wurden auch chinesisch anmutende Motive verwendet. Bekannt wurden diese Waren als „Chinoiserien“.
Wir haben uns als erstes das
- Bolsward Tableau, 1765
angeschaut, das sich im Reichsmuseum in Amsterdam befindet und aus sage und schreibe 154 Fliesen besteht. Als erstes fiel uns die Ecke rechts unten auf: Da läuft ein Pferd in einer Mühle und rechts davon läuft ein Pferd im Kreis um einen Bottich, an dem ein Mann arbeitet. Vorn steht eine Schubkarre. Also ist das der Ort, an dem der Ton, der aus der Erde geholt worden ist, gereinigt und gemischt wird. Im Hintergrund ist übrigens ein Mann am "Glasurbrecher" zu sehen, dort wird der "Glaskuchen" zerkleinert und zwischen zwei Walzen fein zermahlen. Daraus entsteht die Grundmasse für die Glasuren. Dann wurde klar, dass im mittleren Bereich Töpferwaren an Drehscheiben hergestellt und auf hohen Regalen getrocknet werden. In der obersten Ebene erkannten wir den Bereich für die Fliesen, die ebenfalls auf Regalen getrocknet werden, nachdem sie als Tonplatten mit Hilfe von Formrahmen hergestellt worden sind. Auf der rechten Seite steht neben dem Tisch ein Wasserfass mit einem Streichstock. Mit ihm wird der Ton im Rahmen glatt gestrichen. Am meisten irritiert hat uns der Ofen, denn Ute hat Kenntnisse über die Töpferei und fragte, wie man diesen riesigen Ofen wohl befüllt hat, und wie man das Feuer in Gang hielt. Immerhin kann man unten die Luke sehen, durch die Brennmaterial nachgefüllt werden kann. Die kleine Werkstatt an der linken Ecke fällt da weniger auf. Dort werden die Fliesen bemalt.
Was aber wurde auf den historischen Fliesen eigentlich dargestellt? Die allermeisten, die in den Bauernhäusern rund um Barmstedt an die Wände kamen, zeigen "Bloempotjes". Aber es gab natürlich auch viele andere Motive wie einzelne Blumen - z.B. Tulpen oder Schachbrettblumen -, Landschaften, zeitgenössische Figuren oder eben auch Chinoiserien, also den chinesischen Porzellanbildern nachempfundene Darstellungen.
Zwei Fliesen mit "Blumentöpfen" in blauer und violetter Glasur |
Und dann gab es die vielen Fliesen mit Bildern von biblischen Geschichten. Diese orientieren sich oft an den illustrierten Lutherbibeln. Man denke daran, dass der Buchdruck erst im 16. Jahrhundert erfunden wurde! Unter den bebilderten Bibeln steht die mit den Bildern von Matthäus Merian d.Ä. an erster Stelle. Von ihr sind zahlreiche weitere Drucke im wahrsten Sinne des Wortes "abgekupfert" worden. Und diese Bilder finden sich dann auch auf den Fliesen wieder und zwar besonders häufig diejenigen, in dem viersprachigen Druck von Nicolaus Visscher "Die heylige Historien des Alten und Neuen Testaments, in kunstlichen Figuren abgebildt" zu finden sind, der im Jahr 1700 erschienen ist.
Als erstes Beispiel einer solchen Buchseite haben wir uns das Bild der
- Sintflut
angeschaut und es mit der Fliese mit der gleichen Abbildung aus der Ausstellung verglichen. (Weil die Fliesen aus der Ausstellung bisher nicht im Internet veröffentlicht sind, füge ich die passenden Bilder hier ein und danke dem Rechtinhaber und Kurator, Frank Wünsche, herzlich für die Erlaubnis zum Veröffentlichen.)
Fliese mit Darstellung der Sintflut (Gen: 7:V:17:) |
Wir haben viel von dem Bibelbild auf der Fliese wieder gefunden: die Figuren im Vordergrund; die im Wasser versinkende Kuh; die Gestalten, die links einen Felsen nackt erklimmen. Auch die versinkende Stadt und die Arche im Hintergrund hat der Fliesenmaler zusammen mit den Regenschwaden übernommen und zugleich deutlich vereinfacht.
Johanna, die aus den Niederlanden kommt, hatte übrigens besondere Freude an den Texten auf der linken Seite der Bilderbibel. Sie erzählen die biblischen Geschichten mit den Worten des Buchautors und man kann sie auf Französisch, Englisch, Deutsch und Holländisch lesen. Es war ein großer europäischer Markt, auf dem sich dieses Buch verkaufen ließ! Unter den Bildern stehen in denselben Sprachen kurze Sprüche, die die "Moral von der Geschicht", so wie sie im 18. Jh. verstanden wurde, noch einmal zusammenfassen. In diesem Fall: "Auf Sünde folgt die Straffe. Was weicht ihr für Gefahr/ ihr kont doch nicht entkommen?/ Die Ströhme haben ja die oberhand genommen./ Das Meer hat keinen Strand / es hilfft kein Berg noch Stein/ Der Sünden große Meng muß ietzt ersäuffet seyn."
Für den Turmbau zu Babel (Genesis 11,1–9) haben wir zuerst das bekannte Gemälde von
- Pieter Brueghel d. Ä., Turmbau zu Babel, 1536
aufgerufen. Es gibt noch eine
- andere Version
dieses Motivs, die wir nicht angesehen haben. Wenn man beide Breughel-Bilder mit dem Druck
- Turmbau zu Babel,
vergleicht, dann sieht man, dass der Kupferstecher wahrscheinlich eine Abbildung des zweiten Bildes kannte. Für die Fliese schließlich wurde der runde Turmbau übernommen und die Umgebung stark vereinfacht:
Fliese mit dem Turmbau zu Babel |
Nur zur Information: Wir haben uns beim Kunstsurfen hier schon einmal ausführlicher mit diesem Turmbau beschäftigt.
Von da aus sind wir zu einer unbekannteren Bibelstelle übergegangen und zwar zu der Heilung des Kranken von Betesda (Johannes 5:1-18). In der Bibel wird dazu erzählt, dass Jesus vor seinem Einzug in Jerusalem an dem Teich Betesda vorbeikam, wo viele Kranke in Säulenhallen lagen. Wenn dort ein Engel das Wasser aufwallen ließ, wurde der erste, der hineinstieg, gesund. Unter den Kranken war einer, der dort schon achtunddreißig Jahre lag, weil er niemanden hatte, der ihn zum Teich trug. Jesus sagte zu ihm: Steh auf, nimm deine Liege und geh! Der Mann war sofort gesund, nahm seine Liege und ging. Die Juden aber sagten zu dem Geheilten: Es ist Sabbat, du darfst deine Liege nicht tragen. Und als sie hörten, wer ihm das gesagt hatte, verfolgten sie Jesus, weil er das an einem Sabbat getan hatte.
Wir haben uns zuerst frühere Darstellungen dieses Heilungswunders angeschaut:
- Sarkophagfront mit architektonischem Hintergrund (Typ "Bethesda"), ca. 366-384 n. Chr
Es ist nicht ganz einfach sich auf dem Bild zurecht zu finden: Ganz rechts erkannten wir in dem Esel und seinem Reiter Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem. Links daneben ist eine zweiteilige Szene. Unten liegt ein Mann umgeben von drei Personen auf einer Liege, über die ein Tuch ausgebreitet ist. Oben sieht man mehrere Männer vor einer Säulenhalle, der zweite von rechts ist der Kranke, der sein Bettgestell auf dem Rücken trägt.
Noch im 5. Jh. nach Chr. wird der Kranke mit seinem Bettgestell ganz ähnlich dargestellt. Die Szene ist allerdings vereinfacht, wir sehen nur noch Christus und den Geheilten:
- Sant' Apollinare Nuovo (Ravenna), Mosaik, Heilung des Gichtbrüchigen von Bethesda
In der
- Bilderbibel, Nürnberg, 2. Hälfte 15. Jahrhundert (STN, Cent. V, App. 34a, Deutsche Handschriften)
fünfhundert Jahre später ist das Bett dann zu einer hölzernen Liegestatt geworden, die uns erstaunlich modern vorkam, wobei das Thema der Darstellung sich jetzt nicht mehr um den Geheilten mit seinem Bett auf dem Rücken, sondern um den Moment vor der Heilung dreht, in dem Christus und Petrus am Krankenbett stehen.
Ganz anders dann die Darstellung in einer gedruckten Bibel, die wiederum hundert Jahre später, also in einer Zeit, als man sich auf die Antike zurückbesann, erschienen ist:
- Genezing van de man bij het bad van Betesda, aus der "Vita Iesu Salvatoris varijs iconibus ab Adriano Collaert expressa", ca. 1580 - ca. 1590
Übrigens hat der Drucker und Herausgeber Adriaen Collaert, dabei auf einen Druck von Jacques de Bie zurückgegriffen, der wiederum sein Bild nach einer Zeichnung von Maerten de Vos angefertigt hat. Diese Künstler lassen die Szene vor einer runden antiken Pfeilerhalle spielen. Im Vordergrund steht rechts Christus mit seinen Jüngern, während der Geheilte auf der linken Seite seinen Strohsack von der hölzernen Bettstatt aufgenommen und geschultert hat um wegzugehen. Es ist nicht ganz einfach zu erkennen: In der Mitte des Bildes sieht man den mit Stufen eingefassten runden Teich, zu dem ein Engel hinabgestiegen ist, der mit einem Stab das Wasser aufrührt.
Und was zeigen die Fliesen, wenn sie diese Szene verbildlichen? Sie greifen auf diesen oder einen ähnlichen Druck zurück, und lassen den Geheilten einen Strohsack tragen (und dieser Sack oder nur ein Strich auf dem Rücken ist manchmal das einzige Zeichen, an dem man erkennen kann, was ein Fliesenbild mit zwei Männern darstellen soll!).
Drei Fliesen mit der Darstellung des Geheilten vom Teich in Betesda, der sein Bett auf dem Rücken trägt |
Tableau mit der Darstellung der Himmelfahrt Christi |
Ausschnitt: Christusfigur mit Wundmalen aus dem Himmelfahrtstableau |