Donnerstag, 13. April 2023

Flowers forever - Eine "Blumenausstellung" in der Münchener Kunsthalle

Jan Brueghel der Jüngere, Allegorie der Tulipomanie
In der Münchener Kunsthalle läuft bis zum 27. August 2023 die Ausstellung "Flowers Forever - Blumen in Kunst und Kultur". Obwohl Blumen auf geradezu unendlich vielen Kunstwerken aller Zeiten und Kulturen zu finden sind, scheint das die erste Kunstausstellung zu sein, die sich allein diesem Thema widmet. Dazu findet in München bis zum 7.10. ein "Flowerpower Festival" mit zahlreichen Veranstaltungen statt.

Wir haben uns unter verschiedenen Aspekten den Kunst-Blumen genähert. Als erstes stand die Verwendung von Blumen als Symbole im Vordergrund. Zeitlich sind wir im alten Ägypten gelandet und haben die

- Schale mit Fischen und Lotosblüten, aus der 18. Dynastie (Neues Reich)

angesehen. Nicht sehen kann man auf dem Bild, dass die kleine Schale auf der Unterseite mit den aufgefächerten Kelchblättern einer Lotosblume bemalt ist, so dass die Schale selbst zur Blüte wird. Bei der Abbildung der Innenseite fielen sofort die drei Fische auf, die in einen einzigen Kopf zusammenlaufen. Erst beim zweiten Hinsehen wurden auch die drei Lotosblüten zwischen ihnen erkannt. Bei den Fischen kam sozusagen wie von selbst die Interpretation als Drei-Einigkeit auf. Tatsächlich steht im zugehörigen Text auf der Website, dass es im Leidener Amunhymnus heißt: "Drei sind alle Götter - Amun, Re und Ptah". Diese Namen stehen für die "verschiedenen Aspekte des Schöpfergottes, des Ursprung alles Existierenden. Amun, 'der Verborgene' symbolisiert den Urzustand alles Seienden, Re ist die Verkörperung des Göttlichen auf Erden und Ptah hat mit seinem Denken und Ausspruch die Welt erschaffen. Jeder für sich bildet einen eigenständigen Teil der Schöpfung und des Göttlichen, aber keiner ist ohne den anderen existent". (Nur als Anmerkung: Diese Schale findet sich nicht in der Ausstellung, dort wird der Lotos anhand der Stele des Nena, um 1300 v.Chr. verbildlicht.) 

Da die Blätter des Lotos die Fähigkeit haben, Schmutz abzuweisen (Lotoseffekt!), gilt diese Pflanze in weiten Teilen Asiens als Sinnbild der Reinheit, Treue, Schöpferkraft und Erleuchtung, wie man Wikipedia entnehmen kann. Sie findet sich als Symbol sowohl im Hinduismus wie im Buddhismus, wo die Erleuchteten (Buddhas) auf einer geöffneten Lotosblüte oder einem Lotosthron dargestellt werden. Dazu haben wir die japanische

- Statue des Buddha Amithaba, 17. Jh.  

aufgerufen. In diesem Bild steht die kleine Statue neben der Lotosblüte, aber eigentlich ist sie mit dem Zapfen, den man in der Mitte der Blüte sieht, darauf befestigt. 

Als Symbol der Reinheit wurde die Form der Lotosblüte auch von der Religionsgemeinschaft der Bahai aufgegriffen: Der erste 

- Bahai-Tempel in Indien, 

ein Sakralbau für die Anhänger aller Religionen, ist der Form einer Lotosblüte nachempfunden. 

Übrigens ist dies ein Charakteristikum der Münchener Ausstellung: Einzelne Themen, wie hier das der Lotosblüte werden nicht nur in der Kunstgeschichte, sondern auch in der gegenwärtigen Kunst- und Kulturszene verankert.

Das Thema "Blume und Reinheit" haben wir in der abendländische Kultur weiter verfolgt, indem wir uns mit der "Madonnenlilie" beschäftigt haben. Man findet diese weiße Lilie auf vielen Bildern und zwar besonders häufig bei der Szene der Verkündigung an Maria. Dort ist sie das Symbol von Marias Jungfräulichkeit und Reinheit. Bei Wikipedia heißt es dazu, dass als "Konzession an die Unschuld ... die Madonnenlilie jedoch meist ohne Stempel und Staubfäden dargestellt" wurde. Wir haben uns dazu das Bild angesehen:

- Sandro Botticelli, Berliner Madonna, 1477,

auf dem eine ganze Lilienreihe den Kopf der Madonna einrahmt, die in unseren Augen merkwürdig unbeteiligt ihr schon ziemlich großes Jesuskind auf dem Schoß hält. Man muss schon genau hinsehen, um direkt über ihr die beiden Hände im Himmel zu sehen, die eine edelsteingeschmückte goldene Krone über ihrem Kopf halten. Und erst als wir uns die hübschen jungen Männer - sie werden als singende Engel bezeichnet, doch sieht man sie nicht singen (!) - näher angeschaut haben, die die Gottesmutter umrahmen, erkannten wir, dass jeder von ihnen eine der Lilien in seiner rechten Hand hält. 

Lilien gibt es natürlich noch in anderen Zusammenhängen, den Kunstsurfern fielen dazu  die 

- Bourbonenlilien

ein; also die meist dreiblättrigen stilisierten Lilienformen, in den Wappen französischer Herrscher eine wichtige Rolle spielen, und das 

- Volkslied „Drei Lilien“, 

bei dem die Lilien als Trauerblumen auf das Grab gepflanzt werden.

Von der Blumensymbolik sind wir zur Pflanzenkunde, also zur Botanik, übergewechselt. Botanische Gärten wurden im Zeitalter der Renaissance zum ersten Mal in Italien angelegt. Schon seit 1492 ist ein erster auf Gehölze ausgerichteter botanischer Garten, das Arboretum von Trsteno nahe Dubrovnik, nachgewiesen. 1545 entstand dann der erste und älteste botanische Garten der Welt, der sich noch immer an seinem ursprünglichen Ort in Verbindung mit der Universität von Padua befindet. In München sind Tafeln des sonst relativ unbekannten Malers

- Girolamo Pini, Botanische Studie, um 1615,

ausgestellt, auf denen eine Vielzahl verschiender Zwiebelgewächse und einige andere Pflanzen sorgfältig ausgerichtet und akribisch detailliert dargestellt sind. Schaut man genauer hin, dann kann man auch Marienkäfer, Raupen und andere Insekten auf Blättern und Stengeln und zwischen den Blumen entdecken. Neben jeder Blume steht eine lateinische Ziffer und in der Ecke der Tafel findet man darunter den zughörigen Namen auf einer aufgemalten Schriftrolle. Wir prüften ein wenig unser Blumenwissen und erkannten eine ganze Reihe von Pflanzen wieder. Im Zusammenhang mit diesen botanischen Studien wies Ute uns auf ein Werk hin, dass im hohen Norden im gleichen Zeitraum entstand, den

- Gottorfer Codex, 1649 - 1659.

Dieser vierbändige Pflanzenatlas wurde im Auftrag Herzog Friedrichs III. von Schleswig-Holstein-Gottorf von Hans Simon Holtzbecker erschaffen und zeigt die teilweise exotischen Pflanzen, die in dem unter dem Herzog neu angelegtem frühbarocken Terrassengarten beim Gottorfer Schloss angepflanzt wurden. 

Berühmt geworden ist die Künstlerin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian (1647-1717 ), die von 1699 bis 1701 die niederländische Kolonie Surinam an der Nordostküste Südamerikas bereiste und danach 1705 ihr Hauptwerk "Metamorphosis insectorum Surinamensium" publizierte (das ganze Werk ist hier digitalisiert). Wir haben uns die folgende Seite angesehen.

- Maria Sibylla Merian, Banane 

Dass das Bild eine Bananenstaude darstellt, musste erst bewiesen werden.

In der Ausstellung wird ein Blatt aus dem Buch von Merian mit einer Seite aus dem Werk von

- Patricia Kaersenhout, Von Palimpsesten und Auslöschungen, 2021

konfrontiert. Zur Erklärung: Als Palimpseste werden Manuskriptseiten oder -rollen bezeichnet, die beschrieben sind und dann durch Schaben oder Waschen gereinigt und neu beschrieben wurden. Was tut nun Patricia Kaersenhout, die einen surinamesischen Hintergrund hat, mit dem Werk von Maria Sibylla Merian? Sie macht uns aufmerksam auf den surinamesischen Hintergrund, auf die Menschen, die der Künstlerin die Pflanzen gezeigt und erklärt haben müssen; die Frauen und Kinder, die in ihrer Tracht als "Eingeborene" auf einer typischen Fotografie aus dem 19. Jahrhundert auf der Gegenseite des Bildes aufscheinen und damit zugleich auf die kolonialen Zusammenhänge hinweisen, die auch diesem Werk zugrunde liegen.

Ein weiteres Blumenkapitel wird mit dem "Tulpenfieber" aufgeschlagen, das im 17. Jh. in den Niederlanden für die erste - 1637 geplatzte - Spekulationsblase gesorgt hat. Wir haben als erstes einen kostbaren Aufbewahrungsort für Tulpenzwiebeln bewundert

- Herman Doomer, Tulpenkabinett, 1635-50; 

Dieses Kabinett ist ein Schrank auf vier Beinen, dessen äußere Türen - Achtung: Da ist ein kräftiges Schloss angebracht! - mit Tulpenintarsien geschmückt sind, während innen gemalte Tulpen auf den geschlossenen Laden zu sehen sind. Danach konnten wir auf dem Bild von Brueghel das Tulpenfieber satirisch nachvollziehen:

- Brueghel d.J., Tulipomanie, 1640er Jahre 

Anstelle von Menschen agieren Affen auf diesem Bild. Sie wurden in der Renaissance als satirische Versinnbildlichung menschlicher Gier und Dummheit angesehen. Wir haben uns zuerst mit dem Affen ganz rechts unten beschäftigt und brauchten einige Zeit um zu erkennen, dass er auf die kostbaren, am Boden liegenden Tulpen uriniert, obwohl er doch Brief und Siegel über den Kauf in der Hand hält. Beides,Tulpen und Kaufvertrag, sind offensichtlich nichts mehr wert. Stück für Stück haben wir uns den anderen Figurengruppen genähert: Auf der Loggia links speist eine feine Affengesellschaft am Tisch und feiert anscheinend ihre Spekulationsgewinne; darunter wird ein Tulpenbeet begossen und inventarisiert; ein grün gekleideter Affe schließt gerade mit Handschlag ein Geschäft ab; rechts daneben hält ein anderer in einem orangenen Hemd eine Tulpe und seinen leeren Geldbeutel hoch; vor ihm wird eine Tulpenzwiebel mit Gold aufgewogen und am Tisch dahinter wird das Geld gezählt; rechts davon wird ein Affe mit Tulpen im Arm von seiner Frau mit einem Schlüsselbund verhauen. Was wir nicht wussten: Die schlagende Figur ist durch ihre Tipheuke als Frau erkennbar. Heuken sind Umhänge und die Tipheuke ist eine besondere Variante, bei der der Umhang mit einer runden, durch ein Stück Holz verstärkten ‚Mütze‘ mit einer emporstehenden Spitze am Kopf festgehalten wird, so wie man es auf dem Bild erkennen kann. Hinter den beiden trocknet ein Affe seine Tränen mit einem Tuch. Der Affe rechts mit Stab und Tasche führt den Geschlagenen anscheinend zum Richter oder ins Gefängnis. Auch im Mittelgrund wird gezankt und gehauen. Eine Gruppe rot vermummter Affen streitet sich um eine weiße Tulpe mit Zwiebel. Rechts davon findet ein Kampf sozusagen "bis auf's Messer" statt.  

Natürlich gibt es in der Ausstellung noch viel mehr zu sehen, auch weitere "Tulpenbilder". Wir aber haben uns zum Schluss nur noch die heutige holländische Tulpenzucht angeschaut, denn der Witz der Geschichte ist ja, dass die Tulpenmanie den Holländern eigentlich nicht geschadet hat: Noch heute verdienen sie mit Tulpen und Tulpenzwiebeln gutes Geld.

Andreas Gursky hat eine ganze Reihe von Fotografien aus der Luft gemacht, die mehrfarbige holländische Tulpenfelder von oben zeigen und damit abstrakten Gemälden der Moderne ähneln. Erst die mehrfache Vergrößerung zeigt die Tulpen, die in dichten Reihen stehen:

 -    Andreas Gursky, Ohne Titel XIX, 2015  

Wer mehr über diese Ausstellung erfahren will, sei hier noch auf die interessante Audiotour hingewiesen, die sich auf der Website der Kunsthalle findet. 


Bildnachweis: Von Jan Brueghel der Jüngere - Im Kinsky (heruntergeladen am 19. Jänner 2012, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19048320