Sonntag, 25. Oktober 2020

Thierry Mugler – Couturissime

Ein Vorbild für die Entwürfe Thierry Muglers: Heckflosse des Cadillac 1001 designed von Harley Earl 1959 (Von Christer Johansson- Eigenes Werk CC BY-SA 2.5, Link) 

Wäre Marlit nicht so begeistert gewesen, hätten wir uns wahrscheinlich nicht mit Thierry Mugler beschäftigt! Ich bin gerade kein besonders großer Fan von Pop-Musik und so hatte ich Muglers Kostümentwürfe für Pop-Stars bisher überhaupt nicht im Blick gehabt. Mode und Parfüm sind auch nicht gerade meine Hauptthemen. Aber Marlits Begeisterung war ansteckend. So gingen wir auf virtuelle Entdeckungstour im der Münchener Kunsthalle, wo die Ausstellung, wo die Ausstellung "Thierry Mugler – Couturissime" bis zum 28. Februar 2021 ihre letzte Station hat. Denn zusammengestellt wurde sie im Montreal Museum of Fine Arts (2.3. bis 8.9.2019) und gezeigt wurde sie auch schon in Rotterdam (13.10. 2019 - 8.3.2020). Ausgestellt sind mehr als 150 Kleidungsstücke, die zwischen 1977 und 2014 entstanden, sowie bisher noch umveröffentlichte Archivdokumente und Zeichnungen und ungefähr hundert Modephotographien von bekannten Fotografen wie Helmut Newton und anderen. (Es gibt übrigen das Mode-"Haus Mugler", wo man sein Parfüm und anderes bestellen kann!) Und ich persönlich fühle mich dadurch durchaus bereichert, dass ich diesen Modedesigner näher kennen gelernt habe.

Und wer ist Thierry Mugler?

Er wurde 1948 in Straßburg geboren, schloss sich 1962 dem Ballett der Opéra national du Rhin an und ging mit der Kompanie sechs Jahre lang auf Tour. Besucht die École supérieure des arts décoratifs in Straßburg und beginnt Kleider zu entwerfen. Ab 1987 lebt er in Paris, zuerst als Tänzer, dann als Modedesigner. Dort kreiert hat er mit seinem neuen Stil - Maxicoats und extrem breitschultrige Silhouetten - sofort Erfolg. Er bereist die Welt und entwirft Kollektionen für Damen, Herren und Kinder.1973 entwirft er die erste Kollektion für sein eigenes Label „Café de Paris“ und gründet die Firma Thierry Mugler. Mit der vollständig inszenierten, spektakulären Modenschau erreicht er Massen von Zuschauern. Bald werden seine Kreationen werden von Stars wie David Bowie in Fernsehsendungen getragen. Er beginnt Videos zu drehen; entwirft Kostüme für Musical, Oper und Theater; veröffentlicht seine eigenen Photographien und kreiert mit dem Duft Angel ein Parfüm, as zu den zehn meistverkauften Parfums der Welt zählt.

1998 Mugler zieht er nach New York. 2002 zieht sich aus der Modewelt zurück, um sich gänzlich der Regie von Bühnenproduktionen zu widmen. Er entwirft die Bühnenkostüme für die Welttournee "I Am..." der amerikanischen Popsängerin Beyoncé. 2014 geht er nach Berlin. Und jetzt also die große Ausstellung!

Zuerst hat uns Marlit eine ganze Reihe seiner Kostüme gezeigt, die sie direkt in der Ausstellung fotografiert hat. Dann sind wir zu einigen Bilder übergegangen, die ich vorher ausgesucht hatte.

Die Ausstellung ist wie ein Theaterstück in Akten (Räumen) konzipiert, die von 1 bis VIII reichen.

Akt I ist mit "FUTURISTISCHE COUTURE & FEMBOTS" betitelt. 

Wir haben uns daraus die

- Roboterfrau, Frühling/Sommer 1995

Auf dem Foto fielen schon die geschlossene Kopfform und die Schultern auf, die wie mit einer glatten Rüstung gepanzert aussehen. Dasselbe Kostüm auf dem folgenden Bild wiederzuerkennen, war dann eher schwierig, da es von den schwarz-weiß Fotografien an der Rückwand beherrscht wird, zwischen denen die Figur fast untergeht. Sie ist ohne den Gazeschleier und von hinten zu sehen ist, wo natürlich die nackten Gesäßbacken hervorstechen:

- Roboterfrau im Ausstellungsraum, München 2019 (Achtung man muss auf dieser Seite herunterscrollen zu dem Bild, das nach dem Video kommt und eine Fotowand mit schwarz-weiß Fotos, sowie davor die Roboterfrau von hinten zeigt! Die Webseite informiert übrigens sehr interessant über einen Besuch der Ausstellung und hat weitere tolle Bilder)

Nein, Thierry Mugler holt seine Ideen nicht alle aus sich selbst. Er macht das, was alle Küntler tun, er bedient sich an der Kunst der Vergangenheit und macht etwas Neues daraus! Was also war sein Vorbild für "Robotwoman", wie dieses Kostüm heißt? Wir haben es mit dem modernen

- Poster für den Film Metropolis

verglichen und durchaus Ähnlichkeiten festgestellt. Wer diesen Film nicht kennt, der zu den Highlights der Filmgeschichte gehört, kann ihn übrigens hier ansehen (auf 1:24.8 kommt die berühmte Szene der Belebung der Roboterfrau).

Akt II (STARS & STRASS. STAGING FASHION) haben wir ausgelassen und gleich mit

Akt III TOO FUNKYweitergemacht. Es handelt sich bei dem Titel um ein 1992 erschienenes

- Musikvideo für den "TooFunky" des britischen Popstars George Michael (1963–2016) (Achtung bei dem Video muss man erst Werbung über sich ergehen lassen!)

Damit begann von Karriere Muglers als Videoregisseur. Der Song wurde auf einem ("Red Hot + Dance") veröffentlicht, mit dem Mittel für den Kampf gegen Aids eingeworben werden sollten.

Gleichzeitig zeigt Mugler in dem Film die grelle Welt der Modenschauen, für die er ab 1989 die Kollektion "Hiver buick" (also Buick-Winter nach der amerikanischen Automarke) als eine Hommage an den amerikanischen Automobildesigner Harley J. Earl (1893–1969) entwarf. Dazu gehört das

- Motorcycle Corset, 1992.

Das wir mit den

- Heckflossen des 1959er Cadillac Eldorado

verglichen, die Earl entworfen hat.

Akt IV - BELLE DE JOUR | BELLE DE NUIT

bezieht sich im Titel auf den Filmklassiker "Belle de Jour" von Luis Buñuel von 1967, der von einer frustrierten Ehefrau handelt, die sich am Tag als Prostituierte arbeitet und so ihre Sexualität "selbstmächtig" auslebt. Im Pressetext heißt es dazu, dass Mugler "inmitten der Hippiebewegung ... den Flower- Power- und ethnischen Looks der frühen 1970er die Erfindung seiner `Glamazone´ " entgegensetze "eine moderne, stylische, urbane, unkonventionelle Frau. Sie profilierte sich durch mutige körperbetonte Schnitte, architektonische Silhouetten und innovative Materialien und verkörperte das von Mugler weiterentwickelte Konzept des power dressing". Ein Beispiel ist der körperbetonte Anzug
 

- Woman's Suit (Jacket and Skirt),

der mit seinem Gittermuster an Computergrafik erinnert.

Akt V – MACBETH

Dreht sich um die Theaterkostüme des Designers. Wir haben uns das Kostüm

- Kostüm für Lady Macbeth, 1985

und dazu das in der Ausstellung gezeigte Video von Michel Lemieux

- Die Auflösung der LadyMacbeth

angesehen, mit dem das Kostüm in einem weiteren Kunstbereich und von einem anderen Künstlern weiter verwendet wird.

 

Akt VI und VII – JENSEITS DER MODE: MUGLER HINTER DER LINSE /  HELMUT NEWTON & MUGLER

beschäftigen sich mit der Modefotografie, für die Mugler besonders gern schwer zugängliche Orte nutzt. Wir haben zuerst ein Foto des Modefotografen Helmut Newton betrachtet

- Photo shoot for the catalogue of the collection Lingerie Revisited, Monaco, 1998. Outfit: Thierry Mugler, Lingerie Revisited collection, prêt-à-porter fall/winter 1998–1999 

neben der Unwirtlichkeit des Ortes und dem fast bedrohlichen Himmel fiel uns auch die Ähnlichkeit mit der Schulter- und Kopfpartie des Kostüms "Robotwomen" auf, aber auch die "falsch herum" getragenen Nähte der Seidenstrümpfe (erst später war klar, dass der Focus auf den Strümpfen liegt, weil es sich um eine Unter-/Reizwäsche-Kolletkion handelt)

Verglichen haben wir dieses Foto dann mit einem Bild, das Mugler selbst aufgenommen hat: 

Claude Heidemayer, New York. Outfit: Thierry Mugler, Les Infernales collection, prêt-à-porter fall/winter 1988–1989 (beide Bilder sieht man, wenn man ein wenig herunterscrollt). Es brauchte schon Zeit zu entziffern, dass das Modell in einer Haltung, als ob sie schon in die Tiefe gefallen wäre mit verdrehten Gliedern auf einem Dachvorsprung hoch über den Straßen New Yorks liegt. Und natürlich warf das eine Reihe von Fragen auf (wie ist sie dahin gekommen, warum muss sie ihre Glieder so verdrehen, wo ist die Position des Fotografen....?)

Ähnlich "abseitig" sind auch andere Fotografien, wie das Model auf einem Roten Stern in dem Bild:

- Volgograd countryside, Russia, 1986. Angela Wilde wears Azzedine Alaïa (viertes Bild von oben!)
 

Und dann war nur noch kurz Zeit schnell einen Blick auf den
 

Akt VIII – METAMORPHOSEN

zu werfen und das in allen Farben schillernde Gewand zu betrachten, das an eine bunte Fischhaut erinnert: 

- Chimaeren-Kleid

Was uns beeindruckt hat? Der unglaublich Fantasiereichtum dieses Künstlers und seine Fähigkeit immer wieder Neues auszuprobieren und neue Entwürfe zu kreiren! Man muss kein Fan der Pop-Kultur sein, um sich für diesen Designer zu erwärmen, finde