Montag, 8. Juni 2020

Fantastische Frauen

Titelbild der Ausstellung "Fantastische Frauen"
Screenshot: Ankündigung der Ausstellung "Fantastische Frauen" auf der Website der Schirn, Frankfurt

Die Frankfurter Kunsthalle Schirn schätze ich ganz besonders deswegen, weil man dort zum einen spannende Ausstellungen und zum anderen zusätzlich tolle digitale Vermittlungsangebote macht. Hier also erst mal ein großes Dankeschön an - in diesem Falle - die Kuratorin und an die Museumspädagog*innen der Ausstellung "Fantastische Frauen"!

Die surrealistischen Bilder von Frauen in der Ausstellung "Fantastische Frauen" haben wir uns beim letzten Kunstsurfen angeschaut. Die Ausstellung läuft noch bis zum 5. Juli und man kann sie jetzt auch wieder persönlich besuchen. Wer sich online mit den Bildern intensiver befassen will als wir in einer Stunde, sei auf das Digitorial der Kunsthalle hingewiesen. Und wer dann noch mehr erfahren will: Es gibt noch Einiges im Netz anzusehen, so zum Beispiel die App mit dem ausführlichen Audioguide, einen Videorundgang durch die Ausstellung mit der Kuratorin Ingrid Pfeiffer oder eine Reihe von Artikeln im Schirn Magazin wie z.B. „Not your doll“ zur Rolle der Frau bei den Surrealisten. 

Online haben wir mit dem Foto von

- Claude Cahun (1894-1954) , A very curious spirit, 1927

begonnen und uns gefragt, was der Satz "I am in training don't kiss me" auf dem weißes Shirt zu bedeuten hat. Will sie damit und mit ihrer Trainingskleidung zeigen, dass sie wie ein junger Mann mit ihrer eigenen Körperkraft und dem Stemmen von Gewichten vollauf beschäftig ist und als Liebesobjekt nicht in Frage kommt? Aber widerspricht dem nicht diese legere Sitzhaltung und besonders das Gewicht, das locker auf ihrem Schoß liegt und aussieht wie ein Luftballen? Und was ist da überhaupt aufgemalt auf den Kugeln? Rechts war für uns nicht zu entziffern, aber links steht Totor und Popol und da wurde sofort gegoogelt, dass es sich um die erste Comicfigur handelt, die Hergé von Juli 1926 bis Juli 1929 in der Zeitschrift Le Boy-Scout Belge, einem Magazin für Pfadfinder, veröffentlicht hat. Macht Claude Cahun sich damit lustig über die "Männerwelt"?

Noch rätselhafter wird es im Selbsporträt von

Leonora Carrington (1917-2011), Selbstporträt in der Auberge du Cheval d’Aube, 1937/38

Auch dieser Künstlerin geht es um die Selbstdarstellung, auch sie spielt mit geschlechtlicher Uneindeutigkeit, wenn sie zwar ihre langen Haare offen trägt, aber zu den engen weißen Hosen und dem grünen Jacket - damals noch deutlich männliche Kleidungsstücke, auch wenn Frauen schon Hosen trugen - hochhackige Schuhe angezogen hat und - für Frauen damals sehr unziemlich - breitbeinig auf dem Sessel sitzt. Vor ihr bockt eine weibliche Hyäne, die sie mit einer Geste in Schach zu halten scheint. Da fiel uns natürlich gleich der Satz ein "Da werden Weiber zu Hyänen" und ja, der ist aus Schillers Glocke, da wo er vor Aufruhr warnt. Und das Schaukelpferd an der Wand, das als echtes Pferd draußen wegrennt, was bedeutet das? Darüber kann man hier noch etwas weiterlesen. 

Die Malerin


dreht den Spieß dann offenbar einmal um. Ihr schlafender junger Mann liegt entspannt und wie hingegossen auf der Erde und ist damit so dargestellt, wie in der Kunstgeschichte oft junge schöne Frauen gemalt worden sind. Um ihn ist Dunkel und in dieser Düsternis wacht die noch schwärzere Erdgöttin in Form einer Sphinx, einer rätselhaften Tierfrau, deren Kopf mit einer weit nach hinten ragenden Feder geschmückt ist.

Ein ganz anderes Thema schlägt die folgende spanische Künstlerin an:

Remedios Varo (1908-1963), Schöpfung mithilfe der Gestirne, 1955

Auf die Frage, was seht ihr, fielen zuerst die Linien von den Gestirnen zu der Figur im Mittelpunkt des Bildes auf. Dann rätselten wir an der sitzenden Gestalt herum. Ist es ein Mann, wie der Kopf mit den kurzgeschorenen Haaren vermuten lässt? Aber nein, dafür ist das Gesäß zu breit, also eher eine Frau. Ist die Frau hier als Schöpferin eines neuen Menschen gedacht oder eines Homunculus, einer Astralgestalt? Hat sie die richtige Verbindung zu den Gestirnen und kennt das Rezept für die Schöpfung, das in dem aufgeschlagenen Buch auf dem eiförmigen Tischchen neben ihr steht.

Man erkennt schon, dass das Thema Frau die Künstlerinnen immer wieder beschäftigt hat. Das folgende Bild einer belgischen Künstlerin hat sogar einen Skandal ausgelöst. Warum wohl?

Jane Graverol (1897-1984), Der Heilige Geist, 1965

Man sieht vielleicht nicht auf den ersten Blick, dass es sich um ein Vexierbild handelt, das man sowohl vom Rand aus sehen kann: also einerseits zwei Felswände zwischen denen ein Vogel vom Himmel herabstürzt, andererseits aber auch die Konturen einen "himmlischen" Frauenkörpers, dessen Scham durch den stürzenden Vogel hervorgehoben wird. Der Heilige Geist?

Jane Graverol kannte übrigens den berühmten Brüsseler Surrealisten

René Magritte, Schwarze Magie, 1945,

so dass man beim Vergleich der beiden Bilder einige Ähnlichkeiten finden kann.

Um Weiblichkeit und Sexualität ging es sicher auch der tschechischen Toyen, deren Künstlernamen vom französischen Citoyen abgeleitet ist. Auf ihrem

Paravent, 1966 (bitte zum letzten Bild im Textteil herunterscrollen!)

steht der Frauenkörper, der fast kopflos ist im Mittelpunkt. Sie trägt ein körperbetonendes Leopardenkleid und grüne Seidenhandschuhe und an der Stelle ihres Geschlechtes bleckt ein Pantherkopf einen sehr weiblichen Mund mit knallrot gemalten Lippen. Und man sieht an ihren beiden Seiten dunkle, anscheinend männliche Schatten. Der Linke lehnt mit den Händen in den Hosentaschen locker an einer Wand. Bedrängen die Schatten sie? Und was bedeutet der Schmetterling in Höhe ihres Kopfes?

Schmetterlinge sind in der griechischen Mythologie ein Symbol für die Seele, die nach dem Tod - der Verpuppung des Schmetterlings - den Körper verlässt. Haben die Surrealistinnen sie auch so verstanden? Auf jeden Fall haben sie das Motiv gern verwendet. Wir haben es auch in dem Selbstbildnis von

- Frida Kahlo (1907-1954), Selbstporträt mit Dornenhalsband, 1940

gefunden, wo mehrere durchsichtige Schmetterlinge die Frisur schmücken. Und was bedeuten die beiden Tiere auf ihren Schultern? Welcher Schmerz ist gemeint, wenn sie sich selbst mit einem dornigen Halsband schmückt, an dem ein toter Vogel hängt und das sofort die Assoziation der Dornenkrone des Gekreuzigten weckt? Der Affe scheint dieses Halsband ja auch gerade noch enger zu schnüren...

Die Frage kommt dabei auf, ob das Bild, das ein Surrealisten-Kollege von seiner Frau gemalt hat, Frida Kahlo angeregt haben könnte:

- Roland Penrose (1900-1984), Geflügelter Domino (Porträt von Valentine), 1938

Allerdings sahen wir da doch deutliche Unterschiede. Das Dornenhalsband liegt bei Valentine nur lose auf dem Hals und schneidet nicht ein, dagegen aber hat ihr der Maler und Ehemann die Augen und den Mund geradezu mit Schmetterlingen verkleistert. Da kann man dann seine eigenen Assoziationen dazu haben oder?

Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass es den Surrealisten, wie ich irgendwo gelesen habe, immer um das Gefundene, das Vieldeutige, Unklare und Metamorphosische ging, wenn sie in die damals noch kaum erforschten Tiefen der eigenen Psyche eintauchten und ihre inneren Bilder sichtbar machten.