Mittwoch, 6. Mai 2015

Sind Tattoos Kunst?

Im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg wird bis zum 6. September die Ausstellung "Tattoo" gezeigt. Da ich sie selbst ansehen konnte, wollte ich sie natürlich auch virtuell mit den Kunstsurfern besuchen. 

Natürlich kann man wie immer über die Geschichte der Tätowierung viel auf Wikipedia erfahren. Wir haben historisch angefangen und uns als erstes dort das Bild einer 

Piktenfrau (Theordor de Bry, 1588) angesehen. 

Natürlich fragt man sich, ob das Bild wohl der Wahrheit entspricht. Immerhin hat die nackte Frau mit ihren langen wallenden Haaren Ähnlichkeiten z.B. mit der Gestalt der Maria Magdalena in der Kunst. Ungewöhnlich ist allerdings die Bemalung/Tätowierung ihres ganzen Körpers, angefangen von mit den spitzenartigen Mustern auf Beinen und Armen, über die Sonnen auf Bauch und Brüsten zu dem wolfsähnlichen Gesicht auf ihrer rechten Schulter.



Die Tätowierung ist weltweit verbreitet. So hat Johann Baptist von Spix, als er 1817-20 eine Reise durch Brasilien machte, auch Bilder der Ureinwohner mit zurück gebracht, die im Gesicht und am Hals tätowiert sind, wie z.B. der Mann links unten im Bild:


Nicht unähnlich sieht heute die Tätowierung einer älteren Frau aus Burma aus, die Jens Uwe Parkitny fotografiert hat. An diesem Bild konnten wir auch die Frage besprechen, was passiert, wenn die Haut altert. Man sieht, dass Linien sich kaum verändern, anders sieht es natürlich mit flächigen Bilddarstellungen aus.  

Ein halbes Jahrhundert später als die Bilder von den brasilianischen Ureinwohnern sind die Fotografien von Felice Beato in Japan. Er hat zwei Männer (oder doch ein Paar?) in seinem Studio fotografiert, deren Körper ganz mit floralen Bildern bedeckt sind. Übrigens ist es am Rande durchaus interessant, sich mit dem Leben und Werk dieses frühen Fotokünstlers zu beschäftigen. 


In dem kleinen kostenlosen Begleitheft zur Ausstellung erfährt man, dass die Tradition der Tätowierungen möglicherweise von den Fischern stammt, die im Wasser Haie oder Monster durch ihre Tattoos von Drachen und anderen Figuren erschrecken wollten. Auch Stallburschen (Bettoes) und Sänftenträger ließen sich wie die Seeleute und Fischer gern tätowieren.

Seit dem 19. Jahrhundert lebte die Kunst des Tätowierens aber besonders im Umfeld des Zirkus weiter fort. 

Maud Stevens Wagner (1877-1961), arbeitete als Tätowierungskünstlerin in den USA und stellte zugleich ihre eigenen Tätowierungen zur Schau. Auf Wikipedia gibt es einen Artikel dazu, in dem man erfährt, dass sie von ihrem Mann das Tätowieren lernte. 
                                       
Ein anderes Thema ist die Tätowierung in Gefängnissen, die lange Zeit das schlechte Image dieser Kunstform bestimmte. In Russland gibt es ein Archiv mit Fotografien Krimineller, deren Tätowierungen sich als Code ihrer Taten und ihres Lebens lesen lassen.


Dieses Bild zeigt den Doppeladler auf der Brust eines Mannes. Das Symbol stammt aus dem 15. Jahrhundert und wurde später von Peter dem Großen für sein Reich verwendet. Als 1993 der Kommunismus zusammenbrach, ersetzte es Hammer und Sichel als Symbol des Staates und wurde zum Zeichen der Macht und Wut gegen die UdSSR. Die Freiheitsstatue im Flügel auf der rechten Seite impliziert die Sehnsucht nach Freiheit, während die dunkle Gestalt mit einer Waffe die Bereitschaft zu Gewalt und Mord bezeichnet. Die Augen auf die Brust bedeuten: "Ich kann alles sehen" und ist das Zeichen für einen kriminellen ''Aufseher" im Gefängnis. Auf dem Arm unterhalb des Schädels ist der lateinische Satz "Memento Mori" (Denke daran, dass du sterben wirst) zu lesen. 

In die Moderne kamen wir dann mit den beiden fast lebensgroßen Plastiken des spanischen Künstlers

Enriqe Marty, Tatoo (Salamanca, 1969)

Die Figuren wurden sehr deutlich in den Bereich des Asozialen eingeordnet. Sie weisen uns zugleich darauf hin, wie zwiespältig das Verhältnis zur Tätowierung in der Gesellschaft immer noch ist: Von vielen schon als Zeichen der Besonderheit, des "Eigenen" und "Unveränderbaren" mit Stolz vorgezeigt, zugleich aber auch noch das Zeichen der Anderen, der aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen, der Menschen, die in den Randbereichen leben.  

Die Seite des Besonderen betont Thea Duskin mit ihrem Bild Odaliske

Vorbild ist das gleichnamige Gemälde von Ingres Odaliske

Ingres, Grande Odalisque“ von Jean-Auguste-Dominique Ingres [1].
 Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons- http://tinyurl.com/kvqxvs6

Diskutiert haben wir dann noch das Rückentattoo von Tim Steiner:

Tim, 2006,”

Es wurde von dem belgischen Künstler Wim Delvoye 2006-2008 auf Tims Rücken tätowiert - mit Signatur! Verkauft wurde es für 150 000 Euro, die zwischen Gallerie, Künstler und Model, aufgeteilt wurden. Seitdem lebt der Schweitzer ein surreales Leben und stellt sich seinen Rüchen zeitweise in Ausstellungen aus. Das Bild zeigt eine Madonna mit einem mexikanischen bunt bemalten Zucker-Totenkopf, zwischen roten und blauen Rosen. 

Dazu gibt es eine ganze Bilderserie, die den "Bildträger" unter anderem zusammen mit tätowierten Schweinen zeigt. Steiner sagt übrigens "Die Kunst ist nicht die Kunstfläche" 


Ebenso diskussionswürdig ist das Video 
Rico“Zombie (Boy)” Dermablend Professional- Tattoo Cover Up Makeup: Go Beyond The Cover 
Wobei hier - im Gegensatz zu Tim Steiner, der "nur" seinen Rücken zur Verfügung stellte - die Lebensgeschichte des Tätowierten direkt mit seinem Tatto zusammenhängt, da er lebensgefährlich erkrankt war. 

Ganz zum Schluss gab es dann noch einen Hinweis auf die Wissenschaftstattoos, die Carl Zimmer in seinem Blog sammelt und inzwischen als Buch veröffentlicht hat. 

Ob Tattoos nun Kunst sind oder nicht, kann jeder für sich selbst entscheiden!