Mittwoch, 27. Mai 2015

Desco da parto - Tabletts als Geschenke zur Geburt

Karls Postkarte aus Florenz
Diese Postkarte habe ich aus Florenz zugeschickt bekommen zusammen mit dem Hinweis, dass "eine sachkundige Kunstführerin" fehle, weil z.B. nicht klar sei, was die Jugendlichen hier spielten. Klar, dass ich der Frage nachgegangen bin und daraus das Thema für's Kunstsurfen wurde!

Die beiden Bilder zieren die Vorder- und die Rückseite eines runden Holzbretts, das um 1450 bemalt wurde. Der Maler hieß Giovanni di ser Giovanni Guidi, genannt Lo Scheggia (geb. 1406 in San Giovanni Valdarno, gest. 1486 in Florenz). Er war der Bruder des Malers Masaccio und gilt als einer der beliebtesten Künstler der reichen Florentiner Familien. Er malte Szenen auf Brauttruhen, Geburts-Tabletts und ornamentierte generell Möbel und Haushaltsgeräte.

Und was spielen die jungen Leute auf dem

Übrigens: Wenn man auf das Bild klickt erscheint es in einem neuen Fenster und man kann es über die %-Angaben vergrößern.

Also, was sieht man? Der junge Mann in der Mitte tritt den recht und links von ihm auf die Füße. Er scheint sich gegen die Hände der anderen zu wehren, das kann man erkennen. 

Das Spiel heißt "civettino", das sagt die Beschriftung. Einfach übersetzt müsste es "Käuzchenspiel" heißen. Aber im italienischen gebraucht man "civetta" auch für "Kokette", civettare bedeutet denn auch "kokettieren", civetteria, civettio, civettismo "das Kokettieren" und civettino wird als "Geck" übersetzt. Dazu wird der Kauz auch als Lockvogel für den Vogelfang benutzt. Der Vogelfänger stellt den Kauz aus und umgibt ihn mit Leimruten, auf denen sich die Vögel fangen, die herbeigeflogen kommen, um ihr Mütchen an dem bei Tage wehrlosen Feind zu kühlen. Außerdem gibt es im Italienischen die Redensart "far civetta", es machen wie der Kauz, d. h. den Kopf rasch senken, um einem Schlage auszuweichen. (Diese Weisheiten habe von der Webseite Forgottenbooks aus dem Buch Das Tier im Spiegel der Sprache. Spannend, was man im Netz alles findet!)

Das Spiel soll relativ gewalttätig gewesen sein. Es fand zwischen zwei oder drei Gegnern statt. Der Gegner wurde mit dem Fuß blockiert und erhielt heftige Ohrfeigen, wenn er nicht aufpasste und sich auf dieselbe Weise wehrte. Das Spiel soll beliebt gewesen sein. Auf jeden Fall erforderte es gute Reflexe. Schließlich muss man dabei den Händen der Gegner ausweichen oder sie parieren.

Wir waren der Ansicht, dass es sich sicher nur reiche Stadtbürger leisten konnten, sich so die Zeit zu vertreiben. Bauern, Dienstboten und Handwerker dürften kaum freie Zeit dafür gefunden haben. Und natürlich haben wir auch die Bekleidung der Spieler und der Zuschauer in diese Interpretation einbezogen. Besonders die Zuschauer sind sehr elegant angezogen, während die Spieler anscheinend ihre Überwürfe abgelegt haben, darunter aber immerhin hochmodische Beinkleider und Jäckchen mit "Wespentaillen" tragen.

Die
scheint dann das Spiel zu persiflieren, indem es zwei nackte Kleinkinder in ähnlicher Spielhaltung zeigt, die nach ihrem "Zipfelchen" haschen. Zugleich aber weist sie auf Besteller und Beschenkte hin, denn in den beiden Bäumen zu Seiten der Kinder hängen Familienwappen.

Aber warum ist das alles auf diese runde Holztafel gemalt?

Wir haben uns dazu Paolo Uccellos (geb. 1397, gest. 1475 in Florenz) Bild von der 
angeschaut. Also eigentlich hatten wir uns die Geburt der Maria nicht so hochherrschaftlich vorgestellt mit diesem prächtigen roten Bett im Mittelpunkt und der Menge der Frauen rundherum. Bei genauerem Hinsehen wurde die Szene dann immer lebendiger. Anna sitzt im Bett und bekommt Wasser über ihre Hände gegossen, die sie sich in einer Schale wäscht. Frauen kommen mit Speisen und Getränken (die am linken Rand trägt zwei Schüsselchen, die rechts vom Bett kommt mit einem Tablett mit zwei Karaffen). Vorn kümmern sich andere Frauen um die neugborene Maria, die wie Anna einen Heiligenschein trägt. Weitere Frauen kommen von rechts dazu.

Eigentlich aber geht es um das Tablett mit den beiden Karaffen. Es ist ein sogenanntes "desco da parto" (am besten wahrscheinlich zu übersetzen mit "Geburts-Tablett"). Ursprünglich brachte man in Florenz den schwangeren Frauen das Essen auf Tabletts und dann wurden solche Tabletts immer kostbarer bemalt und zu traditionellen Geschenken bei der Geburt. Dabei muss natürlich daran erinnert werden, dass im 15. Jahrhundert glückliche Geburten seltener waren als heute. Der Tod von Schwangeren und Säuglingen gehörte zum Alltag, weshalb die glückliche Geburt eines Nachkommen ein wichtiger Anlass zum Feiern und für Geschenke war.

Und ein solches "desco da parto" ist auch das Holztablett mit dem Käuzchenspiel von meiner Postkarte, das im Museo di Palazzo Davanzati in Florenz ausgestellt ist.

Wir haben uns noch ein paar mehr von diesen besonderen Geschenken angesehen: Ebenfalls von Scheggia bemalt ist das Tablett, das 1448–49 anläßlich der Geburt des Lorenzo di Medici von dessen Vater Piero seiner Frau Lucrezia Tornabuoni geschenkt wurde. Es trägt die Bilder
  • Triumph der Fama (des Ruhms) und 
  • auf der Rückseite die Wappen und Motti der Medici und Tornabuoni
    Das Bild der drei Straußenfeder verflochten mit einem Diamantring und der Banderole mit dem Motto "Semper" (Für immer) gehört Lorenzo di Medicis Vater Piero, oben links und rechts sieht man die beiden Familienwappen des Vaters und der Mutter Lucrezia Tornabuoni,
 Der Gegenstand des Gemälde basiert wohl auf Boccaccios "L'amorosa visione" (1342–1344), einem Epos, das Dantes Divina Commedia imitiert, und Petrarcas "I Trionfi". Man kann dazu das Bild von
vergleichen. Beides waren populäre Gedichte jener Zeit.

Auch Lo Scheggia malte den Ruhm als geflügelte Frau, die ein Schwert in der rechten Hand und die Statuette eines Amor in der Linken trägt. Sie steht auf einem Globus, der auf einem komplex aufgebauten Sockel liegt. Achtundzwanzig Männer zu Pferd schwören ihr mit erhobenem rechten Arm die Treue. Sie tragen extravagante Rüstungen und darüber pelzverbrämte Mäntel aus kostbaren Stoffen. In Petrarcas Text sind diese Männer die gefeierten Helden der Vergangenheit, darunter Caesar. Hannibal, Achilles, Noah, King Arthur, Platon, Aristoteles, und Herodot.

Francesco del Cossa (um 1436 – um 1478 Ferrara) wird das Tablett mit dem Bild
im Museum of fine Arts in Houston zugeschrieben, das durch seine reiche Verwendung von Gold besonders ins Auge fällt und nicht nur die damals neue Kunst der Perspektive in Vollendung vorführt, sondern auch die hochmodischen Kleider der Zeit. Besonders beachtet haben wir auch, die kostbaren Hunde und Äffchen mit goldenen Halsbändern begleitet von einem buckligen Zwerg, also die typischen "Luxusgegenstände" der damaligen Superreichen.

Ein zweites
befindet sich im Museum of fine Arts in Boston. Seine Rückseite ist
zu sehen.

Das berühmteste Beispiel dieser Tabletts haben wir dann nicht mehr anzusehen geschafft. Es stammt von Masaccio und gilt als eines der signifikantesten und innovativsten Gemälde der Florentiner Frührenaissance und zeigt - ähnlich wie bei der Geburt Marias (s.o.) - eine vornehme
Das Neue und für die Zeitgenossen Ungewöhnliche an diesem Bild ist, dass gerade nicht eine "heilige" Szene dargestellt wird, sondern die Geburt aus dem Kontext der Kirche in den Kontext einer adeligen Welt herübergeholt wird. Daran wird deutlich, dass die Religion ihren Einfluß erstmals ein Stückchen weit einbüßt.

"Man blickt in ein geöffnetes Haus mit reich inkrustierter Fassade. In der den Säulenarkadenhof säumenden Loggia, die nach vorn wie eine Bühne geöffnet wird, bewegt sich eine Prozession von Frauen, auf eine hinter einem Pfeiler verdeckte Türöffnung zu, die in das unter der rechten Arkade sichtbare Schlafgemach führt, in dem eine Geburtsszene dargestellt ist. Obwohl sie an Darstellungen der Geburt Mariens erinnert, ist hier eine profane Geburt gemeint. Keine der Frauen trägt einen Heiligenschein, die junge Mutter wendet sich neugierig den Besucherinnen an der Tür zu. Dem Zug der Frauen folgen mit einem gewissen Abstand drei Männer, einer von ihnen bläst in eine Trompete, an der eine Fahne mit der Florentiner Lilie hängt, der andere hält ein gleichartiges Instrument, schaut aber aus dem Bild heraus, in einem gewissen Abstand von ihnen folgt ein junger Mann, der einen runden Teller mit Gebäck vor sich her trägt, die er der Sitte gemäß der jungen Mutter bringen wird. Die dargestellte Szene bezieht sich also exakt auf den Anlass, aus dem solche Geburtsscheiben gemalt wurden und an den sie erinnern sollten. Die Rückseite des desco da parto, die immer bemalt ist, zeigt ein nacktes männliches Kind mit einem Hermelin, also offensichtlich das Kind, das man auf der Vorderseite in Windeln und mit einer Glück bringenden Korallenkette in den Armen der Amme sieht." (zitiert aus: Die Florentiner Werkstätten und ihr Repertoire)