Samstag, 23. März 2024

Dix und die Gegenwart

In den Deichtorhallen in Hamburg gibt es  noch bis zum 1. April (vom 30. September 2023) dieses Jahres die Ausstellung "Dix und die Gegenwart" zu sehen. Wir haben davon einige Bilder online angeschaut und dabei auch auf das ausgezeichnete "Dixitorial" der Deichtorhallen zurückggegriffen (schönes Wortspiel aus dem Digitorial, das im Städel-Museum in Frankfurt kreiert wurde, hier nun ein "Dix-itorial").

Führer durch die Ausstellung Entartete Kunst (1938)
Die Ausstellung  beginnt mit einem Selbstporträt des Künstlers, auf das wir erst am Schluss unserer Besichtigung zurückgekommen sind. Anstatt dessen haben wir zuerst ein Bild angeschaut, das es nicht mehr gibt, weil es von den Nationalsozialisten als "Entartete Kunst" bezeichnet wurde. Das Bild hat aber schon vorher für eine gerichtliche Auseinandersetzung gesorgt und auch wir hatten gemischte Gefühle beim Betrachten der erhaltenen Zeitungsabbildung: 

-    Mädchen am Spiegel, 1921

Das Gemälde wurde zuerst in der Juryfreien Ausstellung in Berlin öffentlich gezeigt und sogleich vom Staatsanwalt wegen „Unzüchtigkeit“ beschlagnahmt. Der Kunstkritiker Max Osborn schrieb dazu: „Der Maler Dix ist ein grimmiger Spötter, der mit einem Fanatismus des Hohns die Eitelkeit der Welt, der Zeit und der Menschen zu geißeln liebt. Sein Mägdlein vor dem Spiegel ist nichts weniger als eine rosige Oblatenschönheit, sondern eine verruchte, alte Vettel, die vor dem Spiegel Toilette macht … hat jemand wieder die Häßlichkeit des Objekts mit künstlerischer Unschönheit verwechselt. Aber müssen Landgericht und Staatsanwalt so kunstfremden Regungen nachgeben?“ (zit. n. Hütt, W., Hintergrund-Mit dem Unzüchtigkeits-und Gotteslästerungsparagraphen gegen Kunst und Künstler 1900-1933. Berlin1990, S. 202). Dix wurde schließlich am 26. 6. 1923 mithilfe der Sachverständigen - die Maler Max Slevogt und Karl Hofer - freigesprochen. Uns fiel besonders der Gegensatz zwischem dem glatten jugendlichen Rücken und dem verhärmten Gesicht und den hängenden Brüsten ins Auge. Ungewöhnlich fanden wir auch, dass Dix die Scham und das Gesäß der Frau durch die Öffnung ihres Unterkleides so besonders hervorhebt.

Die 1920er Jahre und das Großstadtleben finden sich in dem Bild

-    Großstadt, 1927 – 1928  (Größe181 x 402 cm) 

wieder. Auch hier fanden wir wieder eine markante Gegensätzlichkeit. In diesem Falls zwischen den seitlichen Bildern des Triptychons und der Mitteltafel, die uns ins Innere eines edlen Tanzlokals mit Gästen in schicker Abendgarderobe führt. Im Zentrum ein tanzendes Paar (Charleston), links daneben eine Jazzband mit verschiedenen typischen Instrumenten und einem schwarzen Sänger. In der Beschreibung des Kunstmuseums Stuttgart, wo sich das Gemälde befindet, heißt es, dass beide Seitenflügel Dirnen auf der Straße zeigen. Ganz so deutlich konnten wir nicht erkennen, dass sich "auf der rechten Seite Edelprostituierte wie auf einem Laufsteg ansammeln". Wir hatten eher den Eindruck von reichen Damen, die gerade aus dem Theater kommen. Dass sich "die 'leichten Mädchen' auf der linken Seite in einem heruntergekommenen Rotlichtviertel" befinden, konnten wir nachvollziehen. Uns fielen besonders auf beiden Seiten die bettelnden Kriegskrüppel auf und wir fanden das Wort vom "Tanz auf dem Vulkan" sehr treffend. 

An seinem Porträt des Rechtsanwalts 

-    Hugo Simons, 1924 

fanden wir die langfingrigen schmalen Hände ungeheuer ausdrucksvoll. Es sieht so aus, als ob der Jurist direkt vor uns sitzt und gerade einige Paragrafen aufzählt. Parallel dazu ist in der Ausstellung das Bild von 

-    Nicolas Party, Portraits with a Lawyer, 2021 

zu sehen, bei dem der Vorbildcharakter von Dix Gemälde schnell deutlich wird, auch wenn der Jurist hier mit Marlene Dietrichs Gesicht verbunden ist. 

Otto Dix war als Soldat im Ersten Weltkrieg und bis die Nationalsozialisten an die Macht kamen, hat er nicht aufgehört in seinen Bildern vom Schrecken und von den Folgen des Krieges zu berichten. 1924 hat er einen umfangreichen Radierzyklus mit 50 Grafiken in 5 Mappen dazu herausgegeben. Wir haben daraus nur ein Bild angesehen:

-    Otto Dix, Trichterfeld bei Dontrien von Leuchtkugeln erhellt, Mappe 1 Blatt 4 

und es mit einer Luftaufnahme verglichen

-    Trichterfeld in Flandern, Luftaufnahme des zerschossenen Dorfs Terhand in Flandern,1918,

die zeigt, wie genau der Maler die Realität wiedergegeben hat. Ein weiteres Gemälde ist nur noch in graphischer Form erhalten. Denn auch dieses Bild

-    Kriegskrüppel, 1920   

wurde von den Nationalsozialisten als „entartet“ angeprangert und als eines der Hauptwerke der Femeausstellung "Entartete Kunst" zur Verbreitung der NS-Ideologie instrumentalisiert. Wir sahen darin einen beeindruckenden und erschreckenden Aufmarsch von "Überlebenden" des Krieges: Links marschiert ein Mann in Uniform, durch dessen Ärmel und Hosenbein Prothesen hindurchscheinen; er schiebt einen Krankenstuhl, in dem ein Blinder ohne Beine sitzt; vor diesem geht ein Einbeiniger, dessen Kopf und Arm zittern und rechts von diesem geht ein Mann, dessen beide Unterschenkel und der linke Unterarm amputiert sind und dessen Gesicht zerschossen ist. 

Otto Dix verließ nach der Machtergreifung und, nachdem er seine Professur in Dresden verloren hatte, die Großstadt und lebte ab 1936 in einem eigenen Haus in Hemmenhofen am Bodensee. Er malte keine  Bilder mehr, deren Sozialkritik auf den ersten Blick erkennbar war. Doch nimmt er offensichtlich Bezug auf die Verfolgung der Juden, als er 1935 - dem Jahr der Nürnberger Rassegesetze gegen die Juden - das folgende Bild malte: 

-    Judenfriedhof in Randegg im Winter mit Hohenstoffeln, 1935 (Achtung, in diesem Bild kann man die rot-weißen Punkte entfernen, indem man rechts unten auf "Info aus" geht, wenn man auf die Punkte klickt, bekommt man zusätzliche Informationen)

Zum Vergleich haben wir uns ein Foto dieses Friedhofs, wie er heute aussieht, angeschaut. Deutlich wurde, dass Dix diese Landschaft vor Augen hatte, als er sein Winterbild malte. Sowohl der Schnee, der alles zudeckt, wie die dunklen Wolken und die karge Winterzeit, lassen das Gefühl der Verlassenheit und Kälte aufkommen, einer Kälte, der der Friedhof ungeschützt ausgesetzt ist. 

Zum Schluß war dann gerade noch Zeit für einen kurzen Blick auf das schon am Anfang erwähnte Selbstbildnis

-    Selbst mit Palette vor rotem Vorhang, 1942

Der rote Vorhang erinnert natürlich stark an die große Porträtkunst alter Meister wie z.B. das Porträt des Dogen Francesco Venier von Tizian, in dem sich der Vorhang ganz ähnlich zu einer Landschaft hin öffnet, wie bei Otto Dix. (Ich hatte als Vergleichsbild in Bezug auf die Kunst Alter Meister und die Öffnung des Bildes in eine Landschaft den Sebastiansaltar von Albrecht Altdorfer gewählt, doch scheint Tizians Porträt viel passender.) Eine Weile haben wir diskutiert, wie und wohin der Maler schaut. Ein Blick auf den Pinsel in seiner linken Hand hat uns schließlich klar gemacht, dass der Rechtshänder Dix direkt in den Spiegel geschaut und sein Spiegelbild abgemalt hat. Der Blick in den Hintergrund links zeigt aber auch, dass die drohenden schwarzen Wolken über und hinter diesem Bild lauern.

Die Ausstellung selbst zieht mit den dort gezeigten Bildern eine Menge Verbindungen zur zeitgenössischen Kunst, doch lässt sich das in einer Stunde nicht so gut durchführen, deswegen haben wir uns weitgehend auf die Bilder von Otto Dix beschränken müssen, der am Ende des Zweiten Weltkrieges übrigens noch einmal Soldat werden musste. Wer sich eingehender mit der Ausstellung beschäftigen will, dem sei noch das Onlinemagazin der Deichtorhallen empfohlen.

Nachweis zum Bild oben: Gemalte Wehrsabotage des Malers Otto Dix. Seite aus Kaiser Fritz, München / Propagandaleitung, Amtsleitung Kultur / Verlag für Kultur- und Wirtschaftswerbung, Berlin: Führer durch die Ausstellung Entartete Kunst (1938) Quelle