Zur Zeit und noch bis zum 8. Oktober 2023 findet wieder die "Nordart" im Kunstwerk Carlshütte in Büdelsdorf statt. Wir haben sie im Juni virtuell und ich persönlich habe sie inzwischen auch real besucht. Diese internationale Ausstellung zeitgenössischer Kunst findet zum einem in den Hallen der ehemaligen Eisengießerei und im Freien auf dem parkartigen Gelände der daneben liegenden Villa statt.
Dieses Jahr haben wir uns nicht wie bei unserem letzen virtuellen Besuch im Jahr 2018 um den Landesschwerpunkt der Ausstellung - dieses Jahr war es die Türkei - gekümmert, sondern ich habe mir das ausgesucht, was ich interessant fand. Zwei Werke von Lilya Corneli aus ihrem Zyklus "To be a muse" habe ich an den Anfang gestellt, weil Uta mich darauf aufmerksam gemacht hat.
Lilya Corneli, To be a muse (Hängung auf der Nordart 2023) |
Wir haben zuerst eines ihrer Vorbilder
- Lukas Cranach d. J., Porträt einer vornehmen Dame, 1564
aufgerufen und dann das Foto
- Lilya Corneli, Cranach, Porträt einer vornehmen Dame
damit verglichen. Der unterschiedliche Blick der beiden Frauen war sofort Thema. Uns schien die Künstlerin viel selbstbewusster als die vornehme Dame auf Cranachs Bild. Dann erst stolperten wir über die vielen kleinen eigenen Zutaten der Künstlerin, wie die schwarze Baseballkappe mit dem Schal, die Kette mit dem Wort "Peace" und den Fingering mit dem großen Schriftzug "Yes" und die breiten Armreifen, die an Metallfesseln erinnern. Und zugleich überraschte uns wie genau - z.B. ist der Schatten rechts im Hintergrund auf beiden Bildern vorhanden - die Künstlerin den Bildaufbau von Cranach nachgestellt hat.
Etwas anders ist sie bei dem folgenden Bild vorgegangen (das nicht auf der Nordart zu sehen ist):
- Pablo Picasso, Junge mit Pfeife,1905
- Lilya Corneli, Picassos Junge mit Pfeife
Michał Jackowski, Fast Food, 2018 |
In diesem Fall überblendet die Künstlerin das "Original" mit ihrem Foto und zwar so, dass der Junge fast halbiert ist, wobei Foto und Gemälde nicht überall scharf getrennt sind, auch wenn die Fotoseite des Bildes sehr viel klarere Linien und Kontraste zeigt. Auch bei diesem Bild fanden wir die Art, wie sich Blick und Gesichtsausdruck durch das Foto verändern, auffallend und eindrucksvoll.
Als nächstes hatte ich das plastische Werk
- Michał Jackowski, Fast Food, 2018,
ausgesucht, das schon auf der vorjährigen Nordart zu sehen war.
Michał Jackowski, Fast Food, 2018 |
Das nächste Werk, das ich ausgesucht habe, ist ein Öl- und Eitempera-Gemälde auf Holz, also ein Werk, das ganz in der Manier alter Meister hergestellt ist. Das Bild ganz unten auf dem PDF der Nordart wird beim Vergrößern leider schnell unscharf, so dass wir nicht alles gut erkennen konnten:
- Madeline von Foerster, Die Herkunftsgeschichte, 2023.
Madeline von Foerster, Die Herkunftsgeschichte, 2023 |
Ausschnitt aus dem obigen Werk |
Einen anderen Zugang zur europäischen Kunst wählt die Künstlerin Mari Terauchi aus Japan. Wir sahen uns zuerst ihr Vorbild an:
- Annibale Carracci, Salma di Cristo (Leichnam Christi), ca. 1583-1585.
Die ungewöhnliche Sicht auf den malträtierten Körper Christi ist natürlich sehr auffallend. Die Augenhöhe des Betrachters befindet sich nur wenig über den Füßen des Leichnams, so dass man den Körper in starker Verkürzung liegen sieht. Diese ungewöhnliche Sichtweise ist ein typisches Merkmal des Manierismus.
Die japanische Künstlerin hat dieses Bild in die Dreidimensionalität umgesetzt, also daraus eine Plastik gemacht. Sie ist in der Ausstellung deutlich unterlebensgroß und so niedrig aufgestellt, dass man sie gut von oben betrachten kann.
- Mari Terauchi, Salma di Christo
Terauchi erschafft mit dieser dreidimensionalen Analyse des zweidimensionalen Kunstwerkes eine neue Perspektive auf das Bild und lässt dabei die Verrenkungen des toten Körpers deutlich erkennen. Auf einem Foto der Skulptur, das aus derselben Perspektive aufgenommen ist wie das Gemälde, wirken beide ganz ähnlich. Doch alle anderen Perspektiven auf das plastische Werk eröffnen völlig neue Bilder:
Mari Terauchi, Salma di Christo |
Mari Terauchi, Salma di Christo |
Mari Terauchi, Salma di Christo |
Als letztes Bild haben wir das Foto von
- Evangelos Koukowitakis, O.T. 2, 2022 (Achtung, das Bild ist ganz unten im PDF zu finden!)
aufgerufen, das mir persönlich sehr gut gefällt. Harald erklärte uns, wie man die "Pusteblumen" so vollständig erhalten kann, wie sie auf dem Bild zu sehen sind: Man muss dazu noch ungeöffnete Samenstände des Löwenzahn nehmen und durch den Stiel einen Draht schieben. Dann halten sich die geöffneten Samenstände sozusagen ewig. Allerdings hat der Fotograf hier die Stiele in sich verbogen angeordnet und sie in einem Glas zusammen mit dem spiegelnden Teller, auf dem ein Stück Gräte liegt, zu einem sehr ästhetischen Stilleben angeordnet, das zugleich einen morbilden Charakter hat.
(Zu den Fotos: Ich habe sie alle selbst auf der Nordart gemacht und dort um die Veröffentlichungserlaubnis erbeten, die mir mit Mail vom 4.7.2023 gegeben wurde.)