Mittwoch, 23. Oktober 2019

Tomi Ungerer

Kaum haben wir beim Kunstsurfen uns mit dem Werk von Tomi Ungerer beschäftigt, schon widmet "DIE ZEIT" ihr ganzes Magazin (Nr. 43/2019 / 16.10.2019) diesem ungewöhnlichen Künstler, der im Frühjahr dieses Jahres gestorben ist. Wir sind also auch als Senioren ganz und gar auf der Höhe der Zeit 😉.

Tatsächlich gab und gibt es in diesem Jahr auch mehrere Ausstellung mit Werken von Tomi Ungerer. Genannt sei hier:

Tomi Ungerer the european im Straßburger Tomi Ungerer Museum (05.07 - 20.10.2019)

und Tomi Ungerer - Zeichnungen, Collagen und Objektkunst aus der Sammlung Würth im Würth-Haus in Rorschach (14.05. 2019 - 15.03.2020). Außerdem kann man Werke von Ungerer natürlich in seinem Straßburger Museum sehen.

Zu Europa haben wir uns gleich das Ausstellungsplakat

- Gouache ohne Titel (bzw. mit der Benennung "La Diva de l'Europe" (Die Diva Europas) 36 x 25.5 cm


angesehen, das Unger ursprünglich in seinem Buch "Europolitain" 1998 veröffentlicht hat. Die Dame Europa gleicht einer Walküre aus Wagners Opern, fanden wir. Sie singt laut und hat eine Mitra mit der Kathedrale von Straßburg auf dem Kopf. Aber mehr konnten wir dazu nicht herausfinden. Warum hat Ungerer Europa so dargestellt, die doch sonst auf einem Stier reitet. Findet er Deutschland so laut im Kreis der anderen?

Mehr anfangen konnten wir mit dem Bild

- Zoziaux fragiles (brüchige Gemeinschaft)

aus demselben Buch. Dass die Vögel, die da eng zusammenhocken, schnell auseinander fliegen könnten, kann man da sofort assoziieren. Aber auch die Beobachtung, dass sie gerade nicht alle "an einem Strang ziehen", sondern versuchen einer dem anderen etwas wegzupicken und einer ganz leer ausgeht, stellte sich bei näherer Betrachtung ein. Und nicht zu vergessen: Die Zeichnungen stammen aus dem Jahr 1998!

Nach dieser Einleitung, haben wir uns das Werk des Künstlers sozusagen von Jugend angesehen. Es ist schon sehr interessant zu sehen, wie der kleine Toni schon seine Umwelt wahrnimmt und in Zeichnungen umsetzt. Das Aufwachsen im Lebens im Krieg und in einer Welt, die sozusagen zwischen den Fronten lag, hat sein Leben sicher geprägt. Wir haben die Seite über die

Kindheit des Künstlers herunter gescrollt und das Bild ganz rechts in der obersten Reihe mit der Überschrift
- Deutschland, 1943

näher angesehen. Tomi Ungerer hat es als Zwölfjähriger gezeichnet und es zeigt brutal den Schrecken, den deutsche Soldaten verbreiteten: vom zerbombten Haus, über Totenkopf, Galgen, abgeschlagenem Kopf, bis zu einem erdolchten Mann, der die Freiheitsstatue festhält.

In einem Text über den Künstler habe ich den Hinweis gefunden, dass bei ihm zuhause die Satire-Zeitschrift "Simplicissimus" gelesen und gesammelt wurde. Deshalb haben wir uns auch ein Bild aus dieser Zeitschrift angeschaut:

- Olaf Gulbranson, Zentrumsdilemma, in: Simlicissimus Ausgabe 1932, Heft 8, S. 85

Hat Ungerer solche - 1943 schon über zehn Jahre alte - Zeichnungen zum Vorbild genommen. Gibt es andere Zeichner, denen sein Stil ähnelt? Immerhin gibt es auch eine Mickey-Maus in seinen Kinderzeichnungen...

Seine ersten Veröffentlichungen erzählen jedenfalls - mehr oder weniger - nach dem Vorbild der "Silly symphonies", also früher kurzer Zeichentrickfilme, von Walt Disney:

- The Mellops Go Diving for Treasure (1957)

- Walt Disney, Drei kleine Schweinchen (Silly symphonies)

Danach haben wir einen Blick auf die Bücher von Tomi Ungerer geworfen. Und zwar speziell auf das Buch in der ersten Reihe ganz rechts:

- The party, New York 1966 (Man kann sich die japanische Webseite übersetzen lassen, so man Chrome als Browser benutzt.)

Mäuse, die sich in Augen verkriechen, und Käse im Mund als Mausefalle eines dicken Mannes, zwei Frauen mit gespaltenen Zungen, eine fast nackt aussehende Tänzerin mit einem sehr dicken Hinterteil: Die Gestalten in diesem Buch sind Karikaturen ihrer selbst. Hat sich der eine oder andere New Yorker in den Bildern wiedererkannt? Tomi Ungerer ist jedenfalls später nach Kanada gegangen. Dabei zeichnet Ungerer diese Bilde mit zarten Strichen; eine andere Art und Weise, wie sie z.B. eines seiner Vorbilder, der Zeichner und Maler Wilhelm Busch genutzt hat. Wir haben uns von ihm ein paar Zeichnungen der Geschichte von

- Fritze, in "Die Haarbeutel", 1878

angeschaut und mit Ungerer verglichen. Ähnlich zeichnet aber auch mit dünner Linie

- Saul Steinberg, Duel,1951

Auch mit dem

- Kamasutra der Frösche, 1982

macht Ungerer sich über gesellschaftliche Tendenzen lustig, wenn man an die Enttabuisierung der Sexualität in dieser Zeit denkt. Weil aber das Kamasutra nicht allen geläufig war, haben wir kurz noch mal nach dem Original und damit nach möglichen Vorbildern im Netz gesucht. Das ganze Buch kann man hier lesen. Auch andere Künstler haben in dieser Zeit "Tierbilder" gezeichnet, so z.B. auch Ungerers Freund

- Ronald Searle, Two cats quite calmly making beasts of themselves, 1980

Tomi Ungerer aber ist noch weit vielseitiger in seiner Kunst, denn wir haben auch zum Thema Kinderbuch und Animationsfilm übergegangen. Dazu gehört z.B. das Buch und der Film

- Die drei Räuber, Filmtrailer (und auf diesem Blog sieht man einige Bildseiten)

und das Buch und der Film

- Der Mondmann, Filmtrailer

nicht nur für Kinder hat er außerdem

- Das große Liederbuch, 1975 (hier die noch erhältliche Ausgabe im Diogenes Verlag)

gestaltet. Wieder finden wir einen ganz anderen Stil in diesen Büchern, während man bei den beiden Kinderbüchern ein wenig an Einflüsse aus der Pop-Art denken möchte, könnte man beim Liederbuch vielleicht auch an den

- Heinrich Hoffmanns, Struwwelpeter, 1844

erinnern, oder?

Tomi Ungerers Lust an der Satire kommt allerdings auch dabei immer wieder durch, denn es gibt nicht nur das große Liederbuch, sondern auch

- Das Liederliche Liederbuch.

Eine Reihe von Bildern aus dem großen Liederbuch findet man hier. Und wenn man auf dieser Webseite herunter scrollt, folgen auch Bilder aus dem liederlichen Liederbuch!

Zuletzt haben wir uns noch zwei Werke angesehen, die zeigen, dass Tomi Ungerer auch architektonische Ideen verfolgt hat:

- Der Janusbrunnen, 1988

wurde von ihm zur Zweitausend-Jahr-Feier seiner Heimatstadt Straßburg von entworfen. Er weist sozusagen in alle vier Himmelsrichtungen. Über das antike Aquädukt läuft das Wasser auf beiden Seiten ab und der Kopf am Boden schaut als Januskopf in die anderen beiden Richtungen. Symbolisch ist damit auch die Lage und Kultur der Stadt gemeint, die von Frankreich und Deutschland geprägt wurde und wird.

Das heitere

- Toilettenhäuschen in Plochingen, 2007

scheint dagegen von dem Spieltrieb des Künstlers zu zeugen, besonders wenn man auf dem Bild sieht, dass es sich von dem Gebäude des Hundertwasserhauses im Hintergrund abhebt.