Dienstag, 3. Juli 2018

Jeff Wall - Appearance

Website zur Ausstellung in der kuma (Screenshot)
Zur Einweihung des neuen - und anscheinend nicht unumstrittenen - Gebäudes der Mannheimer Kunsthalle sind vom 02.06.18 bis 09.09.2018 die Fotografien des Kanadiers Jeff Wall in der Ausstellung mit dem Titel APPEARANCE ausgestellt.

Appearance bezeichnet übrigens sowohl das Aussehen und die Erscheinung von Gegenständen, Handlungen, Phänomenen und Personen, als auch den Prozess, vermittels dessen sie sich durch das Bild dem Blick darbieten und in Erscheinung treten!

Die Ausstellung ist in enger Zusammenarbeit zwischen der Kunsthalle Mannheim und dem Mudam Luxembourg – Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean - entstanden und zeigt etwa dreißig großformatige Fotografien von Jeff Wall und damit einen Überblick über sein Oeuvre seit Ende der Siebzigerjahre. Sein Markenzeichen sind großformatige Dialeuchtkästen. Seine Bilder sind  stets sorgfältig komponiert und der studierte Kunsthistoriker zieht gern vielseitige Verbindungen zu berühmten Werken von Künstlern wie Eugène Delacroix oder Edouard Manet. Die Ausstellungsmacher schreiben, dass ihre Auswahl um den Begriff des Rätsels kreist und damit um einen Wesenszug, der Walls gesamtes fotografisches Schaffen durchzieht. Das Rätsel findet sich zum Beispiel in der Art, wie die Figur ins Auge gefasst wird – eine zentrale Angelegenheit seinem Werk

Wir haben gleich mit dem Werk angefangen, in dem Walls zum ersten Mal ein Foto dadurch sozusagen "verewigt" hat, dass er es aus Glas (Plexiglas?) gebracht und von hinten beleuchtet hat. 

- The Destroyed Room, 1978 (Achtung: Bitte auf dieser Seite zum zweiten Bild von oben herunterscrollen!)

Dazu gibt es auch das folgende englische Video, in dem Walls erklärt, wie er zu dieser damals neuen Technik kam. Unsere Assoziationen bewegten sich mehr in Richtung "Messie", dann stellte sich die Frage nach dem Bewohner oder - wahrscheinlicher - der Bewohnerin des Raumes. Vereinzelte Pumps wurden gesichtet.

Zum Vergleich gab es dann
- Eugène Delacroix, Der Tod des Sardanapal, 1827

Aber es war schwierig sich darauf einzulassen, diese beiden Bilder zu vergleichen. Greift Walls wirklich mit seiner schrägen zerschlitzten Matratze den diagonalen Bildaufbau und den Farbenreichtum dieses Bildes auf? Dass er das Thema Zerstörung auf seine Weise inszeniert, war dagegen schnell klar. Ach so ja, und Sardanapal war der letzte König des assyrischen Reiches. 

Dagegen wird das Bild
- Search of premises (Durchsuchung), 2009

als "Kontrapunkt zu 'The Destroyed Room'" angesehen. Dass es sich um eine Hausdurchsuchung handelt, war sofort klar. Auch die dritte Person in der Tür war bald ausgemacht. Aber wer wohnt in dieser Wohnung? Ein Sportler oder ein Auftragskiller? Steht da ein Fernrohr oder wofür ist das Stativ mit dem kleinen aufgesetzten Fernrohr. Ist es eine Wohnung, die ebenerdig liegt und führt die Treppe in den Keller? "Wie bei The Destroyed Room ähnelt die Lektüre des Bildes seitens des Betrachters einer Indiziensuche," steht in dem ausführlichen Katalog zur Ausstellung, "die sich hier parallel zu polizeilichen Ermittlungen abspielt. Und wie bei The Destroyed Room wird diese indexikalische Lektüre von einer formaleren Sicht überlagert, die Wall der abstrakten Malerei angenähert hat."

- Picture for Women, 1979 

Dieses Bild stammt auch noch aus der Anfangszeit des Künstlers. Dazu gibt es einen hübschen Youtubefilm, der zeigt wie die Leuchtkästen gemacht sind. Wir haben gerätselt, was für ein Raum es ist: Ein Studio? Eine Kantine? Auf jeden Fall unwirtlich und leer. Wo liegt dann die Beziehung zu dem Bild von 


Die Verbindung sahen wir in der Frauenfigur, deren skeptischer, trauriger und vielleicht auch überdrüssiger Gesichtsausdruck in beiden Bildern ähnlich ist. Aber welch ein Unterschied in der Umgebung! Vielleicht finden die geneigten Leserinnen ja noch mehr Verbindungen zwischen beiden Bildern?

Länger haben wir uns bei

- Morning Cleaning, 1999, Mies van der Rohe Foundation, Barcelona  

aufgehalten. Was mir nicht klar war:  Es handelt sich bei dem Ort tatsächlich um den Weltausstellungspavillon von 1929 von Mies van der Rohe in Barcelona. Es steckt also auch noch viel Geschichte hinter dem Bild! Erst mal sieht es ja so aus wie eine Art Schnappschuss, morgens aufgenommen, als das Museum noch leer war und ein schwarzer Putzmann den Boden wischte. Aber dann ist da die Sache mit dem schwarzen Teppich und dem sich wellenden weißen Bodenbelag am Absatz zwischen Schwarz und Weiß. Liegt der Teppich wellig oder ist der Bodenbelag kein Stein sondern eine Folie? Anscheinend gibt es Hinweise für beide Sichtweisen. Und was sieht der geneigte Leser?

Ganz anders ging es uns mit dem Foto

- Invisible man, 1999-2000

das aus der Vorrede des Romans 'Invisible Man' von Ralph Ellison von 1952 entstand.

Der Protagonist des Romans ist ein namenloser Afroamerikaner, der heimlich in einem Kellerloch wohnt und dort "die ganze Decke, jeden Zentimeter davon" mit 1.369 Lichtern bestückt hat, für die er den Strom des Hauses illegal anzapft. Walls hat den nicht Text wörtlich illustriert, sondern das getan, was Leser und Leserinnen oft im Geist tun und weshalb das Lesen so bereichernd sein kann: Er hatte ein Bild von diesem unsichtbaren Mann im Kopf und hat sein "Kopfbild" in die Realität umgesetzt!