Freitag, 4. November 2016

Hinter dem Vorhang. Verhüllung und Enthüllung seit der Renaissance.

Die Grundfrage hinter dieser Ausstellung in Düsseldorf betrifft das Bild in der Kunst: Öffnet ein Bild dem Betrachter ein Fenster in die Wirklichkeit oder stellt es sich nicht gerade zwischen den Betrachter und die Welt und verstellt so den Blick auf die Realität? 

Ludwig von Orléans entschleiert 
seine Geliebte. Gemälde von 
Das Thema des Vorhangs, der etwas enthüllen oder auch verhüllen kann, verstärkt dabei die Frage nach der Wirklichkeit noch einmal auf ganz eigene Art. Darum ging es uns auch in der Betrachtung von einigen der Bilder, die in Düsseldorf in der Ausstellung "Hinter demVorhang. Verhüllung und Enthüllung seit der Renaissance. Von Tizian bis Christo" zusammengetragen worden sind. Sie ist noch bis zum 22.1.2017 zu sehen (siehe dazu auch die Broschüre und die Bildergalerie). Natürlich geht es dabei in gewissen Sinn auch um das aktuelle Thema des Schleiers und der Verschleierung, Doch merkt man schnell, dass es in Düsseldorf um mehr geht als die umstrittene Verschleierung der Frauen im Islam.

Angesehen haben wir uns zuerst das Werk, von dem die Grundidee zur Ausstellung ausgegangen ist.

- Johann J. von Sandrart (1655-1698) nach Joachim von Sandrart, Zeuxis und Parrhasius, 1675
Radierung, Detail (untere Platte)

Es dauerte ein wenig, bis wir erkannten, dass auf der rechten Seite das Bild von Trauben zu sehen ist, an dem Vögel picken, während links Männer vor einem zweiten Bild zu sehen sind. Einer versucht den Vorhang davor wegzuziehen. In der Geschichte dahinter geht es um den Wettstreit der beiden Maler Zeuxis und Parrhasius: "Zeuxis malte im Wettstreit mit Parrhasius so naturgetreue Trauben, dass Vögel herbeiflogen, um an ihnen zu picken. Daraufhin stellte Parrhasius seinem Rivalen ein Gemälde vor, auf dem ein leinener Vorhang zu sehen war. Als Zeuxis ungeduldig bat, diesen doch endlich beiseite zu schieben, um das sich vermeintlich dahinter befindliche Bild zu betrachten, hatte Parrhasius den Sieg sicher, da er es geschafft hatte, Zeuxis zu täuschen. Der Vorhang war nämlich gemalt." (Plinius, Nat. Hist. XXXV, 64, zitiert nach dieser Quelle. Damit verstanden wir auch, dass genau der Augenblick dargestellt wird, als Zeuxis versucht den Vorhang beiseite zu schieben und die gespannten Zuschauer Zeugen sind, dass er sich getäuscht hat. 

Aber in welchen Zusammenhang standen früher Vorhänge auf den Gemälen eigentlich? In der Ausstellung ist zu sehen:

- Giovanni Bellini, Madonna mit Kind (Venedig, nach 1480) 

In der Beschreibung heißt es, dass hinter Maria der Ehrenvorhang zur Seite gezogen ist und eine ferne Landschaft enthüllt. Die haben wir genauer angeschaut: Am Himmel über den fernen Bergen dämmert der Tag oder die Nacht; vorn ist ein Feld mit kahlen Bäumen, dahinter kahle braune Felder, aber über dem anschließenden Weg dann erscheint die Natur grün und der Baum weiter hinten trägt seinen vollen grünen Blätterschmuck. In der Beschreibung auf der Seite des Metropolitan Museums heißt es dazu: "Der Übergang von einer schlafenden zu einer grünenden Natur und ein dämmernder Himmel ist eine Metapher für Tod und Wiedergeburt." 

Das Wort Ehrenvorhang weist darauf hin, dass Vorhänge in Herrscherbildern eine wichtige Rolle spielen. Herrscher sitzen auf dem Thron, der einen Ehrenbaldachin trägt. Ein Dach und ein Vorhang, die die hohe Persönlichkeit zugleich schützen und von der profanen Welt trennen. Als Beispiel für solche Vorhänge sind wir in das frühe Mittelalter herabgestiegen zu:

- der Miniatur Lothar I. in seinem Evangeliar, Tours, zwischen 849 und 851, heute in Paris Bibliotheque Nationale de France, Ms. lat. 266, fol. 1

Dort sind Thron und Vorhang gut zu erkennen. 

Eine andere Rolle spielen die verschiedenen Vorhange bei dem Bild aus dem Prado in Madrid:

- Tintoretto, Jacopo Robusti (Werkstatt), Judith und Holofernes, ca. 1577
Die Geschichte von Judith und Holofernes berichtet kurz gefasst, dass Judith, eine schöne jüdische Frau, den Holofernes den Kopf abschlägt um ihr Volk zu retten, dass von diesem Feldherrn in einer Festung belagert wurde. Diese Geschichte ist in unzähligen Bildern dargestellt worden. Bei Tintoretto haben wir uns auf die mehrfache Verhüllung des Dargestellten konzentriert. Holofernes liegt nackt auf seinem Bett, seine Körperhaltung lässt nicht erkennen, ob der Kopf schon abgeschlagen ist oder nicht. Doch Judith ist gerade dabei ein Tuch über ihn zu breiten und wir haben auch den Kopf am Boden neben der Dienerin gesehen. Die Szene spielt auf einem Prunkbett, dessen größter Teil von einem leuchtenden roten Vorhang verdeckt wird. Aber wenn man genau hinsieht, dann liegt ein blutbeflecktes Schwer auf den Stufen zum Bett. Ein weiterer Vorhang - das Tuch des Zeltes - verschließt den Hintergrund bis auf einen breiten Spalt, der den Blick in die Landschaft freigibt, in der weitere Zelte zu erkennen sind - das Heerlager des Holofernes. Der Betrachter sieht auf eine sehr durchdachte Inszenierung von gegenläufigen Bewegungen. Der Mord wird sozusagen im gleichen Augenblick gezeigt und wieder verhüllt. 

Um das Zeigen und "Doch-nicht-zeigen" geht es auch in dem Bild: 


Wieder geht es um eine "Bettszene", doch die Vorhänge des zwischen den Bettpfosten spielen hier nicht die wichtigste Rolle, sondern das weiße Tuch, dass der König auf der rechten Seite so hält, dass der Besucher links den Unterkörper der nackten Frau sieht. Doch ihr Gesicht, das sie -schamhaft?- zur Seite hält, bleibt seinem Blick verborgen, während wir als Betrachter und durchaus als Voyeure den ganzen nackten Körperrücken der schönen jungen Frau zu sehen bekommen. Der Maler hat das Geschehen dabei in's Mittelalter verlegt, wie man gut an den Kostümen der beiden Männer erkennt. 

Gefragt wurde, welche tatsächliche Geschichte dahinter steht. Zwar findet man im Netz etwas über die historische Person Ludwigs, allerdings ohne einen Hinweis, der die Bildszene von Delacroix interpretieren könnte. Erklärt wird allerdings, dass der Gast des Herzogs der ahnungslose Ehemann der Dame ist, deren Identität hinter dem weißen Tuch versteckt wird, und dass der Schleier damit zu Trennwand zwischen den beiden Menschen, aber auch zwischen Unkenntnis und Erkennen wird. 

Ganz anders zeigt sich das Motiv des Schleiers in dem Bild

- Arnold Böcklin, Trauer der Maria Magdalena, Kunstmuseum Basel, 1867

Der schwarze Schleier verbirgt zum Teil die roten Haare der in einer großen Geste des Erschreckens und der Trauer am Leichnam Christi verharrenden Frau und fließt von dort zugleich durchsichtig und undurchsichtig über den Unterkörper des Toten, wo es dessen Scham verhüllt. Das dünne Tuch unterstreicht damit gleichzeitig die wilde Geste der Trauer und das Attribut der roten Haare, das auf die lange kirchliche Tradition hindeutet, die in ihr die Sünderin und Prostituierte sah.  

Mit der Kunst der Moderne hat sich auch das Motiv des Vorhangs und der Verhüllung grundlegend gewandelt. Angeschaut haben wir uns eines der frühesten Werke von Christo angesehen:

- Christo, packed beatle 1963 

der mit seinem gelben Tuch die Auto-Legende einerseits anonymisiert und andererseits zeigt, dass die kurvige Käferform auch unter der Verhüllung erkennbar bleibt und damit ein Markzeichen ist.

Noch extremer ist die Installation 

- Hans-Peter Feldmann, Vorhang Rot

die aus einem Samtvorhang an einer Messingstange besteht. Wie der oben erwähnte Zeuxis hinter dem gemalten Vorhang des Parrhasius erwartet man hinter dem Vorhang ein Bild. Doch Feldmann narrt den Betrachter, denn dahinter ist nichts, nur die blanke Wand kommt zum Vorschein, wenn man den Blick hinter die Verhüllung wagt, und damit nichts als die nackte Wahrheit? Der Vorhang ist zum Selbstzweck geworden.

Den Schleier macht die iranische Künstlerin Shirin Neshat zum Thema in ihrer Serie „Frauen von Allah“, die sie kurz nach ihrer Rückkehr in den Iran im Jahr 1991 begonnen hat. Islamische Lesart sieht den Schleier als Schutz für den Körper der der Frauen, er verhindert ihre Sexualisierung durch den männlichen Blick (bei dieser Grundannahme ist schon das Bild des Mannes, dessen Blick auf die Frau immer sexualgetrieben ist, sehr fragwürdig, finde ich). Aber der Schleier behindert umgekehrt, besonders, wenn er die Form der Burka annimmt, die freie Bewegung und den freien Blick der Frau auf die Welt. In  


ist der Körper der Frau zweifach verschleiert, zum einen durch das schwarze Tuch, das sie bedeckt, zum anderen durch die Schrift, die ihr Gesicht und ihre Hände wie eine Gaze überzieht. Schaut man sich den Schleier genauer an, entdeckt auf ihm weitere Bilder der Verschleierung und Nacktheit: eine vollständig verhüllte Frau, die fast wie ein Zelt aussieht, mit einem nackten Kind links, eine Frau mit weißem Kopftuch und Gesichtsschleier rechts. Doch die Frau selbst, deren Verschleierung so auf noch tiefere Verhüllungen hinweist, blickt den Betrachter geradezu durchdringend an. Und dieser Blick unterstreicht noch die Bedrohlichkeit der Waffe, die in seine Richtung, doch ganz leicht abgelenkt, auf ihn zielt. Sicher wäre noch etwas zu der Schrift auf dem Bild zu sagen, doch dazu hatten wir keinen Zugang. Mehr über die Serie erfährt man auf der englischen Seite der Khan-Academy.