Samstag, 31. Januar 2015

Kunst und Wunderkammern

2013 hat in Berlin ein "social learning summit" stattgefunden, der auch in einer Dokumentation nachzuvollziehen ist. Warum erwähne ich das hier? Es ging bei diesem "Gipfel", an dem neben Experten auch Schüler teilnahmen, um den "Bildungs- und Erfahrungsraum Social Web" und das Zusammentreffen fand in einem ganz besonderen realen "Bildungs- und Erfahrungsraum" statt, nämlich der Wunderkammer des Sammlers Thomas Olbricht dem "me Collectors room". Im Vorwort der Publikation wird diese Sammlung mit den Kunst- und Wunderkammern der Vergangenheit verbunden und eine davon - die Kunstkammer in dem Buch des Ferrante Imperato "Dell' Historia naturale", Neapel 1599 - wird auf dem Bildschirm eines Laptop abgebildet. Damit wird das Social Web sozusagen zu einer Kunst- und Wunderkammer, in der man alle Merkwürdigkeiten und Besonderheiten der Welt virtuell wiederfinden kann, und genau dazu nutzen wir beim Kunstsurfen ja auch das Netz oder?

Die kaiserliche Bibliothek und Raritäten Kabinet, in: 
Julius von Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance: ein Beitrag zur Geschichte des Sammelwesens, Leipzig, 1908, Abb. nach S. 103, 
Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg s. obigen Link Creative Commons-Lizenz CC-BY-SA 3.0 DE

Und deshalb sind wir beim letzten Online-Treffen zu einigen Kunst- und Wunderkammern der Vergangenheit gesurft und haben uns angesehen, wie sie im Bild wiedergegeben werden und wie sie noch heute aussehen.

Diese besonderen Räume entstanden zuerst an fürstlichen Höfen und auf Burgen im Europa des 16. Jahrhunderts. Gesammelt wurde alles, was den Menschen der damaligen Zeit ungewöhnlich und wichtig war. Das waren Kunstwerke, aber auch Bücher, Münzen und Medaillen, astronomische Geräte, Globen und Atlanten, Skelette, Fossilien und Mineralien, technisch ausgefeilte Drechselarbeiten aus Elfenbein, kunstvoll gravierte Straußeneier, kostbar gefasste Kokosnüsse, Pokale aus ungewöhnlichen Muscheln und noch vieles mehr. Die Objekte wurden in naturalia (Werke der Natur), artificialia (von Menschenhand Geschaffenes), scientifica (Wissenschaftliche Instrumente) und exotica (Mitgebrachtes aus fernen Ländern) unterteilt. Damit wurden die Kunstkammern sozusagen zu einem Mikrokosmos des Universums.

Die Unterteilung der Objekte zeigt zugleich, dass man bestrebt war, die Welt wenigstens im Kleinen in eine feste Ordnung zu bringen. Damit waren Kunst- und Wunderkammern zugleich die Vorläufer der späteren Museen, die im 19. Jahrhunderts immer differenzierter und spezialisierter wurden und sich in Kunstsammlungen und naturkundlich/wissenschaftliche Sammlungen aufteilten. Die Bezeichnung Kunst- und Wunderkammer ist laut Wikipedia in der Zimmerischen Chronik (1564–66) zuerst nachgewiesen und wurde durch Julius von Schlossers Werk „Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance“ (Leipzig 1908) allgemein gebräuchlich. Schlossers Werk gibt auch einen sehr schönen Überblick sowohl über die Kunstkammern wie über die wichtigsten Kunstschränke der Vergangenheit.

Natürlich muss man daran denken, dass zeitgleich mit der Entstehung dieser Sammlungen die Entdeckungsfahrten des 15.–17. Jahrhunderts stattfanden. Damit einher ging auch die Kopernikalische Wende mit ihrem Übergang vom geo- zum heliozentrischen Weltbild und der Erkenntnis der Kugelform der Erde oder wie der Sammler und Museologe Johann Daniel Major (1634 - 1693) es ausdrückte der „Erkäntnüß des Apfel-runden Kreises der gantzen Welt“. Er war ein Mitbegründer der Museologie und schrieb das Werk „Unvorgreiffliches Bedenken von Kunst und Naturalienkammern insgemein“, wobei er die „Tactica Conclavium“ einführte, die Wissenschaft, wie Kunst- und Naturalienkammern eingerichtet werden sollen.

Allgemein kann man natürlich wie immer mehr über diese Sammlungsräume in Wikipedia lesen, aber es gibt auch zwei gute weitere Seiten, die von Peter Huber aus Österreich und die Schweizer Enzyklopädie, die beide auch die heute noch bestehenden Kunstkammer auflisten.

Nun aber zu den Bildern, die wir angeschaut haben:
Zuerst der Kunstkammerschrank von Domenico Remp von 1690. Wir haben ihn uns sehr genau angesehen und uns gefragt, was der Totenkopf rechts oben soll. Erst hinterher bin ich darauf gekommen, dass dieses Bild nicht nur das Bild einer Sammlung ist, sondern auch ein Vanitasbild, denn es enthält nicht nur den Totenschädel, sondern seine Fensterscheiben sind auch zersprungen und, obwohl die Bilder sorgfältig mit roten Schleifen aufgehängt sind, liegen zwei weitere Schleifen wie achtlos hingeworfen auf dem unteren Sockel, daneben liegt ein "Küchenmesser" und ein Bild ist von einer angepinnten Grafik verdeckt. Vergänglichkeit ist also neben der Vielfalt der Welt und ihrer Wunder hier ein zweites wichtiges Thema.

Übrigens kamen wir von diesem Schrank gleich auf die moderne Sammlung des "me Collectors room", die ich oben erwähnt habe und waren verwundert, dass er in seiner Werkliste eigentlich ganz ähnliche Kuriositäten gesammelt hat, wie die Fürsten in der Frühen Neuzeit.

Die interessante Frage ist doch: Was sammeln wir? Haben wir nicht jeder auch so einen "Kurisositätenschrank"? Ich würde jedenfalls gern in einem eigenen Post hier Bilder von solchen privaten Sammlungen einstellen!

Eine weitere historische Sammlung bewunderten wir in Buchform, nämlich das Titelkupfer aus

"Gottorffische Kunst=Kammer/ Worinnen Allerhand ungemeine Sachen / So theils die Natur / theils künstliche Hände hervorgebrachrt und bereitet. Vor diesem Aus allen vier Theilen der Welt zusammengetragen/ Und Vor einigen Jahren beschrieben/ Auch mit behörigen Kupffern gezieret Durch Adam Olearium, Weil. Bibliothecarium und Antiquarium auff der Fürstl. Residentz Gottorff. Anjetzo aber übersehen/ und zum andern mal gedruckt/ Auff Gottfriedt Schultzens Kosten. 1674. In dessen Buchladen zu Schleßwig solche zu finden ist."

Es ist schon interessant einmal zu schauen, was auf dem Bild alles zu sehen ist, so z.B. kleine ägyptische Figuren, Schlangen am Boden und ein riesiger Gecko (?) über dem Durchgang.

In Halle a.d.S. dann kann man noch heute in der Frankeschen Stiftung den Inhalt der dortigen historische Kunst- und Naturalienkammer besichtigen.

Und das Bild von dem entsprechenden Raum der Burg Forchtenstein, gab uns ganz schön zu denken, denn das Kunstwerk, das von der Decke hängt, hat eindeutig den Charakter eines Wolpertingers, wir erkannten neben dem gekochten Hummer und dem Seestern noch die Schildkröte, den Ameisenbär und das Schwert eines Schwertfisches. Aber aus was sind die Flügel gemacht?

Mehr in Richtung Kunst geht dann das Bild mit der Allegorie des Sehsinns von Jahn Brueghel dem Älteren (1568-1625) von 1617. Dieser Link auf Wikipedia zeigt allerdings nur einen Ausschnitt, wie eine Teilnehmerin schnell erkannte. Deshalb hier der Link zum vollständigen Bild! (Wenn man darin auf das Bild klickt, so hat man es im neuen Fenster in größerem Format.) Und jetzt überlasse ich es jedem selbst sich genau anzusehen, was man alles auf diesem Bild einer großen Kunstsammlung zu sehen bekommt, und verabschiede mich nur noch mit einer ähnlichen Kunstsammlung, dem Bild "Galerie eines Sammlers" aus der Werkstatt von Frans Francken d. J. (1581–1642), Ach ja und dazu noch die Frage: Wieviele Hunde laufen da herum?