Montag, 9. Mai 2016

Giorgio de Chirico – Magie der Moderne

Bis zum 3.7.2016 gibt es noch in der Stuttgarter Staatsgalerie die Ausstellung "Giorgio de Chirico – Magie der Moderne" zu sehen. Wir haben sie virtuell besucht. Wer Lust hat kann sich zur Einführung auch diesen Beitrag des ZDFs ansehen (ich weiß allerdings nicht, wie lange der in der Mediathek bleibt!).
Wie immer haben wir uns über das Leben de Chiricos auf Wikipedia schlau gemacht. Aber man kann auch die Seite von der Villa in Rom aufrufen, in der er zuletzt gelebt hat und die inzwischen zum Museum geworden ist.

Sein Leben in Kurzform: Giorgio de Chirico (* 10. Juli 1888 in Volos, Griechenland; † 20. November 1978 in Rom) wächst als Italiener in Griechenland auf und studiert in Athen and Florenz, bevor er in München auf die Kunstakademie geht. (In einem Filmdokument spricht er fließend deutsch). Erste Werke stellt er 1913 in Paris im Salon des Independants aus. Bei bei Ausbruch des 1. Weltkrieges kehrt er nach Italien zurück. Nicht kriegstauglich leistet er Dienst in einem Militärhospital in Ferrara. Dort entwickelt er seinen "metaphysischen" Stil entwickelt, der maßgeblich die surrealistische Bewegung und damit so prominente Künstler wie Max Ernst, Salvador Dali, Rene Magritte, und Philip Guston beeinflusst. Der Name "pittura metafisica" leitet sich dabei von der Metaphysik her, der "Lehre von den Gründen und Zusammenhängen des Seienden". In seinen Bildern scheint sich eine zweite geheimnisvolle Wirklichkeit hinter den sichtbaren Dingen zu verbergen. De Chirico wählt dazu gern die Form "nahezu bühnenhafter, meist menschenleerer Plätze. Veränderte Proportionen, unrealistische Farbgebung und die unkorrekte Wiedergabe von Licht und Schatten, sowie die Verwendung mehrerer Fluchtpunkte lassen die Darstellung zugleich real und irreal erscheinen. Damit löst sich die "vordergründige Gegenständlichkeit" der Bilder bei näherer Betrachtung "in eine mysteriöse Welt voller Symbole und Anspielungen auf" (Wikipedia)


De Chirico selbst kehrt sich allerdings 1919 von dieser Malweise mit einem Artikel ab, in dem er sich für die Rückkehr zur klassischen Ikonographie solcher Meister wie Raphael und Signorelli ausspricht. Seitdem malt er in einem neo-barocken Stil, der stark von Peter Paul Rubens beeinflusst ist.

Angesehen haben wir uns:

- De Chirico "Metaphysisches Interieur mit großer Fabrik", 1916

und es war sehr interessant, wie beim genauen Hinsehen immer mehr Details zu erkennen waren, vom Fenster recht im Hintergrund mit dem Blick auf ein Gebäude mit hohlen Fensterlaibungen, über die merkwürdig geringelten Stöckchen, die wir als Bleistifte erkannten, zu dem unregelmäßigen Podest unter dem Bild und dann zu dem Bild selbst und der dort dargestellten Fabrik, die anscheinend in einer leeren und toten Landschaft steht. Doch dann erkannten wir die kleinen menschlichen Gestalten, die auf der Fläche links davon zu sehen sind.

Interessant war es dann, das "Metaphysische Interieur" mit dem Bild von

- Salvador Dalí: "Erleuchtete Lüste, 1929

zu vergleichen, in dem Rahmungen ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. In dem Rahmen links ist dazu ebenfalls ein Gebäude mit einer Reihung von Fenstern zu sehen. Aber das Gemälde ist viel verrätselter als das von De Chirico. Was ist z.B.: in dem "Kasten" mit dem blauen Bild in der Mitte und der Person auf seiner Seite, die  die dem Betrachter den Rücken zuwendet und durch ein kleines Guckloch hineinblickt. Wieso kommt das Paar am unteren Rand aus der Erde (als ob es aufersteht zum jüngsten Gericht?) und wird von einem Menschen betrachtet, der außerhalb des Bildes steht, so dass nur noch sein Schatten vorhanden ist? Was bedeutet die Hand mit dem blutigen Messer daneben? Tragen die "unendlich" gereihten Radfahrer ihr Hirn auf den Köpfen? Und ist das dasselbe Motiv, das oben links auftaucht, in dem eine - ja was - eine Brustwarze? - zu sehen ist? Und die beiden Gesichter über dem mittleren Bild zusammen mit dem Löwenkopf(?) ist das ein Henkelkrug (bairisches Bier war die nicht ganz ernst gemeinte Assoziation)?

Das Bild von

- Max Ernst "Aquis submersus", 1919

kannten einige schon aus dem Städelonlinekurs. Dort muss man sich das Bild eine Weile ansehen und dann wird man gefragt, was man erinnert. Wir diskutierten über den Titel, der als "Im Wasser versunken" übersetzt werden kann. Es ist der Titel einer Novelle von Theodor Storm von 1877. Uns fiel die falsche Perspektive auf; die Uhr, die über der Szene hängt und zu der es in der Bildbeschreibung des Links heißt: "Sie hängt am Himmel, oder ist es eine Wand? Im trüben Wasser spiegelt sie sich wiederum als Mond. Fragen nach dem Raum werden also ebenso wenig beantwortet wie die nach der Bedeutung der teils ironischen Bildelemente." Wir bissen uns schließlich an der Frage fest, wie der Block hinten in der Mitte über dem Wasser stehen kann.

Viel einfacher zu verstehen schien das Bild von

- René Magritte "So lebt der Mensch", 1933

doch Vorsicht, schaut man genauer, dann wird die vorgegaukelte Realität immer brüchiger. Der Blick aus dem Fenster ist von einem Bild verdeckt. Das kann man leicht erkennen. Aber die Idee dahinter stimmt nicht. Kein Maler kann den Himmel so malen, dass er mit dem lebendigen Himmel in der Natur genau übereinstimmt. Was ist also Realität in diesem Bild?

Wir kehrten noch einmal zurück zu

- De Chirico "Le Muse inquietanti",  1918

Dass das Gemälde in Ferrara gemalt wurde, erkennt man an dem Schloss im Hintergrund. Für De Chirico war dieser Ort damals die perfekte metaphysische Stadt. Wir haben davor eine riesige Bühne gesehen mit drei Gestalten, die menschenähnlich sind. Zugleich sehen sie aus wie Statuen, die eine in der klassichen Form einer Herme, bei der der Oberkörper auf einer Säule aufsitzt, ist dem Betrachter abgewandt, die andere stilisiert wie moderne Kunst, und beide tragen Köpfe, die eher Punchingbällen gleichen als menschlichen Köpfen, während die dritte Figur im Hintergrund einer weiblichen Gestalt in klassichem Gewand am ähnlichsten sieht. Bei den beiden vorderen Gestalten befinden sich verschiedene Objekte, darunter eine rote Maske und ein Stock, die laut Wikipedia  eine Anspielung auf Melpomene und Thalie, die Musen der Tragödie und Kommedie sind, während die Statue im Hintergrund dort als Apollo, dem Oberhaupt der Musen, interpretiert wird.

Was uns nicht auffiel war die unterschiedliche Perspektive in diesem Bild, denn der Kasten im Vordergrund am Boden ist perspektivisch aus der Sicht der Musen gesehen, während das Bild die Perspektive des Betrachters zeigt. In dem Wikipedia-Artikel wird zu dem Gemälde der Künstler Carlo Belli mit dem Satz zitiert: "Die fantastischen Kreaturen, die in der Landschaft von De Chirico die Realität betrachten, lassen uns an dem Erstaunen teilhaben, dass sie fühlten während sie am Rande der Ewigkeit sitzen." Der Titel "die beunruhigende Muse", ist übrigens auch der Titel eines Gedichtes von Sylvia Plath.

Zum Schluss noch der Hinweis auf spätere Werke von De Chirico, die man gut auf der Wikiartseite betrachten kann, wenn man mehr Bilder hochlädt.

Das Bild

- Nackte Frau, 1922

zeigt, dass De Chirico schon in diesem Jahr eindeutig bevorzugte die pyhsische Seite der Realität abzubilden .