Sonntag, 22. Dezember 2019

Fatschenkinder und Weihnachtskrippen

Papierkrippe aus den 60er Jahren von Johannes
Mit dieser schönen Papierkrippe, deren Bild mir Johannes zugeschickt hat, wünsche ich allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs und natürlich allen Aktiven beim Kunstsurfen ein 

Frohes Fest und ein gutes Neues Jahr!

Gotische Weihnachtskrippe, um 1500
 aus dem Rijksmuseum in Amsterdam  
Dass Johannes mir dieses Bild geschickt hat, hat direkt mit dem Kunstsurfen zu tun, denn wir haben uns beim letzten Treffen mit der Geschichte und den vielfältigen Formen der Weihnachtskrippe beschäftigt. Seit wann werden eigentlich Krippen mit dem Jesuskind in der christlichen Welt aufgestellt? Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht genau, aber ich habe eine frühe

- Wiege, Jan Borman (II) zugeschrieben, um 1500 (62 cm hoch)

gefunden, die als Weihnachtskrippe im gotischen Stil beschrieben wird. Wir haben sie uns genauer angesehen mit ihren vier Löwenfüßen und dem durchbrochenen Sockel, auf dem ein hoher gotischer Bogen steht, der von Fialen mit Krabben bekrönt ist. Darin hängt der zierlich durchbrochene Wiegenkörper, der auf zwei Stangen zum schwingen zu bringen ist. Sicher gab es dazu ein Christkind, das in die Wiege gelegt wurde. In der Beschreibung des Rijksmuseums heißt es außerdem, dass Weihnachtskrippen für den privaten Gottesdienst zu Hause sowie in Klöstern und Kirchen verwendet wurden. Man stellte sie am Weihnachtstag auf den Hochaltar und sang während der Priester die Krippe bewegte, an der ein Glockenspiel befestigt sein konnte.
In die Krippen legte man kein nacktes Christuskind, sondern ein "Fatschenkind", also ein in Binden fest eingewickeltes Baby, so wie es im Lukasevangelium steht: das Jesuskind in Windeln gewickelt (Lk 2,7 EU). Fatsche kommt von lat. Fascia‚ „Binde“, „Wickelband“. Und es gibt schon seit dem 3. Jahrhundert Darstellungen solcher Kinder, denn man umwickelte bei uns bis in das 19. Jahrhundert hinein Neugeborene fest mit Bändern, weil man glaubte, nur so könnten sie die erste Zeit außerhalb des Mutterleibes unbeschadet überleben.

So ein Fatschenkind in der Wiege,

- Wiege (1585) mit Fatschenkind des 18. Jahrhunderts

ist zum Beispiel im Bayerischen Nationalmuseum zu sehen. Diese Wiege ähnelt schon sehr unseren heutigen Vorstellungen von einer Wiege und wir stellten fest, dass sie wahrscheinlich sowohl in ihrem Gestell zum Schaukeln zu bringen ist wie auf ihren Kufen.

Wie aufwendig Neugeborene angezogen werden konnten, sieht man übrigens im Tiroler Volkskundemuseum in einer Vitrine mit einem

- Fatschenkind, verschiedene Mäntelchen und Hauben

(und ja, eines der Babys muss beim roten Kreuz Mitglied gewesen sein ;-)). Im übrigen waren Fatschenkinder besonders in Frauenklöstern beliebt, wo sie oft auch angefertigt wurden und der persönlichen Frömmigkeit dienten. Bei Wikipedia heißt es: "Aus der Verwendung als Andachtsbild in der Zelle ergab sich auch der Beiname 'Trösterlein'." Sie wurden gern in geschmückten Glaskästen aufbewahrt:

- Glaskästen mit Fatschenkindern, Weingarten, Museum für Klosterkultur,

Heute, wo die Babys in Kinderwagen oder Tragetüchern transportiert werden und eigene Bettchen haben, halten sich die Darstellungen des Jesuskindes an die Vorstellung der Futterkrippe und des Stalls, in dem es zur Welt kam, so wie in dieser kleinen

- Krippe, von ca. 1920, Stadtmuseum Einbeck

Sie ist übrigens aus Draht, Pappmaché und Gips gemacht und nicht aus Ton, wie wir angenommen haben, und nur 3 cm hoch. Das Stadtmuseum Einbeck besitzt noch jede Menge weitere kleine Krippenfiguren, aber leider wird aus der Darstellung im Web nicht klar, ob sie zu einer einzigen großen Weihnachtskrippe gehören.

Für solche großen Krippen war besonders Neapel bekannt. Die früheste figürliche Darstellung der Geburt Christi, die in Neapel aufbewahrt wird, ist die

- Krippe von Pietro Alemanno, in der Cappella Recco der Kirche San Giovanni a Carbonara, Ende 15. Jh.

(die Kirche heißt so nach der Straße, an der sie liegt - wir hatten uns über den Namen gewundert und Ursel fand heraus, dass die Neapolitaner an ihr entlang jahrhundertelang Müll abgeladen haben, der dann ins Meer gespült wurde. Außerdem fanden dort Turniere statt, die so blutig waren, dass Francesco Petrarca dagegen protestierte und der Papst sie verbot).

Die Figuren scheinen fast lebensgroß zu sein (??) und uns fiel auf, dass das Jesuskind in der Krippe zwischen den beiden anbetend knienden Figuren von Maria und Joseph fehlt. Außerdem fragten wir uns, wer die seitlichen Gestalten sind. Links könnten der Priester Zacharias und seine Frau Elisabeth, die Mutter des Johannes, stehen, mutmaßte Johannes, und natürlich erkannten wir die Engel.

Figurenreicher und prächtiger wurden dann die neapolitanischen Krippen des 18. Jahrhunderts. Berühmt ist die

- Presepe Cuciniello, Museo di San Martino (der Link zeigt ein Bild des Mittelteils der Krippe, um alles zu sehen muss man herunter scrollen)

Wir mussten unter den vielen vom Himmel hängenden Engeln auf dem Bild erstmal nach Maria und Josef und der Krippe Ausschau halten, so überbordend ist die Fülle der Figuren, die diese Szene umgeben, die zwischen der Säulen der Architektur auf der Bergspitze im Dunkeln fast nicht zu erkennen ist. Und natürlich fielen viele Kleinigkeiten ins Auge, wie die golden leuchtenden, durchbrochenen Schatzkisten direkt am unteren Rand der Anbetungs-Szene und der Zug der Reisenden aus dem Morgenland, der die Heiligen Drei Könige begleitet. Wer sich die Figuren genauer anschauen will, findet unter diesem Link weitere Details, wenn er nach rechts weiterklickt

Berühmt ist das Bayerische Nationalmuseum in München für seine große Sammlung neapolitanischer Krippen. Wir schauten uns zuerst das Überblicksfoto an, das eine lange Straßenszene der größten Krippe dieses Museums zeigt

- Straßenszene mit Markt, Neapel, 2. Hälfte 18. Jh., Bayerisches Nationalmuseum

um danach dann (den Pfeil nach rechts weiter klicken) die einzelnen Szenen durchzugehen. Was man nicht alles entdecken kann! Den Laden mit den aufgehängten Hühnern und dem Tisch mit weiteren gerupften "Vögeln" davor; der Verkäufer, der ein gebratenes (oder geräuchertes) Ferkel auf einem Brett in den Händen hält; im Hintergrund das weißblaue Relief der Madonna mit Kind im Stil von Andrea della Robbia; im nächsten Bild zwei Hirten in Fellwesten mit ihrem großen Hirtenhund; dann: ein Krüppel und sein barfüßiger Begleiter mit einer holländischen Tonpfeife und daneben hängt ein halbes geschlachtetes Schwein - ist das ein Schweinekopf über den beiden Männern? -; oder das dritte darauf folgende Bild, in dem verschiedene Waren in Körben zum Verkauf ausgestellt sind und vorn vor dem Brotkorb ein Kätzchen entdeckt wurde, das aber, wenn man genau hinschaut, doch eher ein spielender kleiner Hund zu sein scheint ....

Wie aufwendig die Figuren mit ihren meist geschnitzten Köpfchen und ihren kostbaren Gewändern gemacht sein können, kann man an dem Bild der Engel von der

- Jaufenthaler Krippe, im Volkskundemuseum Wien

sehen. Wenn man sich einen dieser Engel genauer anschaut, sieht man. dass die Figuren sind nach Art der Klosterarbeiten ausstaffiert sind, wobei für die Kleidung Gold- und Silberborten und -fäden zusammen mit gefassten bunten Glas- oder Edelsteinen benutzt wurden (mir fielen dabei die Heiligen Leiber des Klosters Waldsassen ein, die ganz ähnlich verziert worden sind. Aber das ist ein anderes Thema!)

Eine weitere Tradition der Weihnachtskrippen hat sich mit den Weihnachtsbergen aus dem Erzgebirge herausgebildet. Einen solchen mechanisch beweglichen, großen

- Weihnachtsberg,

besitzt das Museum Europäischer Kulturen in Berlin. Dort sind Szenen aus dem Leben Jesu - also nicht nur die Weihnachtsgeschichte - in verschiedenen Landschaften und Architekturen dargestellt. Wir sahen z.B. die Bergpredigt und die Taufe im Jordan, aber auch die beweglichen Schafe der Verkündigung an die Hirten. Wer mehr über diese ebenfalls sehr große Krippe wissen will, sollte sich die Seite bei google arts & culture anschauen, auf der der Weihnachtsberg ausführlich, auch mit seiner Mechanik, vorgestellt wird.

Wir haben zum Schluss noch einen kurzen Blick auf ganz andere Weihnachtskrippen geworfen, nämlich auf einen jener Papierbögen, aus denen man selbst eine Weihnachtskrippe ausschneiden konnte - und immer noch kann:

- Bastelbogen einer Papierkrippe des Bayerischen Nationalmuseum in drei Szenen (es handelt sich um die Bilder am oberen Rand dieser Seite)

und dabei fiel Johannes die Papierkrippe aus seiner Familie ein, die sein Sohn immer noch aufstellt und die am Anfang dieses Posts zu sehen ist. Dass Weihnachtskrippen auch aus vielen anderen Materialien hergestellt werden können, daran erinnern die

Pfefferkuchen, die im Krippenmuseum der Burg Karlsteijn in der Tschechien

gezeigt werden. Wenn das keine Idee für das nächste Weihnachtsfest ist!

Update 27.12.2019: Und hier kommt noch eine Krippe, die unsere Gegenwart in den Blick nimmt: Der Streetartkünstler Banksy hat ein Krippe für das "Walled Off Hotel" in Bethlehem im Westjordanland gestaltet, das direkt am sogenannten "israelischen Sperrwall" steht, einer großen Mauer, die die Stadt von dem Palästinensergebieten trennt. Der Schutzwall mit dem Einschussloch hinter der Geburtsszene spricht für sich - man kann das Loch natürlich auch als Stern deuten...

Update 31.12.2019: Und Ursel sind noch zwei Krippen aus Tenerife zugelaufen, die ich hier auch veröffentlichen darf. Die zweite gefällt mir besonders gut: Eine echte Geburt-Szene von heute, der Vater hat das Kind im Arm, die Mutter liegt erschöpft und glücklich im Bett!

Update 26.1.2020: Und hier kommt noch ein Link zu der Krippensammlung der Burg Posterstein, deren Bestand von Krippen über 500 Teile enthält. Zudem gibt es dort eine Bibliothek und Volkskundliches zum Thema „Weihnachten“ (170 Bände), ein Archiv mit 1500 Stichworte von A (Aberglauben) bis Z (Zwölften) und Begriffserklärungen, Quellenangaben, Zeitungsausschnitte, Fotos, sonstige Informationen.