Montag, 22. April 2019

Die Nackten in der Renaissance


Der voyeuristische Blick auf die oder den Nackten hat im letzten Jahr für reichlich Diskussionsstoff gesorgt, als die Manchester Art Gallery das Bild 

"Hylas und die Nymphen" von John W. Waterhouse (1896) 

aus seiner Dauerausstellung abhängte und die Besucher mit einer Leerstelle und der Aufforderung zu Kommentaren konfrontierte. Aber was ist eigentlich der voyeuristische Blick, der da so umstritten ist und teilweise bös geschmäht wird? Können nur Männer Voyeure sein oder auch Frauen? Ist die Freude einen schönen Körper anzusehen schon Voyeurismus? 

Bronzino, Heiliger Sebastian (Quelle)
Bei Wikipedia steht: "Voyeurismus ist eine Form der Sexualität, bei der ein Voyeurist (umgangssprachlich auch Spanner genannt) durch das Betrachten von seiner Präferenz entsprechenden, sich entkleidenden oder nackten Menschen oder durch das Beobachten sexueller Handlungen sexuell erregt wird. Im engeren Sinn bezeichnet der Begriff das heimliche Beobachten einer unwissenden Person, im weiteren Sinn jegliche Form der Lust am Betrachten. Das Gegenstück zum Voyeurismus ist der Exhibitionismus."

Aber wer wird heute noch sexuell erregt beim Betrachten von Hylas und den Nymphen? Uns kamen die nackten Frauenkörper jedenfalls sehr gleichartig und ein wenig langweilig vor...

Wie man die Nacktheit früher gesehen hat, zeigt jetzt die Ausstellung "The Renaissance Nude" in der Royal Academy in London, die das eigentliche Ziel unserer letzten virtuellen Kunstreise war.  



Betrachtet haben wir als erstes:

- Tizian, Venus von Urbino, um 1538

und dabei im Vergleich mit der Figurengruppe von 

- Antico Pier Jacopo di Antonio, Herkules und Antäus, um 1500-1510

festgestellt, wie unterschiedlich hier der ideale jugendliche Körper von Frauen und Männern dargestellt wird. Die Geschichte der beiden Kämpfer findet man wie immer auf Wikipedia. Die beiden muskulösen Männer ringen miteinander. Es ist klar, dass hier Stärke gezeigt werden soll, ebenso wie die schlaffe Haltung der schönen Liegenden Passivität und Hingabe erwarten lassen. 

Erst heute gleichen sich in der Kunst die Geschlechter an, wie ein Blick auf die sogenannte Art brut zeigt: 

- Misleidys Castillo Pedroso, Ohne Titel, um 2016 (gemeint ist das dritte Bild in der unteren Reihe)

Die stark behindert Künstlerin stellt Frauen und Männer als Muskelpakete nach Art der Body-Builder dar. 

Zurück zu den Nackten der Renaissance: Sind wir Voyeure, wenn wir uns die nackten Hexen von Hans Holbein ansehen?  

Hans Holbein, Zwei Hexen, 16. Jh. 

Was sehen wir überhaupt? Was hat die eine in dem Fläschchen mit dem roten Deckel? (Das Bild lässt sich gut vergrößern, dann sieht man den kleinen Drachen/Teufel darin sitzen). Wie ist es mit dem Hintergrund, ein Feuer ein Sturm, dräuende Wolken, aber die Haare, die wehen zu verschiedenen Seiten. Es heißt, Hexen können die Naturgesetze außer Kraft setzen. Und worauf sitzt die eine der beiden? Hat Holbein diese beiden Frauen gemalt, damit der - meist männliche - einen Kick bekommt, wenn er zwei auch wegen ihrer unbändigen Sexualität so verrufene Frauen sieht?

Und dann das Bild von

- Jean Bourdichon, Die badende Bathsheba, 1498 

Die biblische Geschichte der Batseba erzählt davon, dass König David sich in sie verliebte, als sie noch die Frau eines anderen war. Er ließ dann ihren Ehemann töten. Ziemlich böse Sache das! Ja und in diesem Bild werden wir als BetrachterInnen dann auch zu Zeugen von Davids Voyeurismus! 

Aber gibt es nur den sexuell angereicherten Blick auf die Frau? Können Männer nicht genauso Ziel von erotischer Begierde sein?

- Bronzino, Heiliger Sebastian, 1528-30

Dieser junge Mann mit seinem schlanken aber doch muskulösen Oberkörper sollte eigentlich von Pfeilen durchbohrt sein (zu seiner Legende und weiteren Bildern siehe Wikipedia). So wird er jedenfalls sonst immer dargestellt, aber hier? Der Pfeil steckt zwar im Fleisch, aber kein Blutstropfen... nur Schönheit!

Und selbst ein alter Mann, scheint nur auf den ersten Blick ein wenig zusammengesunken, auf den zweiten Blick fällt auf, wie glatt seine Arme und Beine gestaltet sind und, dass auch dieser Körper noch einem männlichen Schönheitsideal huldigt:

Donatello, Heiliger Hieronymus, Mitte 15. Jh.  

Sind wir dem voyeuristischen Blick näher gekommen? Ich hatte den Eindruck eher nicht, aber immerhin haben wir gesehen, wie unterschiedlich menschliche Körper dargestellt werden können. Eine gute Möglichkeit sich einmal umzuschauen nach den Schönheitsidealen unserer Zeit!