Montag, 3. Oktober 2016

Verkehrte Welt

Pieter van der Heyden Pretmakers in een mossel op zee.jpg
Pieter van der Heyden, Pretmakers in een mossel op zee 
Door Pieter van der Heyden (fl. 1551–1572) 
- www.geheugenvannederland.nl : Home : Info : Pic, Publiek domein, 
Die Ausstellung "Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch" im Bucerius Kunstforum Hamburg lief vom 4. Juni 2016 bis 11. September 2016, ist also vor kurzem zu Ende gegangen, doch kann man einige Ausstellungsbilder noch im Archiv der Website finden und man kann natürlich noch den Ausstellungskatalog käuflich erwerben.

Am berühmtesten machte den Begriff "Verkehrte Welt" nicht ein Bild sondern ein Buch, nämlich der "Simplicissimus", der 1668 von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen veröffentlicht wurde, und in dem der Autor "ein detailreiches Bild des Dreißigjährigen Krieges sowie der verwilderten deutschen Gesellschaft nach dem Krieg" (Wikipedia) zeichnet:



Wir haben uns dazu das Titelkupfer angesehen (wenn man auf das Bild klickt, wird es groß und lässt sich noch größer ziehen). Die Erklärung des Titelbildes liefert der Autor gleich mit:
"Der Hirsch den kühnen Jäger legt /
Der Ochs manchmahl den Metzger schlägt /
Der Arm dem Reichen Steuer trägt /
Zur Arbeit der Soldat sich regt /
Der Bauer in Waffen sich bewegt /
Solch Ding die Welt zu üben pflegt."

Alles erkannt auf dem Bild? Wir haben jedenfalls ohne Erklärung etwas suchen und überlegen müsen, was dort dargestellt ist.

Literarisch und bildlich fängt aber die Auseinandersetzung mit einer Welt, die für die Zeitgenossen aus den Fugen gerät, schon früher an: Sebastian Brandt geißelt am Ende des 15. Jahrhundert in seinem Narrenschiff die aus dem Ruder laufenden Sitten seiner Zeit und schildert eine Schifffahrt von über 100 Narren mit Kurs auf das fiktive Land Narragonien, mit der er der "Welt durch eine unterhaltsame Schilderung ihrer Laster und Eigenheiten kritisch und satirisch den Spiegel vorhält" (Wikipedia). Ds Buch wurde mehrfach nachgedruckt und fand weite Verbreitung.

- Auf dem Titelbild sieht man die Narren mit ihrem Kappen im Schiff.

Die Idee des Schiffes mit Narren wurde von vielen Künstlern aufgegriffen. Wir haben uns näher angesehen:

- Hieronymus Bosch, Het Narrenschip (Ende des 15. Jh.), heute im Louvre

und hatten ziemlich viele Fragen: Welche Früchte liegen auf dem Teller? Was hängt da zwischen Mönch und Nonne? Warum sieht man oben am Mast einen Busch mit einer Maske? Was soll der große Kochlöffel? Ursel hat dann bei Wikipedia diese Beschreibung gefunden, in der u.a. erklärt wird, dass zwei Personen(!) "nach einem aufgehängten Pfannkuchen mit dem Mund ... schnappen, ohne die Hände zu benutzen. Die Ähnlichkeit des Pfannkuchens mit einer übergroßen Hostie gemahnt an einen blasphemischen Hintergrund."

Dann folgten weitere Schiffsbilder, deren "Verkehrtheit" sofort ins Auge fällt.

- Pieter van der Heyden, Pretmakers (zu deutsch "Zecher") in een mossel op zee, 1562

Bild geht wahrscheinlich auf ein weiteres Gemälde von Hieronymus Bosch zurück, das allerdings nicht erhalten ist. Diesmal fährt die bunte Mannschaft in einer riesigen Muschelschale übers Meer. Wieder wird getrunken, gegessen und Musik gemacht. Wieder gibt es ein Pärchen aus Mönch und Nonne, diesmal innig umarmt. Uns fiel sofort das merkwürdige Instrument in der Mitte auf. Schaut man genau hin erkennt man einen Dreifuß und auf einem der folgenden Bilder fanden wir auch seine wirkliche Verwendung, dort wird darauf ein Fisch über dem Feuer geröstet. Auch der Mann rechts macht wahrscheinlich wahre Katzenmusik auf seinem Instrument. Was ist es? (Auflösung steht am Ende des Textes :-)). Dann hängt da noch ein Dudelsackpfeifer über Bord und bricht. Ein Mann und eine Frau bieten einander Hühnerbein und Eier und einen ganzen gebratenen Hahn an. Im Wasser frisst ein Seehund (oder ein großer Fisch?) die kleinen Fische.

Erhalten ist dagegen ein Gemälde, das einem Nachfolger von Hieronymus Bosch zugeschrieben wird:

- Konzert im Ei

Also nicht nur, dass der Aufenthaltsort für diesen Chor "verkehrt" ist. Auch die eigentümlichen Kopfbedeckungen passen nicht recht zu den Personen - oder vielleicht doch? Da hat einer einen Taubenschlag auf dem Kopf (geht's bei ihm im Kopf auch so zu wie im Taubenschlag?). Die Nonne trägt das Symbol der Weisheit - die Eule - spazieren, aber eine Krähe hackt auf diesem Vogel herum. Auf dem Kopf des Flötenspielers sitzt ein Kranich. Zu sehen ist auch ein Beutelschneider zusammen mit einen Esel, der Laute spielt; ein Vogel mit Affenkopf und dann auch das Dreibein mit dem Fisch, von dem schon die Rede war.

Wie verkehrt den Menschen die Welt vorkam, kann man übrigens auch an dem Bild erkennen, über das Ursel zwischendurch gestolpert ist:

- Pieter von der Heyden, Kampf der Geldbörsen und Truhen, ca. 1558 (nach einem Gemälde von Pieter Breughel d.Ä.)

Ähnlich den großen Schlachtenbildern dieser Zeit (berühmt ist die Alexanderschlacht von Albrecht Altdorfer, 1528-29) gestaltet, kämpfen hier nicht mehr Söldner, sondern das neu entstehende "Kapital". Der Text darunter lässt sich ungefähr so übersetzen: "Los ihr Geldbüxen, Tonnen und Truhen. Es geht alles um Gold und Güter, diese Kämpfe und Streitereien. Auch wenn irgendjemand eteas anderes behauptet, glaube es nicht. Deshalb tragen wir den Haken, der nie versagt. Sie versuchen uns zum Schweigen zu bringen, aber sie sollen es nicht finden bevor da nichts mehr zu rauben ist."

Der Laute spielende Esel hat mich dann an das Hamburger

- Grabmal der Gesche van Holte, 1537

erinnert. Lange Zeit galt es für fahrende Gesellen als Beweis, dass sie diese Stadt besucht hatten, wenn sie das Grabmal beschreiben konnten. Es ist noch heute im Museum für Hamburgische Geschichte erhalten, siehe Foto). Die plattdeutsche Inschrift auf den Spruchbändern lautet: "Ick för du na" – ich gehe vor du kommst nach (spricht der Tote zum Betrachter); "Fnvt" ist wahrscheintlich die Abkürzung für "even ute" den gleichen Ausgang allen Irdischen. Dann folgt "De werlt heft sik umme kehrt/Darumme so hebbe ik arme Esel pipen gelert" Übrigens galt im Mittelalter der Dudelsack als ein typisches Narreninstrument! (Wer mehr über das Grabmal wissen will: es gibt einen ausführlichen Aufsatz dazu.)

Ganz zum Schluss dann noch eine Referenz an das kommende Lutherjahr 2017:

- L. Cranach-Werkstatt, Esel mit Papstkrone bläst den Dudelsack, 1545 (Das Bild lässt sich durch Anklicken vergrößern)

Die Inschrift heißt: "Ein Bapst kann allein auslegen/die Schrift:und Irthum ausfegen/Wie der Esel allein pfeiffen/kan und: die noten recht greifen/ Mart. Luth"

Und hier noch die Auflösung von oben: Ein Blasebalg.